Struensee

[319] Struensee (Joh. Friedr., Graf von), der durch sein Glück und das traurige Schicksal seiner Hinrichtung mit seinem Freunde und Glücksgefährten, Brandt, bekannt gewordene dän. Premierminister, war der Sohn eines Predigers, geb. zu Halle im Saalkreise am 5. Aug. 1737. Er wurde hier nach pietistischen Grundsätzen im Waisenhause erzogen, studirte Medicin und ging bei einer Amtsversetzung seines Vaters als Doctor der Medicin mit demselben nach Altona, wo er Stadtphysikus wurde und bald als geschickter Arzt und talentvoller Schriftsteller in Ruf kam. Von der pietistischen Frömmigkeit war er auf den entgegengesetzten Weg des damals in den höhern Ständen herrschenden Unglaubens der franz. Freigeisterei gerathen, und Verbindungen, die er hier geschlossen, namentlich mit dem Grafen Rantzau-Aschberg und dem nachherigen Grafen Brandt, wurden für ihn die Ursache seiner Erhebung zum Leibarzte des Königs Christian VII. Als solcher begleitete er denselben auf einer Reise durch Deutschland, England und Frankreich, und erhielt bei Gelegenheit der Ernennung des Königs mm Doctor der [319] Rechte an der Universität Oxford von derselben als seltene Auszeichnung die medicinische Doctorwürde. Nach Beendigung der Reise blieb er als Leibarzt und Vorleser des Königs mit einem Gehalte von 1500 Thlrn. am Hofe, war aber in einer anfangs sehr ungünstigen Stellung zu der jungen Königin Karolina Mathilde, einer engl. Prinzessin, da ihn diese für ein Geschöpf des gegen sie rücksichtslosen Lieblings des Königs, des Grafen von Holk, ansah. S.'s Ehrfurcht und Ergebenheit gegen sie bewiesen bald das Gegentheil. Es gelang diesem, die Mishelligkeiten zwischen ihr und dem königl. Ehegatten zu beseitigen, und als er 1770 dem Kronprinzen (dem jüngst verstorbenen König Friedrich VI., s. d.) die Blattern glücklich geimpft hatte, stieg er immer höher in der Gunst. Er wurde zum Hofmeister des Prinzen und zum Cabinetssecretair der Königin mit dem Titel Conferenzrath ernannt, und die Entfernung der wichtigsten Staatsmänner, des ältern von Bernstorff und des Grafen von Holk, und die Erhebung seiner Freunde Rantzau-Aschberg und Brandt an deren Stelle, waren die ersten Folgen seines mächtigen Einflusses. Während nun Brandt der unentbehrliche, lustige Gesellschafter des Königs wurde, strebte der Ehrgeiz S.'s nach der Herrschaft im Staate, die er auch so weit erlangte, daß er im Reiche die größten Veränderungen vornahm und durch Neuerungen und Abschaffung von Misbräuchen die bestehende Staatsverfassung einer gänzlichen Umgestaltung unterwarf. Bei der zunehmenden geistigen Schwäche des Königs und im Besitz des vollen Vertrauens der Königin, hatte es für S. keine Schwierigkeit, daß er 1771 zum geheimen Cabinetsminister ernannt (eine Stelle, die er selbst geschaffen hatte) und dadurch ermächtigt wurde, alle Befehle, sowie es der Sinn des Königs wäre, abzufassen, und dieselben, selbst ohne die Unterschrift des Königs, unter dem königl. Siegel auszufertigen. Es war dies in der That die Übertragung der königl. Gewalt an einen Staatsdiener, deren nächste Äußerungen die Erhebung S.'s und Brandt's in den Grafenstand, und die Auflösung des bisher bestehenden Staatsraths waren. Die Macht, welche S. erlangt hatte, war größer als daß er ihr gewachsen gewesen wäre. Nicht seine Freunde wußte er in Ergebenheit zu erhalten, noch weniger verstand er auf das Volk zu wirken. Durch die Einführung vollkommener Preßfreiheit hatte er demselben die gefährlichste Waffe gegen sich in die Hände gegeben, und es fühlte sich in seiner Nationalität beleidigt, als S. die Befehle zu den ihm fremden Einrichtungen in der ihm fremden, der deutschen Sprache, ertheilte. Besonders aber warf sich die Misgunst gegen ihn auf sein Verhältniß zur Königin und bezeichnete dasselbe nach der Wahrscheinlichkeit, daß die junge geistreiche Frau an ihrem Gemahl keinen Gefallen finden könne, als verbotenen Umgang. Als der Volksunwille zuerst in einem Aufstande von 300 Matrosen, welche ihren rückständigen Sold foderten, und dann noch bedenklicher in einem Aufruhre unter der Mannschaft der von S. verabschiedeten, aus Eingeborenen bestehenden Leibwache, welche sich nicht unter die Regimenter der Garnison wollten versetzen lassen, gegen ihn ausbrach, zeigte S. durch die Verwilligungen, die er den Empörern machte, seinen gänzlichen Mangel an Muth und Entschlossenheit, was zu dem Verdachte führte, daß er seiner Verbrechen und des Misbrauchs seiner Macht sich bewußt sei. In dieser gefahrvollen Lage erbot sich der engl. Gesandte, um das Schicksal der Königin besorgt, ihm eine bedeutende Geldsumme vorzuschießen, wenn er Kopenhagen verlassen