Staar [2]

[258] Staar ist die gemeinschaftliche Benennung für zwei Arten von Augenleiden, bei denen das Sehvermögen entweder ganz aufgehoben oder doch in hohem Grade vermindert und geschwächt ist. Man unterscheidet nämlich den grauen und den schwarzen Staar. Unter grauem Staar versteht man ein organisches Leiden der Krystalllinse des Auges oder ihrer Kapsel oder beider Gebilde zugleich, bei welchem die Durchsichtigkeit derselben verloren geht, sodaß die Lichtstrahlen mehr oder weniger verhindert werden, bis zur Netz- oder Nervenhaut des Auges zu dringen, wodurch natürlich das Sehen entweder ganz unmöglich gemacht oder wenigstens in hohem Grade beschränkt wird. Im Anfange kann zuweilen ein in der Entwickelung begriffener grauer Staar mit einem beginnenden schwarzen Staare verwechselt werden. Indeß charakterisiren die Entwickelung eines grauen Staares folgende Erscheinungen. Sowie sich derselbe auszubilden beginnt, was meistens allmälig geschieht, erscheinen dem Kranken die Gegenstände in Nebel gehüllt, schmuzig und staubig; gleichzeitig wird im Mittelpunkte, seltener am Rande der Pupille eine Trübung bemerkbar, bei weiterer Ausbildung zeigt sich am Rande der Pupille ein schwärzlicher Ring. Beginnt die Entwickelung des grauen Staares in der Mitte der Linse, [258] so verbirgt er zunächst die dem erkrankten Auge gerade gegenüber befindlichen Gegenstände, während die seitwärts sich befindenden sichtbar bleiben, weshalb die Kranken auch im Halbdunkel, in welchem die Pupille sich erweitert, besser sehen können als am hellen Tage. Ist aber der Staar völlig ausgebildet, die Krystalllinse gänzlich getrübt, so sieht der Leidende bei heller Beleuchtung besser als in der Dämmerung. Bei noch unbedeutender Trübung der Linse helfen gewölbte Brillen immer noch eine Zeit lang aus, obwol sie die schon eingetretene Kurzsichtigkeit nur wenig zu mindern vermögen. Kerzenflammen sieht der Kranke um diese Zeit in einen weißlichen Nebel gehüllt, später nur noch den sie umgebenden Schein, die Flamme selbst gar nicht mehr. Auch ist die Pupille jetzt noch der Erweiterung und Zusammenziehung fähig. Je nach dem besondern Sitze des grauen Staares unterscheidet man verschiedene Arten desselben, wie namentlich den Linsen-, Kapsel- und Kapsellinsenstaar. Der Linsenstaar beginnt im Mittelpunkte der Linse mit einer gelblichgrauen Färbung, die nach dem Rande zu allmälig verschwindet, und ist am Rande der Pupille, die sich, wie im gefunden Zustande, vergrößert und verkleinert, von einem schwärzlichen Ringe umgeben. Die Linse selbst ist dabei meistens hart und nicht vergrößert. Kranke der Art vermögen in schiefer Richtung, sowie bei schwachem Lichte und davon abhängiger Erweiterung der Pupille noch etwas zu sehen. Diese Art Staar befällt am häufigsten ältere Personen und läßt niemals in der Trübung hellweiße, wolkige Flecken wahrnehmen. Der Kapselstaar entsteht selten von der Mitte der Pupille, sondern meistens vom Rande her bald mit hellgrauen, kreideweißen, wie Wallrath glänzenden Punkten oder Streifen, bald mit perlmutterartigen Flecken. Diese Art Staar zeigt immer eine sehr helle Färbung, aber niemals eine gleichmäßige Sättigung, besteht übrigens nie lange für sich allein, sondern geht meistens bald in Kapsellinsenstaar über. Von dem Kapselstaare unterscheidet man wieder den vordern oder hintern, je nachdem die vordere oder hintere Hälfte der Kapsel verdunkelt ist. Endlich gibt es noch einen vollkommenen Kapselstaar, bei welchem sich an der Pupille nichts mehr von Erweiterung oder Zusammenziehung bemerken läßt. Bei dem Kapsellinsenstaar sind Kapsel und Linse gleichzeitig getrübt, die Pupille ebenfalls unbeweglich, jedoch rund, die Lichtempfindung sehr undeutlich. Hier ist die Kapsel nicht blos verdickt, wie bei dem Kapselstaar, sondern mitunter auch mit Auswüchsen besetzt, die Linse