Niederdeutsche Sprache und Literatur

[630] Niederdeutsche Sprache und Literatur. Die Literaturdenkmäler der niederdeutschen (plattdeutschen) Sprache (s. Deutsche Sprache, besonders S. 745) treten an Fülle und Bedeutsamkeit hinter denen der hochdeutschen außerordentlich zurück. Auch reicht der Gebrauch der niederdeutschen Literatursprache kaum über die Zeit um 1600 herab, weil sie von da an durch die hochdeutsche Schriftsprache völlig verdrängt wurde. Aus der Zeit des Altniederdeutschen ist überhaupt nur ein größeres Literaturdenkmal auf uns gekommen, der »Heliand« (s. d.). In der mittelniederdeutschen Zeit wird in der Prosa Vortreffliches geleistet und sowohl die Geschichtschreibung wie die Rechtsliteratur in deutscher Sprache wird durch niederdeutsche Werke eröffnet: jene durch die Repkowsche Chronik, diese durch den »Sachsenspiegel«. Dagegen macht sich in der Dichtung das Übergewicht des Hochdeutschen derartig geltend, daß in der höfischen Lyrik und Epik das Niederdeutsche nur in hochdeutscher Färbung gebraucht oder auch auf niederdeutschem Boden durch mitteldeutsche Sprachformen ersetzt wird. Die mittelniederdeutsche Volksepik ist uns, abgesehen von einem Bruchstück »Van koning Ermenrikes dôt«, nur durch Inhaltsangaben aus niedersächsischen Heldenliedern in der altnordischen Thidrekssaga (s. d.) bekannt, während von niederdeutschen Volksliedern andrer Gattungen mehr erhalten ist. Bedeutsamer aber tritt die Fabel und die Satire hervor. Wir nennen den dem Gerhard von Minden zugeschriebenen »Wolfenbüttler« und den verwandten »Magdeburger Äsop« (1402 gedichtet). Beiden Gebieten zugleich gehört das bekannteste Denkmal der niederdeutschen Literatur an, »Reynke de Vos«, 1498 in Lübeck erschienen, der jedoch nicht ein niederdeutsches Original, sondern aus dem Niederländischen übertragen ist (s. Reineke Fuchs). In das 17. Jahrh. herab reichen die satirischen Gedichte von Johann Lauremberg: »Veer Schertzgedichte« (1652). Bemerkenswertes hat die niederdeutsche Literatur auf dem Gebiete des Dramas geleistet. Dem 14. Jahrh. gehören verschiedene Bearbeitungen der Theophiluslegende an, dem 15. und 16. Jahrh. das vortreffliche »Redentiner Osterspiel« (1464), verschiedene Fastnachtsspiele, der »Verlorene Sohn« von Burkard Waldis (1527), die »Gemeine Beichte« des Daniel von Soest (1534), eine scharfe, wirkungsvolle Satire von katholischer Seite, »De Düdesche Slömer« von Johannes Stricker (Stricerius, 1084). Im Drama des 17. Jahrh. und in der Oper noch späterer Zeiten wurden gelegentlich Szenen in niederdeutscher Sprache eingeschaltet. In der Dialektdichtung des 19. Jahrh. nimmt Niederdeutschland namentlich durch Klaus Groth und Fritz Reuter eine hervorragende Stellung ein. Vgl. Roethe, Die Reimvorreden zum »Sachsenspiegel« (Berl. 1899), im übrigen die Artikel »Deutsche Literatur«, S. 692 ff., und »Verein für niederdeutsche Sprachforschung«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 630.
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