Unterthan

[532] Unterthan eines Staats heißt, wer die Gewalt desselben über sich anzuerkennen schuldig ist, und da sich diese über das ganze Staatsgebiet erstreckt, ein Jeder, der sich innerhalb desselben aufhält, ohne als Herrscher oder Repräsentant eines fremden Staats von der Unterthänigkeit befreit zu sein, welches Letztere man Exterritorialität nennt. Man unterscheidet indeß zwischen den eigentlichen Angehörigen des Staats, die ihre Heimat in demselben haben, als beständige Unterthanen, und den Fremden, die sich nur vorübergehend darin aufhalten, den zeitigen, uneigentlichen Unterthanen oder Schutzgenossen und den sogenannten Forensen, welche gar nicht darin leben, sondern nur mit Grundgütern daselbst angesessen sind. Obwol die Letztern der Staatsgewalt eigentlich nur in Bezug auf diese Grundstücke unterworfen sein sollten, so wird doch die Unterthaneneigenschaft in den Ländern, in welchen der sogenannte volle Landsassiat gilt, wie in Sachsen, auch auf die Person ausgedehnt. Man unterscheidet außerdem noch zwischen mittelbaren und unmittelbaren Unterthanen, worunter man aber heutiges Tags nichts Anderes mehr verstehen kann, als Solche, die in erster Instanz einem Patrimonialrichter, und Solche, die den landesherrlichen Unterbehörden unterworfen sind. Ein persönliches Unterthänigkeitsverhältniß zu dem Gutsherrn, wie es das Mittelalter kannte, gibt es nicht mehr, wenngleich auch jetzt noch mancherlei aus jener Zeit herrührende, der Gutsherrschaft zu leistende Abgaben und Dienste bestehen. Da das Wort Unterthan an den frühern gedrückten und oft rechtlosen Zustand des Volks erinnert, so ist es dadurch in neuern Zeiten, welche das Verhältniß des Volks zu dem Herrscher vielfach umgestalteten und auch dem Volke eine gewisse Anerkennung seiner Rechte brachten, sehr unbeliebt geworden, obwol man selbst die Angehörigen einer Republik, als dem Staatsoberhaupte und dem Gesetze unterworfen, mit Recht Unterthanen nennen kann. In Frankreich namentlich hat man zu verschiedenen Malen nach der Julirevolution ausdrücklich gegen die Bezeichnung sujets, als einen Zustand der Unfreiheit bezeichnendes, protestirt. Es sind dafür die Ausdrücke Staatsangehörige, Staatsgenossen,[532] Staatsbürger beliebter geworden, dessen sich auch die Theorie des constitutionnellen Staatsrechts und die meisten Verfassungen der Neuzeit bedienen. Staatsbürger im engern Sinne kann man aber nur diejenigen Staatsgenossen nennen, welche durch ausdrückliche Aufnahme in den Staatsverband recipirt worden sind. Mit dieser Aufnahme ist die den Staatsoberhaupte zu leistende Huldigung verbunden, durch welche der Staatsbürger demselben Treue und die höchste staatsbürgerliche Verehrung zu den Gesetzen und ihren Vollziehern Gehorsam angelobt. Außerdem ist er auch seinen Mitbürgern eine gewissenhafte Beobachtung der Verfassung und eine thätige Mitwirkung in Vertheidigung derselben und des gemeinsamen Vaterlandes, wenn Gefahr drohen sollte, schuldig. Als Bürger der Gemeinde, welcher er angehört, ist er zu einer gewissenhaften Erfüllung aller ihm als Mitglied derselben obliegenden Pflichten, zur Achtung der Persönlichkeit und Rechte seiner Mitbürger und zu einem gesitteten, kein Ärgerniß in der Gemeinde gebenden Betragen verbunden, als Familienvater endlich ist er dem Staate und seiner Kirche Heilighaltung der Ehe, physische Verpflegung und vernünftige Erziehung der Kinder, Vertretung und Beschützung der Familie und Handhabung einer rechtlichen und sittlichen Ordnung unter seinen Hausgenossen schuldig. Zur Befolgung aller dieser Obliegenheiten ist der Staatsbürger bei der Aufnahme in den Bürgerband feierlich zu verpflichten. Die Rechte der Staatsbürger lassen sich in solche, welche jedem Staatsgenossen schon als Menschen vernünftigerweise zugestanden werden sollten, und in solche, welche ihm nur durch die ausdrückliche Aufnahme in einen bestimmten Staatsverband zugestanden werden können (eigentliche staatsbürgerliche oder politische Rechte) eintheilen. Die erstern, welche indeß bis jetzt keineswegs in allen Staaten, selbst nicht einmal in den mit einer freiern Verfassung versehenen sogenannten constitutionnellen Staaten zur Wirklichkeit geworden, sind: 1) Das Recht auf die Freiheit und Sicherheit der Person. 