erweicht, aufgelöst, bis zu ihrem Kern sulzig oder milchartig entmischt. Hinsichtlich der größern oder geringern Dichtigkeit des Staars, welche insofern von Wichtigkeit ist, als der Grad derselben die Wahl der Operationsmethode bestimmt, unterscheidet man den harten, den weichen oder käsigen und den flüssigen Staar. Der erst genannte, der nur in der Linse selbst vorkommt, hebt das Gesicht nicht ganz auf, sondern beschränkt es nur (wobei die Regenbogenhaut vollkommen beweglich bleibt), wird meistens bei alten Leuten beobachtet und ist immer dunkel von Farbe; der zweite immer von sehr hellgrauer, graulichweißer oder meergrüner, ungleich vertheilter Färbung; die dritte sehr schwer zu erkennende Art, der flüssige Staar, ist nicht selten angeboren. Wichtig für die Behandlung ist ferner die Unterscheidung des grauen Staars in einen reisen und unreifen. Reif wird derselbe genannt, sobald er keiner weitern Ausbildung mehr fähig ist (er mag übrigens das Gesicht völlig aufheben oder nur beschränken, die Pupille ausfüllen oder nicht), unreif, wenn er sich immer noch weiter ausbilden kann. Was nun die Entstehung des grauen Staars anlangt, so gehören zu den vorzüglichsten Ursachen desselben das höhere Alter, lange fortgesetzter Misbrauch der Augen, ungewohnter, plötzlicher und starker Lichtreiz, heftige und lange anhaltende Einwirkung der Sonnenstrahlen auf den Kopf und die Augen, Arbeiten bei starkem Feuer, Entzündungen der Krystalllinse und ihrer Kapsel, Verletzungen des Auges und namentlich der Krystalllinse, übermäßiger Genuß geistiger Getränke, Gicht, Venerie u.s.w. Oft ist das Leiden auch erblich oder angeboren. Eine Heilung des grauen Staars durch innerliche oder äußerliche Arzneien gehört für jetzt noch zu den sehr seltenen Ausnahmen, einigermaßen zuverlässiger ist die Operation. Diese wird auf verschiedene Art bewerkstelligt. Entweder nämlich entfernt man die verdunkelte Linse sammt ihrer Kapsel gänzlich aus dem Auge (Staarausziehung) oder man bringt sie aus ihren natürlichen Verbindungen und an einen Ort, wo sie dem Sehen kein Hinderniß entgegenstellt (was durch Niederdrückung und Umlegung derselben geschieht, Staarniederdrückung, Staarumlegung), oder man versetzt sie durch künstliche Zerstückelung (Staarzerstückelung) innerhalb des Auges in einen Zustand, in welchem sie nach kürzerer oder längerer Zeit aufgelöst und aufgesogen wird. Selbst im glücklichsten Falle erlangt der am grauen Staare Operirte das Gesicht nie vollkommen wieder. –. Schwarzer Staar wird die Art von Blindheit genannt, welche ihren Grund lediglich in einem krankhaften Zustande der nervösen Gebilde des Auges, namentlich der Nerven- oder Netzhaut und des Sehnerven, hat. Nachdem der Kranke nicht selten sich über eine lästige Trockenheit der Augen und das Gefühl, als wenn der Augapfel aus der Augenhöhle gedrängt werden solle, über Vollsein und Schwere in diesem, längere oder kürzere Zeit auch über Kopfschmerzen und Schwindel beklagt hat, beginnt das Sehvermögen auf einem oder beiden Augen zugleich abzunehmen. Leidet nur die Hälfte der Nervenhaut, so sieht der Kranke die sich ihm darbietenden Gegenstände nur zur Hälfte, sind nur einzelne Stellen der eben genannten häutigen Ausbreitung der Nervensubstanz ergriffen, so sieht er allerhand strich-, ring- oder schlangenförmige Gestalten, die anfangs unstät vor den Augen herumfliegen, späterhin aber feststehen, eine Abweichung des natürlichen Sehens, die man mit der Benennung: »Mückensehen« bezeichnet. Zuweilen hat der Kranke die Empfindung von Licht und Blitzen vor den Augen, oder leidet an Lichtscheu, oder erblickt die Gegenstände wie in Nebel gehüllt, oder mit Kohlenstand bedeckt, oder sieht Alles doppelt, mit einem farbigen Ringe umgeben, ganz verunstaltet und verschoben, schielt, ist fern- oder kurzsichtig u.s.w. Dabei erscheint die Pupille fast immer