Teppiche

[415] Teppiche, gewirkte, geknüpfte, gestickte oder gewebte Decken, zum Belegen des Fußbodens sowie zur Bekleidung der innern Wände (s. Tapeten) und Möbel. Den weitgehendsten Gebrauch ohne Unterschied der Technik finden die T. in ihren asiatischen Ursprungsländern,[415] während für Europa allgemein Fußteppiche als Knüpfarbeit, Wandteppiche als Wirkerei gelten, für die sich der Name Gobelin (s. d.) eingebürgert hat. Der Engländer unterscheidet: carpet = Fußteppich, hanging = Wandteppich, rug = Möbelteppich; ferner tapestry für Wirkerei (sogen. Gobelintechnik), welche Bezeichnung dem franz. tapisserie entspricht. Die Knüpfteppichindustrie hat vornehmlich in Persien und Indien die glänzendste Ausbildung erfahren: nicht nur technisch in Wolle, Seide und Goldfäden (s. Polenteppiche), sondern auch in Farben- und Mustergebung. Denn der Teppich gilt seit dem frühesten Altertum im Orient als ein Hauptträger der Kunstformen: Sitten und Religionsgebräuche (s. Gebetteppiche) sind von jeher eng mit ihm verwachsen, er gibt der leichtern Beschaffenheit der dortigen zeltartigen Nomadenwohnung neben dem Schutz gegen Unbilden der Witterung gleichsam das architektonische Gefüge, womit Bedürfnis und Schmuck in ihm vereinigt sind. Letzteres machte diese Erzeugnisse morgenländischer Kunst auch in Europa unentbehrlich und erklärt die seit den frühesten Zeiten sich steigernde Masseneinfuhr orientalischer T., deren man für künstlerische Zwecke (s. Holbeinteppich) und zur Ausstattung der Wohnräume bedurfte. Wenn sich auch im 18. Jahrh. die Anfänge der abendländischen Knüpfteppichtechnik mehren (vgl. Savonnerieteppiche), so kann doch erst seit der Mitte der 1850er Jahre von einer eigentlichen Industrie der Smyrnateppiche (s. d.) bei uns die Rede sein; bis dahin war man in Europa lediglich auf orientalische Erzeugnisse angewiesen, die hier so lange als echte T. und Luxusartikel galten. Die orientalischen T. sind geflochten (s. Kilim) oder geknüpft. Erstere bilden ein glattes Gewebe, dessen Kette aus Leinen- oder Baumwollengarn durch einen dicht angeschlagenen wollenen Schuß vollständig bedeckt wird, so daß ein ripsartiger Stoff entsteht. Der Schuß wird indes nicht auf die ganze Breite des Stoffes eingetragen, sondern nur an den Stellen, wo er wirken soll, mit der Kette verbunden. Die geknüpften, plüschartigen T. (Knüpfteppiche) werden auf baumwollener, leinener oder wollener Kette durch das Einknüpfen von Flormaschen hergestellt, die man jede einzeln durch die Breite des Teppichs einlegt. Nach Vollendung des Teppichs wird der Flor mit einfachen Handscheren egalisiert. Das Material des Flors ist Schafwolle, für feinere T. auch Ziegenhaare und Seide. Auch als die wertvollsten orientalischen T. gelten die persischen (s. Tafel »Ornamente IV«, Fig. 11, und Tafel »Weberei«, Fig. 16) und von diesen wieder die von Farahan in der Provinz Arak; sie enthalten auf 1 m Breite 400–500 Flormaschen. Die indischen (s. Tafel »Weberei«, Fig. 22) haben einen ansehnlich höhern Flor und 300–350 Maschen auf 1 m, für den europäischen Handel sind aber bei weitem wichtiger die ungleich billigern türkischen T., von denen die Smyrnaer mit 120–200 Maschen am geschätztesten sind; sie besitzen stets eine wollene Kette, während die der persischen und indischen aus Baumwolle besteht. Die orientalischen T., und namentlich die geknüpften Smyrnateppiche, werden mit gutem Erfolg in Europa, speziell in Deutschland (Schmiedeberg seit 1856, Neustadt [Oberschlesien], Kottbus, Wurzen, Springe, Linden, Neuendorf