Lamartine

[52] Lamartine (spr. Lamartin), 1) Alphonse, Prat de L., Sohn eines adeligen Offiziers, geb. 21. Oct. 1790 in Macon; erhielt seine Bildung im Collège der Glaubensväter zu Balley, bewarb sich bei den streng royalistischen Grundsätzen seiner Familie während der Kaiserzeit um keine Anstellung, lebte auf dem Landgute seiner Familie, Milly, u. in Paris, unternahm 1813 eine Reise nach Neapel u. trat 1814 bei der Garde du corps des Königs ein, nahm aber während der Hundert Tage seinen Abschied. 1821 als Gesandtschaftssecretär in Florenz u. Neapel, wurde er in einem Duell mit dem Oberst Pepe schwer verwundet. Nach den Julitagen 1830 verließ er die diplomatische Laufbahn u. ging 1832 nach Palästina; 1833 wurde er für die Kammer erwählt, wo er stets conservativ sprach; seit 1834 Deputirter für Macon, bekämpfte er die Todesstrafe der politischen Gefangenen; 1841 machte er Opposition gegen das Ministerium Thiers, sprach gegen die Befestigung von Paris u. für das linke Rheinufer als natürliche Grenze für Frankreich, was Nik. Becker Veranlassung gab, sein Rheinlied an ihn zu richten, worauf L. in einer Friedensmarseillaise antwortete. 1842 wurde er Präsident des Eisenbahncomités in der Deputirtenkammer u. wollte Eisenbahnen, bes. um den Proletariern Brod zu verschaffen u. so den Frieden zu sichern. Nachdem er bis 1842 zur gemäßigten Rechten gezählt wurde, rief er 1843 ein demokratisches Blatt, Le bien public, zu Macon ins Leben u. trat gänzlich zur Opposition über. Am 12. Febr. 1848 enthielt er sich in der Kammer, bei Abstimmung über die Adresse, mit des Stimmgebens u. sprach am 21. für die Abhaltung des Reformbankets. In der Sitzung der Deputirtenkammer am 24. Febr., in welcher L. die Einsetzung einer provisorischen Regierung wollte, wurde er zum Minister des Auswärtigen-ausgerufen, stimmte auf dem Stadthause durch seine Rede die überspannten Forderungen herab, versöhnte die sich gegenüber stehenden Parteien, beschwichtigte den Tumult u. trat endlich durch persönlichen Muth der Insurrection des Pöbels entgegen. Sein Manifest als Minister des Auswärtigen an alle europäischen Höfe, vom 2. März, sprach den Wunsch nach einem allgemeinen Frieden aus. Im April wurde er Professor des internationalen Rechts u. der Geschichte am Collége de France u. in die Constituirende Versammlung u. in den Vollziehungsausschuß gewählt, worauf er das Portefeuille des Auswärtigen an Bastide übergab. Bei der Neuwahl vom 13. Mai übergangen, wurde er bei der am 8. Juli vom Departement Loiret zum Vertreter gewählt. Er stand auch auf der Candidatenliste zur Präsidentschaft der Republik, erhielt jedoch unter allen die wenigsten Stimmen, wurde aber im Dec. 1848 Mitglied des provisorischen Staatsrathes. Bei der Wahl für die Gesetzgebende von 1849 blieb er unberücksichtigt u. verfolgt von der conservativen Presse zog er sich im Septbr. d. J. vom öffentlichen Leben nach Macon zurück; trat aber 1850 zum dritten Mal in die Nationalversammlung. Im Juni d. J. unternahm er eine Reise nach Constantinopel, um seine Besitzung bei Smyrna, die er im vorigen Jahre vom Sultan zum Geschenk erhalten hatte, zu besuchen. Sein Versuch dieselbe durch Franzosen od. Deutsche zu colonisiren mißlang. Zurückgekehrt nach Frankreich, wurde er zum Staatsrath ernannt, im Saone- u. Loiredepartement wurde er zum Präsidenten des Generalraths gewählt, übernahm 1851 die Leitung des bonapartistischen Journals Le Pays u. stimmte am 19. Juli gegen die Verfassungsrevision. Unzufrieden mit den politischen Zuständen Frankreichs zog er sich im Herbst d. J. nach seinem Schlosse Monceaux zurück, um hier seinen literarischen Arbeiten zu leben. Zurückgekommen in seinen Vermögensverhältnissen u. gedrängt von seinen Gläubigern, erließ er 1856 einen Aufruf zur Unterstützung der von ihm herausgegebenen Monatsschrift Cours famillier de littérature. 1857 sollten seine bereits mit Beschlag belegten Besitzungen von seinen Gläubigern verkauft u. die noch nicht verpfändeten mit Beschlag belegt werden, u. obgleich sich die kaiserliche Regierung seiner Angelegenheit annahm u. selbst in England ein Ausschuß zusammen trat, um die bedrängte Lage L-s zu heben, so scheiterte das Unternehmen doch fast gänzlich, die Subscriptionen deckten nur eine ziemlich unbedeutende Summe, so daß 1858 wirklich zu einem theilweisen Verkauf seiner Güter geschritten wurde. L. hat allen Parteien gedient: nach der Restauration war er Legitimist, nach der Julirevolution Orleanist, durch die Februarrevolution Republikaner u. 1851 Bonapartist. Er schr.: Méditations poétiques, Par. 1820–23; Chants d'amour, ebd. 1825; La mort de Socrate, ebd.; Le dernier chant du pélerinage d'Harold, ebd. 1825; Harmonies poétiques et religieuses, ebd. 1830, 2 Bde., 4. A. 1833 (deutsch von [52] Gustav Schwab); Contre la peine de mort, 1830; Sur la politique rationelle, 1831; Méditations polit., 1831, 2 Bde., 4. A. 1845; Des destinées de la poésie, 1834; Chant du sacre, ebd. 1835; Souvenirs, impressions, pensées et paysages, pendant un voyage en Orient, ebd. 1835, 4 Bde., 5. A. 1845; Jocelyn, 1836; La chute d'un ange, 1838, 7. A. 1839 (engl. 1845); Recueillements poétiques, 1839 (engl. 1845); Mélanges poét. et discours, 1839; Vues, discours et articles sur la question d'Orient, 1840; Histoire des Girondins, 1847, 8 Bde., 2. A. 1848 (deutsch, Lpz. 1847–48, 8 Bde.); Trois mois au pouvoir, 1848; Histoire de la révolution de 1848. 1849; Raphaël, 1849; Tribune politique, 1849; Les confidences, 1849; Toussaint Louverture (Tragödie), 1850; Les nouvelles confidences, 1851; Geneviève (Mémoires d'une servante), 1851; Le tailleur de pierres de Saint-Point, 1851; Histoire de la restauration, 1851 (deutsch, Stuttg. 1851–53); Histoire de la Turquie, 1854 ff.; Histoire de la Russie, 1855; Werke, 1829, 2 Bde.; 1849 f., 14 Bde.; Oeuvres choisies et épurées, Par. 1849–50. Noch gab er 1848 den Bien publique, 1849 Conseiller du peuple u. 1852 Civilisateur heraus. Die meisten Werke deutsch von G. Schwab u. Fr. Demmler; sämmtliche Werke von G. Herwegh. 2) Madame de L., Gemahlin des Vor., eine geborne Engländerin; sie sehr.: Explication familière des principales vérités de la religion, à l'usage des jeunes enfants, Par. 1840, 2. A. 1847.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 52-53.
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