Sanzio

[881] Sanzio, 1) (Santi), Giovanni, Maler, kam 1450 als Kind nach Urbino; seine Werke zeichnen sich durch Innigkeit des Ausdrucks, Ernst, Einfachheit der Darstellung, treues Naturstudium u. durch eine anspruchlose, weder tiefe noch glänzende Färbung aus. Werke in der Marc Ancona, in Urbino, in Cagli (ein Freskobild), im Museum in Berlin ein vorzügliches Altarbild; er starb 1494 in Urbino. 2) Rafael, des Vorigen Sohn, geb. 28. März 1483 in Urbino, der größte Maler der neuern Zeit. Schon als Knabe zeigte S. solche Fähigkeiten, daß sein Vater ihn um 1492 nach Perugia zu Meister Pietro Perugino that (wenn er nicht erst nach seines Vaters Tode 1495 dorthin kam). Hier schloß er sich an Pinturicchio an u. malte mit demselben in der Libreria in Siena, od. fertigte wenigstens einige Zeichnungen zu den dortigen Wandgemälden aus dem Leben Pius' II. 1503. 1503 reiste er nach Florenz, hier ging ihm in den Werken altflorentinischer Kunst, namentlich des Masaccio, ein neues Licht auf. Er befreite sich von der etwas engen Weise seines Meisters, gewann aber erst das rechte Feld, als er, nachdem er 1503 u. 1506 länger in Florenz gewesen war u. daselbst Leonardos u. Michel Angelos berühmte Cartons gesehen hatte, 1508 vom Papst Julius II. nach Rom berufen, die Stanza della Segnatura im Vatican als Fresko auszumalen bekam. Durch Bramante berufen, trat S. mit den ausgezeichnetsten Männern seiner Zeit in unmittelbare Verbindung. Zwar wollte sich zwischen ihm u. Michel Angelo nie ein freundschaftliches Verhältniß bilden, dagegen war er innig vertraut mit dem Grafen Castiglione, dem Cardinal P. Bembo, den Dichtern I. Sadoleto, I. Sannazaro u. A. Sebaldeo, mit den Schriftstellern A. Novagero u. Aq. Beazzano; bes. war er gegen die zahlreich von allen Seiten ihm zuströmenden Schüler gefällig, freundlich, hülfreich, belehrend u. fördernd. Bei immer steigendem Ruhme mehrten sich die Bestellungen auch aus dem Auslande; 1517 trat er in Verbindung mit König Franz I. von Frankreich u. malte demselben mehre Staffeleibilder, namentlich den Erzengel Michael. 1515 erhielt er, nach Bramantes Tode, die Leitung des Baues von St. Peter u. die Aufsicht über die Alterthümer in Rom. Bis 1517 zeichnete er die Cartons zu den Tapeten, Darstellungen aus der Apostelgeschichte, welche sich gegenwärtig in Hamptoncourt bei London befinden,[881] u. malte das Spasimo di Sicilia (jetzt in Spanien). In derselben Zeit reiste er mit dem Papst nach Florenz u. malte ihn daselbst mit Julius von Medici u. de Rossi (jetzt im Palazzo Pitti in Florenz). Bei der ungeheuren Menge von Aufträgen, welche er übernahm, ist es erklärlich, wie viele Werke ihm zugeschrieben werden, wozu er kaum den Entwurf gemacht haben kann. Sein letztes Werk ist die Transfiguration. Seine rastlose künstlerische Thätigkeit rieb ihn zeitig auf, er starb am 6. April 1520 u. liegt (neben seiner Geliebten, La Fornarina) im Pantheon zu Rom begraben. Seine bedeutendsten Schüler waren Giulio Romano u. Francesco Penni, welche er zu Erben u. zu Vollendern seiner zurückgelassenen Arbeiten einsetzte. Man unterscheidet nach der Zeitfolge in S. drei Manieren u. bezeichnet die erste mehr befangene, in Zeichnung magere, in Färbung trockne, die von Perugino ererbte; dann eine zweite freie, durch den Anblick griechischer, römischer u. christlicher Kunstwerke gebildete, in welcher blühendes Colorit, Anmuth u. Tiefe der Gestalten, geschmackvolle Anordnung der Gewänder, bei denen er weniger der Antike, als einem eignen Schönheitsgefühl folgte, vorherrschten; endlich eine dritte grandiose, in welcher mehr u. mehr die Form die Motive beherrschte u. Sinn für ideelle Schönheit das Maß der Charakteristik wurde. Die Technik S-s ist namentlich in seinen spätern Bildern vollendet; mit breitem, markigem Pinsel setzte er seine Farben fest auf u. gab die Vollendung, wie in der Sixtinischen Madonna, mit einem Mal. In der Zeichnung des Nackten ist er von Michel Angelo übertroffen. Die Künstler neuerer Zeit studiren vorzüglich noch die schöne, aus dem tiefsten Gefühl für die höhere Symmetrie hervorgegangene Anordnung seiner Bilder. Hauptwerke (mit Übergehung der frühesten, großentheils unter Perugino ausgeführten Malereien): das Sposalizio (in Mailand), Madonna del Grandeca (Pal. Pitti in Florenz), die heilige Familie für Canigiani (in München), die Grablegung (Gallerie der Borghese in Rom), La belle jardinière (in Paris), Madonna del Pesce (im Escurial zu Madrid), die Sta. Cäcilia (Pinakothek in Bologna), Madonna delle Seggiola, Vision des Ezechiel (Palast Pitti in Florenz), Bildniß Leos X. mit den Cardinälen (ebendaselbst); im Vatican zu Rom: Disputa, die Schule von Athen, der Parnaß mit Dichtern der alten u. neueren Zeit, die Einsetzung des bürgerlichen u. des canonischen Rechts, der Tempelraub des Heliodor, die Messe von Bolsena, die Umkehr Attilas vor Rom u. die Befreiung des Apostel Petrus, Leos III. Rechtfertigung vor Karl dem Großen; die Kaiserkrönung Karls des Großen, die Niederlage der Sarazenen auf das Gebet Leos IV. u. der Burgbrand, die Constantinschlacht u. mehre Bilder aus dem Leben Constantins, von S-s Schülern ausgeführt; die Galatea u. die Fabel der Psyche in der Farnesina, die Sibyllen in Madonna delle Pace, die Logen des Vatican aus der Geschichte des A. u. N. T. (Rafaels Bibel, von Schülern ausgeführt u. in Kupfer gestochen von S. Bartoli, auch von Sixt. Badalocchio u. Giov. Lanfranchi, Rom 1614); Erzengel Michael (in Paris); Die Cartons zu den Tapeten aus der Apostelgeschichte (im Schloß Hamptoncourt bei London), die Madonna di Sau Sisto (Sixtinische od. auch vorzugsweise die Rafaelsche Madonna genannt, im Dresdner Museum), die Transfiguration (Vaticanische Gallerie). Sein Bildniß von ihm selbst befindet sich in den Uffizien zu Florenz. S. hat auch mehre Entwürfe zu Sculpturen u. zu Gebäuden gemacht u. einen Plan vom antiken Rom aufgenommen. Auch war S. Dichter lieblicher Sonette u. Übersetzer u. Bearbeiter des Vitruvius. Vgl. Pungileoni, Elogio storico di Giovanni Santi, Urbino 1820; I. D. Passavant, Rafael von Urbino u. sein Vater Giovanni Santi, Lpz. 1839, 2 Thle.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 881-882.
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