2) Das Recht des freien Erwerbs, vermöge dessen der Staatsangehörige eine jede an sich erlaubte Beschäftigung als Quelle seines Unterhalts wählen und an jedem Orte ungehindert treiben darf. 3) Das Recht der Freiheit und Sicherheit des Eigenthums. 4) Das Recht der freien Rede und der freien Presse. 5) Das Recht der Gewissensfreiheit, vermöge dessen ein jeder rechtlich selbständige Staatsgenosse seine Religionsüberzeugungen ungehindert bekennen und seine äußere Gottesverehrung nach seinem religiösen Bedürfnisse einrichten und ausüben darf, ohne daß die Beschaffenheit oder die Veränderung des Religionsbekenntnisses und Cultus auf seine bürgerliche oder politische Rechtsfähigkeit den geringsten Einfluß äußert. 6) Das Recht der freien Einigung, das heißt das Recht zur Verfolgung erlaubter Zwecke mit andern Verbindungen (Gesellschaften oder Corporationen) einzugehen, ohne hierzu, wenn der Verein nicht die Eigenschaft einer moralischen Person erlangen will, einer besondern Erlaubniß des Staats zu bedürfen, ohne aber auch den Verein dem Staate verheimlichen zu wollen. 7) Das Recht der Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetze. Die Freiheit vor dem Gesetze besteht in dem Rechte der freien Wirksamkeit innerhalb der Grenzen der Gesetze, also in der Befugniß, Alles zu thun, was durch kein Gesetz verboten, und Alles zu unterlassen, was durch kein Gesetz geboten ist. Vermöge der Gleichheit vor dem Gesetze soll es vor diesem keinen Bevorzugten hinsichtlich der bürgerlichen Rechte und Pflichten geben. Endlich 8) das Recht der freien Auswanderung, welchem zufolge es einem jeden Staatsgenossen unbenommen bleibt, aus dem Unterthansverbände, nach Erfüllung aller Verbindlichkeiten gegen den Staat, deren Erfüllungszeit bereits gekommen ist, mit seinem Vermögen ungehindert und ohne Belästigung auszutreten, um sich einem andern Staatsvereine wieder anzuschließen. Die höhern staatsbürgerlichen oder politischen Rechte, welche noch weniger allgemein zur Geltung gelangt sind, als die soeben aufgeführten, und welche jedenfalls ein ausdrückliches Zugeständniß durch die Grundgesetze des Staats voraussetzen, sind: 1) Das Recht Volksvertreter zu ernennen und selbst als solche gewählt zu werden. 2) Das Recht zu Staatsämtern zu gelangen, wenn man die dazu nöthigen intellectuellen und sittlichen Eigenschaften besitzt. Es muß daher auch jedem Bürgersohne freistehen, sich zum Staatsdienste durch Benutzung der hauptsächlich hierzu vorhandenen Lehranstalten vorzubereiten und sich demnächst um ein Amt zu bewerben. Eine Beschränkung dieses Rechts auf gewisse Stände oder Vermögensverhältnisse ist ebenso ungerecht als unpolitisch. 3) Das Recht der Petition (s.d.), d.i. das Recht, zum Zweck der Realisirung gemeinschaftlicher Bitten, Beschwerden oder Vorschläge öffentliche Versammlungen und Berathungen mit Vorwissen der Obrigkeit zu halten. 4) Das Recht der Motion, d.i. die Befugniß, Vorschläge, die sich auf die Gesetzgebung, Rechtspflege oder Verwaltung beziehen, den Volksvertretern zur Prüfung und weitern Beachtung vorzulegen. 5) Das Recht der Publicität, d.i. die Befugniß, die Handlungen der Regierungsbehörden ohne Verletzung der schuldigen Achtung öffentlich zu beurtheilen. 6) Das Recht der Bitte um Zurücknahme eines verfassungs- oder gesetzwidrigen Befehls bei der Behörde, welche diesen erlassen hat; sowie das Recht der Beschwerde bei der zunächst höhern Behörde, wenn die Bitte, und das Recht der Klage vor Gericht, wenn die Beschwerde ohne Erfolg durch alle Instanzen gegangen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 532-533.
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