wollte; aber die Königin bat ihn, zu bleiben, und S. zeigte neue Zuversicht. Jetzt aber stiftete die Stiefmutter des Königs, Juliane Marie, zu Gunsten ihres Sohnes Friedrich die Verschwörung der früher zurückgesetzten Hofpartei, die den Fall S.'s zur Entscheidung brachte. In der Nacht zum 17. Januar 1772, nach Beendigung eines Hofballes, wo die Königin zum Schlusse noch mit dem Prinzen Friedrich (dem Sohne ihrer Feindin, der verwitweten Königin Mutter) getanzt hatte, drangen die Verschworenen in das Schlafgemach des Königs und wußten ihn zur Unterzeichnung der Verhaftungsbefehle zu bewegen, die noch bis zum Morgen des Tages vollzogen wurden. S. und Brandt wurden ins Gefängniß gebracht, die Königin mit Gewalt nach dem Schlosse Kronenburg abgeführt. Bei dem Volke wurde die Verhaftung S.'s als ein für das ganze Land glückliches Ereigniß angesehen, und in Flugschriften, denen die freigegebene Presse ungehinderten Lauf verstattete, war es bald der nordische Dieb, bald Apollyon oder der große Drache, bald der ehemalige Barbier, dessen Bosheit mit Strang, Schwert, Schwefel und Theer bestraft werden müßte. Das Gericht, dem das Schicksal S.'s übergeben war, war zum Theil aus seinen persönlichen Feinden zusammengesetzt. Mit Bedauern bekannte S., daß er durch voreilige Maßregeln den Staat verwirrt und ins Unglück gebracht, und über sein Verhältniß zur Königin legte er im Angesichte der für ihn bestimmten Foltermartern das erzwungene Geständniß ab, daß er strafbar sei, was von der Königin, in der Hoffnung, S. dadurch zu retten, bestätigt ward. So wurde über S. das Urtheil gesprochen: sein Wappen solle durch den Scharfrichter zerbrochen, ihm, nachdem er Brandt's Hinrichtung mit angesehen, Kopf und rechte Hand durchs Beil abgeschlagen und auf einen Pfahl genagelt, sein Körper geviertheilt und aufs Rad geflochten werden. Durch den Beistand des Doctors Münter (nachmals Bischof) hatte S. in den Tagen des Unglücks den Trost des Christenthums wiedergefunden, das er im Glück leichtsinnig von sich gewiesen hatte, und so hörte er sein Todesurtheil mit ruhiger Fassung, das am 28. Apr. 1772 in allen Punkten vollzogen wurde. S. war kein Tyrann, der die ihm verliehene Macht zur Unterdrückung des Volks und zur Befriedigung seiner Selbstsucht gebrauchte; sein schlimmster Fehler war, daß es ihm bei seinen wohlgemeinten Staatsverbesserungen ebenso sehr an Mäßigung als weiser Umsicht gebrach. – Noch härter war das Schicksal seines Freundes Enewold von Brandt, da seine Hinrichtung nicht aus dem Grunde eigner Verbrechen, sondern wegen seiner engen Verbindung mit S. erfolgte. Er stammte aus einer angesehenen adeligen Familie in Dänemark, war früher königl. Kammerjunker gewesen, und als solcher einmal wegen beleidigender Äußerungen gegen den Grafen Holk des Landes verwiesen worden. Schon vor der Erhebung S.'s mit demselben persönlich befreundet, wurde er nach derselben von diesem wegen seiner Liebenswürdigkeit und seiner muntern, witzigen Laune dem Könige zum Gesellschafter gegeben. Dieser foderte von seinen Günstlingen den freiesten Umgang, und Brandt hatte sich in einem Streit mit dem Könige einmal erlaubt, sogar Hand an diesen zu legen. Zwar hatte ihm der König selbst verziehen, aber nach seiner Verhaftung [320] wurde dieser Vorfall Brandt zum Verbrechen des Hochverraths angerechnet und als Grand seiner Hinrichtung geltend gemacht. – Karl August v. Struensee, der ältere Bruder des Vorhergehenden, geb. 1735, studirte Theologie und hat sich als ein gründlicher Gelehrter, besonders im Fache der Mathematik und Philosophie, auszeichnet. Seit 1757 als Professor dieser Wissenschaften an der Ritterakademie zu Liegnitz wirksam, ging er 1769, auf Veranlassung seines Bruders, nach Kopenhagen, und wurde hier als dän. Justizrath und Mitglied des Finanzcollegiums angestellt. Der Sturz seines Bruders brachte ihn in Verhaftung, aus der er aber nach kurzer Zeit und von jedem Vorwurfe rein in sein Vaterland zurückkehrte. Ohne Neigung, wieder ein öffentliches Amt zu bekleiden, schlug er die von König Friedrich II. ihm angebotene noch offene Stelle an der Ritterakademie zu Liegnitz aus und zog sich auf sein Gut Alzenau bei Haynau in Schlesien zurück, wo er seine Zeit zur Abfassung werthvoller wissenschaftlicher Werke anwandte. Im J. 1782 als Oberfinanzrath und Director der Seehandlung nach Berlin berufen, zeichnete er sich in der Verwaltung dieser Ämter aus, wurde mit dem Namen von Karlsbach 1789 geadelt und starb als Staatsminister und Chef des Accise- und Zolldepartements 1804.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 319-321.
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