Radowitz

[561] Radowitz, Joseph Maria von, preuß. General und Staatsmann, geb. 6. Febr. 1797 in Blankenburg am Harz als Sprößling eines ungarischen katholischen Geschlechts, gest. 25. Dez. 1853 in Berlin. Er trat im Dezember 1812 als Leutnant in die westfälische Artillerie ein, führte in der Schlacht bei Leipzig eine Batterie und fiel verwundet in Gefangenschaft, trat in kurhessischen Militärdienst und wurde 1814 Lehrer an der Kadettenanstalt in Kassel. 1821 Hauptmann im Generalstab geworden, nahm er 1823 preußische Dienste, ward militärischer Lehrer des Prinzen Albrecht, 1828 Major und Mitglied der obersten Militärstudienbehörde, Lehrer an der Kriegsschule sowie Mitglied der Artillerieprüfungskommission und 1830 Chef des Generalstabs der Artillerie. Reich und vielseitig gebildet, wurde er der Freund des ihm geistesverwandten Kronprinzen, nachherigen Königs Friedrich Wilhelm IV. 1836 preußischer Militärbevollmächtigter beim Bundestag, 1842 Gesandter bei den Höfen in Karlsruhe, Darmstadt und Nassau geworden, verfaßte R. über die schleswig-holsteinische Frage die Schrift »Wer erbt in Schleswig?« (Karlsr. 1846) und unter dem Pseudonym »Waldheim« die »Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche« (Stuttg. 1846, 4. Aufl. 1851). Seine darin ausgesprochenen Ansichten suchte Friedrich Wilhelm IV. in dem Verfassungspatent vom 3. Febr. 1847 zu verwirklichen. Im November 1847 und im März 1848 unterhandelte R. in Wien mit der österreichischen Regierung über eine Neugestallung des Deutschen Bundes. und in seiner Schrift »Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.« (Hamb. 1848) zeigte er, daß der König diese Absicht von Anfang an gehabt, nicht erst durch die Bewegung von 1848 gewonnen habe. Als Mitglied des Frankfurter Parlaments Führer der äußersten Rechten, bemühte er sich nach der Auflösung des Parlaments durch das Dreikönigsbündnis um Preußens Unionspolitik und vertrat sie sowohl 1849 vor den preußischen Kammern als auch vor dem (im März 1850) nach Erfurt berufenen Parlament. Seit Mai 1849 tatsächlich Leiter der auswärtigen Politik Preußens, übernahm er 27. Sept. 1850 förmlich dieses Ministerium, riet, als die Entscheidung der deutschen Frage durch Waffengewalt unvermeidlich schien, zu offenem Widerstand gegen Österreich und seine Verbündeten und trat, als der König seinen Vorschlag verwarf, zurück (2. Nov.). In Erfurt schrieb er seine »Neuen Gespräche aus der Gegenwart« (Erfurt 1851, 2 Bde.) über die Reorganisation Deutschlands. Im August 1852 zum Direktor des Militärstudienwesens ernannt, beschränkte sich R. im wesentlichen auf literarische Arbeiten, unter denen die »Fragmente« (Bd. 4 u. 5 der »Gesammelten Schriften«, Berl. 1852–53, 5 Bde.) Aufsehen erregten. Von seinen Schriften sind noch zu nennen: »Ikonographie der Heiligen, ein Beitrag zur Kunstgeschichte« (Berl. 1834) und »Die Devisen und Mottos des spätern Mittelalters« (das. 1850). Vgl. Frensdorff, Jos. v. R. (Leipz. 1850); Hassel, Joseph Maria v. R. (1. Bd.: 1797–1848, Berl. 1905). – R. hinterließ zwei Söhne: Klemens von R., bis 1887 General und Kommandant von Altona, gest. 26. Jan. 1890 in Berlin, und Joseph [561] Maria von R., geb. 19. Mai 1839, seit 1869 Generalkonsul in Bukarest, 1873 Gesandter in Athen, dazwischen wiederholt zur Dienstleistung im Auswärtigen Amte berufen, 1882 Botschafter in Konstantinopel und seit 1892 in Madrid.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 561-562.
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