Irrenanstalten

[461] Irrenanstalten, Irrenhäuser (die) sollen den unglücklichen Irren eine sichere Zufluchtstätte und die Hülfe jeglicher Art, welche ihr Zustand erheischt, gewähren und zugleich sie verhindern, sich und Andern Schaden zuzufügen. Daher dürfen sie nicht wie in den Zeiten, wo man Wahnsinnige als viehische, bösartige, nur unschädlich zu machende Creaturen betrachtete, denen man fast keine menschlichen Rücksichten mehr schuldig sei, Strafanstalten und Gefängnissen [461] gleichen, sondern müssen wahrhafte Wohlthätigkeitsanstalten sein, was sie jedoch nur dann sein können, wenn sie hinsichtlich ihrer Ausstattung und Einrichtung gewisse Bedingungen erfüllen. Solche Bedingungen sind: 1) daß eine solche Anstalt eine gesunde Lage, wo möglich zugleich in einer schönen Gegend, habe, welche das Gemüth Genesender oder Halbkranker angenehm beschäftigen kann, daß sie namentlich auch im Sommer nicht allzu sehr der Hitze, im Winter nicht allzu sehr der Kälte zugänglich sei, einen hinreichend großen, den Irren zu angemessenen Beschäftigungen, Spielen und Spaziergängen einzuräumenden Garten enthalte u.s.w.; 2) daß sie geräumig genug sei, um die Irren nach dem Geschlecht, der Art und Beschaffenheit ihrer Krankheit u.s.w. ihres eignen Wohls halber so weit, als Noth thut, voneinander zu sondern; 3) daß sie hinlängliche Sicherheit gewähre, damit die Geisteskranken weder entfliehen noch auf irgend eine Weise in Gefahr gerathen können; 4) daß sie den nöthigen Vorrath an Arzeneien und sonstigen Hülfsmitteln, die zur etwaigen Herstellung der Irren erfoderlich sind, besitze, so namentlich die nöthigen Vorrichtungen zu Bädern verschiedener Art, zu Douchen, Drehstühlen und Drehbetten, ferner die zu den mannichfachen mechanischen Beschäftigungen, Gartenarbeiten und dergl. erfoderlichen Geräthschaften, die zur Erheiterung und Zerstreuung Gemüthskranker so viel beitragenden musikalischen Instrumente; 5) aber abgesehen von den oben angegebenen, gewissermaßen nur äußern Bedingungen, daß eine solche Anstalt von einem durch Geist, Gelehrsamkeit. Erfahrung, tiefe Menschenkenntniß und wohlwollende, menschenfreundliche Gesinnung ausgezeichneten Arzte geleitet werde, von einem Manne, der seinem allerdings höchst schwierigen Berufe in jeder Hinsicht genügen könne, außer diesen und einigen Hülfsärzten aber auch noch über ein dienendes Personale verfügen könne, welches durch einen gewissen Grad von Bildung, ganz besonders durch Milde des Charakters, Nachsicht, Geduld, aber auch Entschlossenheit und Festigkeit, Ordnungsliebe und Reinlichkeit geeignet ist, den ihm obliegenden Pflichten nachzukommen. Genügt eine Irrenanstalt den eben genannten und noch manchen andern Ansprüchen, die man an sie machen kann, so lasse man aber auch ab von den Vorurtheilen, die gegenwärtig, wenigstens in Deutschland, keinen Grund mehr haben, und schenke der auf vielfältige Erfahrungen gestützten Versicherung Vertrauen, daß ein Geistes- oder Gemüthskranker in einer wohleingerichteten Irrenanstalt stets eher geheilt werde und jedenfalls besser aufgehoben sei als im Kreise seiner Familie, wären die äußern Verhältnisse derselben auch noch so glücklich. Zum beiweitem größern Theile wohleingerichtete und deshalb zur Versorgung von Geisteskranken geeignete Irrenanstalten besitzt Deutschland folgende: in Sachsen die höchst musterhaft eingerichtete, in einer reizenden Gegend gelegene Anstalt zu Sonnenstein, ferner eine solche zu Kolditz, zu Leipzig im dasigen Georgenhause, endlich mehre empfehlenswerthe Privatheilanstalten für Irre, so auf Wackerbarthsruhe bei Dresden und in Möckern bei Leipzig; in den sächs. Herzogthümern zu Gotha, Jena und Georgenthal; in Preußen zu Berlin (in der dortigen Charité), Königsberg, Neuruppin, Luckau, Halle, Zeitz, Plagwitz, Siegburg, Sorau, Schloß Leubus bei Breslau, Brieg, Düsseldorf, St.-Thomas bei Andernach, Trier, Aachen, Köln und Marsberg; in Ostreich zu Wien, Prag, Grätz, Brünn, Linz, Innsbruck, Hall bei Salzburg; in Baiern zu München, Würzburg, St.-Georgen zu Baireuth, Frankenthal, Bamberg, Augsburg und Königshofen; in Hanover zu Celle und Hildesheim Würtemberg zu Stuttgart, Tübingen und Zwiefalten; in Baden zu Pforzheim und Heidelberg; in Nassau zu Eberbach; in den freien Städten zu Hamburg (in dem allgemeinen Krankenhause daselbst) und zu Frankfurt am Main.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 461-462.
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