bei Potsdam etc.) und Wien, nachgeahmt und zwar unter Anwendung derselben Methode. Man arbeitet aber mit Kette aus Leinengarn und Grundschuß aus Jute, erreicht eine große technische Vollkommenheit und versteht auch die Muster und Farben so getreu nachzubilden, daß ein großer Unterschied zwischen echten und nachgeahmten Smyrnateppichen nicht mehr besteht. Nachahmungen der orientalischen geflochtenen T. sind die Gobelins (s. Tapeten). Die eigentlichen europäischen T. werden auf mechanischen Webstühlen, die bessern auf der Jacquardmaschine hergestellt. Die glatten T. bilden in Europa wie im Orient gewöhnlich die geringere Sorte; man verfertigt sie aus Kuh- oder Ziegenhaar, ordinärem Streichgarn oder Jute und benutzt sie als Laufteppiche zum Bedecken von Treppen, Fluren etc. Hierher gehören auch die Kidderminsterteppiche aus Doppelgewebe, wollener oder baumwollener Kette und viel stärkerm wollenen Schuß; das Muster erzeugt sich rechts und links in gleicher Weise. Die Plüschteppiche haben entweder einen ungeschnittenen Flor, der kleine, geschlossene Noppen bildet (Brüsseler T.), oder einen aufgeschnittenen Flor, der eine samtartige Oberfläche bildet (Samt-, Velours-, Tournai-, Wilton-, Axminsterteppiche). Die Herstellung ist im wesentlichen die der Plüsche und Samte. Das Muster wird meist mit der Jacquardmaschine hervorgebracht, und je nachdem es mehr oder weniger Farben enthält, zieht man zwischen je zwei leinenen Grundfäden mehr oder weniger Polfäden in jedes Riet ein und unterscheidet nach deren Zahl die T. als drei-, vier-, fünf- etc. chörige oder teilige. Billigere T. erzielt man durch Aufdrucken des Musters. Die Ornamentation der T. ahmt entweder die orientalische Sitte nach (besonders die Jacquardteppiche), oder sie bedeckt die ganze Fläche mit Blumen, Tieren, Architektur etc. (besonders bedruckte T.). Das erste Prinzip hat sich als das für T. ästhetisch angemessenste immer mehr Bahn gebrochen, so daß der Naturalismus in Deutschland, England und Österreich nur noch die billige Ware beherrscht. In Frankreich ist dagegen das naturalistische Dessin in den extravagantesten Formen noch vorherrschend. Gegenwärtig werden in England, Österreich und Deutschland orientalische T. aller Art nachgebildet. In Deutschland, das früher größtenteils Kettendruckteppiche lieferte, werden auch T. in Brüsseler und Axminsterart fabriziert (Berlin). Um die Geschichte und Wiederbelebung der Teppichweberei hat sich besonders J. Lessing verdient gemacht durch seine Publikationen: »Altorientalische Teppichmuster« (Berl. 1877) u. »Orientalische T.« (das. 1891). Alsdann waren von großer Bedeutung die Ausstellungen und die damit verbundenen Veröffentlichungen des k. k. Handelsmuseums in Wien: Riegl, Altorientalische T. (Leipz. 1891), der »Katalog der Ausstellung orientalischer T.« (Wien 1891), »Orientalische T.« und »Die Teppicherzeugung im Orient«, Monographien Verschiedener (das. 1892–96), im Anschluß daran: »Altorientalische T.« (Leipz. 1906–07, 25 Tafeln); vgl. dazu noch: Bode, Altpersische Knüpfteppiche (2. Aufl., Berl. 1904) und Vorderasiatische Knüpfteppiche aus älterer Zeit (Leipz. 1901); Koch (Ölsnitz), Die Teppichfabrikation (2. Aufl., Würzb. 1906); Holz, Die Technik der Perser- und Smyrnateppiche (Leipz. 1905); Plehn, Der Smyrnateppich (Darmst. 1905); W. G. Thomson, A history of tapestry (New York 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 415-416.
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