winkelig und verzogen, bald zu groß, bald zu klein, selten so rein schwarz wie im gefunden Zustande, die Beweglichkeit der Regenbogenhaut meist aufgehoben. Der schwarze Staar entsteht entweder plötzlich oder, wie in der Mehrzahl der Fälle, langsam. Oft ist er ein rein örtliches Übel, andere Male mit allgemeinen Krankheitszuständen verbunden und durch diese bedingt; dergleichen [259] sind z.B. Gicht, Rheumatismus, Wasserkopf, Abzehrungen u.s.w. Obschon der schwarze Staar Menschen von jedem Alter und Geschlecht befallen kann, scheinen ihm doch solche mit braunen oder schwarzen Augen weit mehr ausgesetzt als blau- oder grauäugige, zumal zur Zeit des naturgemäßen Aufhörens der weiblichen Regeln oder nach Unterdrückung eines gewohnten Hämorrhoidalflusses, ebenso Personen von nervösem Temperament und gleicher Körperconstitution, Vollblütige mit Neigung zu Blutandrang nach Kopf und Augen mehr als Andere, wie denn im Allgemeinen ungewöhnlicher Andrang des Blutes nach den Augen die nächste und häufigste Ursache der Krankheit ist. In vereinzelten Fällen gibt eine unerklärbare Empfindlichkeit oder Abneigung gegen manche Nahrungs- oder Arzneimittel, so auch die Schwangerschaft zu seiner Entstehung Veranlassung. Außerdem müssen als Ursachen desselben erwähnt werden der häufige Genuß des Cichorienkaffees, bitterer Biere, bitterer oder betäubender Arzneien, Stockungen und Säfteanhäufungen im Unterleibe, Hypochondrie und Hysterie, Sonnenstich, Entzündung des Gehirns und der Augen, Misbrauch letzterer bei Betrachtung kleiner Gegenstände, häufiges Anschauen des Mondes und der Sonne, allgemeine oder örtliche Schwäche, herbeigeführt durch Ausschweifungen, Krankheiten, häufige und lange anhaltende Gemüthsbewegungen, öftere Nachtwachen, Erschütterungen des Auges, das Vorhandensein von Würmern, die plötzliche Unterdrückung eines fast zur Gewohnheit gewordenen Schnupfens, gewohnter Hand- oder Fußschweiß, der Milchabsonderung bei Wöchnerinnen, das schnelle Verheilen alter Fußgeschwüre, die schnelle Vertreibung langwieriger Hautausschläge, Geschwülste in der Umgebung des Auges, an den Augenlidern u.s.w. Was nun die Heilung des schwarzen Staars betrifft, so ist sie im Allgemeinen sehr unsicher, meist zweifelhaft, oft ganz unmöglich. Am meisten läßt sich noch hoffen, wenn derselbe schnell entstanden ist. Zuweilen wird die Krankheit durch den Wiedereintritt unterdrückt gewesener, naturgemäßer oder gewohnter Ausleerungen, durch das Wiedererscheinen von Ausschlägen und dergl. gehoben. Völlige Heilung beider Augen ist selten, häufiger erlangt nur das eine Auge das Sehvermögen wieder. – Staarbrillen heißen Brillen, die so eingerichtet sind, daß sie Augen, welche mit glücklichem Erfolge am grauen Staare operirt worden, das Erkennen naher Gegenstände erleichtern. Da durch die Operation des grauen Staars eine künstliche Weitsichtigkeit hervorgebracht wird, so müssen dieselben im Allgemeinen wie Brillen für Weitsichtige beschaffen, jedoch ungleich schärfer als diese sein. Auch bedürfen solche Operirte, welche durch die Operation nur ein schwaches, unvollkommenes Gesicht wieder erlangt haben, meistens doppelter Staarbrillen, einer nämlich, mit der sie recht deutlich in die Ferne, und einer andern, mit der sie recht deutlich in die Nähe zu sehen vermögen. Sind die Kranken auf beiden Augen operirt worden, so brauchen sie oft für jedes Auge ein besonderes Glas. Nie darf übrigens eher eine Brille getragen werden, bevor nicht alle Empfindlichkeit, welche von der Operation etwa zurückgeblieben, seit längerer Zeit aus den Augen verschwunden ist und diese sich vollkommen erholt haben. – Staarmesser, Staarnadeln heißen verschiedene bei der Operation des grauen Staars dienende Instrumente.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 258-260.
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