Waldenser

[644] Waldenser (die) sind eine berühmte christliche Sekte, durch welche mehre Jahrh. vor der Reformation eine bessere Richtung des röm.-katholischen Glaubens und Lebens in der Kirche vorbereitet wurde, und von der, aller Verfolgungen von Seiten der Katholiken ungeachtet, noch jetzt ehrwürdige Überreste vorhanden sind. Nach den neuesten Forschungen und der bei ihnen zu findenden Überlieferung entstanden sie schon im 9. Jahrh. in den Thälern von Piemont, daher ihr Name vom lat. vallis und franz. vallée abstammen und Thalbewohner zu verdeutschen sein würde. Sonst wird er von Petrus Waldus, einem reichen Bürger Lyons, gewöhnlich hergeleitet, der aber erst um 1170 lebte. Das Lesen der heiligen Schrift begeisterte ihn, als Apostel aufzutreten und den Zustand der apostolischen Kirche zu erneuern. Er verschenkte seine Reichthümer an die Armen, trat in seiner Vaterstadt als apostolischer Lehrer auf und sah sich in kurzem von einer ihm gleichgesinnten zahlreichen Gemeinde umgeben. Nach ihm Waldenser genannt, hießen sie nach dem Orte ihrer Entstehung Leonisten, wegen ihrer freiwilligen Armuth Arme von Lyon, wegen ihrer bekreuzten Holzschuhe oder Sandalen (Sabots) Sabatati oder Insabatati, wegen ihrer Demuth Humiliaten. Anfangs weit entfernt, sich als besondere Sekte von der Kirche loszureißen, war es nur ihr gemeinsames Streben, die Sitten zu verbessern und, freilich im Gegensatze zu den Satzungen der Kirche, die h. Schrift zum Mittelpunkte des christlichen Lebens zu machen. Der Erzbischof von Lyon verbot ihnen aber das Predigen und Erklären der Bibel, und dasselbe that Alexander III. 1179, an den sie sich mit gutem Vertrauen um Aufhebung des Verbots gewandt hatten. Dieser Widerstand steigerte aber den religiösen Eifer der Waldenser und mit demselben wuchs ihre Partei, welche als Ketzer nun auch öffentlich von Lucius III. zu Verona 1184 verdammt wurden. Trotzdem breiteten sie sich unter der Begünstigung der Grafen von Toulouse und Foix in Südfrankreich aus, von wo aber später, als die Verfolgungen der Albigenser mit über sie ergingen, viele Waldenser nach Aragon, Savoyen und Piemont flohen und selbst in Oberitalien, vorzüglich in Mailand, heimisch wurden. Ein mislungener Versuch Innocenz III., sie mit der Kirche wieder auszusöhnen und ihre Armuth zum Mönchsgelübde umzugestalten, beschleunigte die Verfolgungen der Inquisition, denen sie in Spanien und nach und nach im südl. Frankreich erlagen, wo die letzten Waldenser unter Ludwig XIV. vertrieben wurden. (S. Cevennen.) Mit mehr Sicherheit lebten sie in den unzugänglichen Thälern von Savoyen und Piemont; aber auch hier rückte auf Befehl Papst Sixtus IV. zu ihrer Vertilgung ein Kreuzheer heran, das jedoch muthig von ihnen zurückgeschlagen wurde. Während dieser Zeit waren einzelne Haufen der Waldenser nach Unteritalien ausgewandert, wo sie jedoch bald verschwanden; andere kamen nach Böhmen, wo sie Grubenheimer hießen, weil sie sich in Höhlen und Gruben zu verbergen pflegten; hier halfen sie später die Gemeinden der böhmischen und mährischen Brüder stiften und durch diese wurden sie auch nach Polen und Preußen zerstreut. Seit der Reformation befanden sich die Waldenser mit den Reformirten in der Schweiz und in Frankreich in kirchlicher Gemeinschaft, wozu die Ähnlichkeit des Glaubens, des Gottesdienstes und der Sitten einen leichten Anknüpfungspunkt bot. Mit diesen theilten sie das gleiche Schicksal des Drucks und der abwechselnden Verfolgung; namentlich waren es aufgeregte Volkshaufen, geführt von schwärmerischen Mönchen und raubsüchtigen Soldaten, von denen sie zu wiederholten Malen in ihren Thälern unversehens überfallen und ohne Unterschied des Geschlechts und Alters auf das grausamste beraubt und gemordet wurden. Die durch Einsprache protestantischer Fürsten ihnen 1655 zugesicherte beschränkte Religionsfreiheit ward schändlich gebrochen und sie zur Auswanderung in protestantische Länder gezwungen. Es entstanden Gemeinden derselben in der Schweiz, den Niederlanden, England und seit 1699 im Würtembergischen, wo gegenwärtig die Waldenser in zehn Gemeinden 1600 Köpfe stark sind. Die Muttergemeinden konnten sich unter dem fortdauernden Drucke der katholischen Regierung nur selten eines ruhigen Zustandes erfreuen, und zur Zeit der Noth und Bedrängniß erhielten sie Unterstützung von ihren auswärtigen Glaubensbrüdern. Napoleon erst gab ihnen Glaubensfreiheit, aber nach dem Ende seiner Herrschaft fielen sie wieder unter den alten Druck, sodaß in neuester Zeit diese Urgemeinden des Protestantismus nur durch die Verwendung Englands und Preußens, wo für sie 1826 eine Collecte gesammelt wurde, erhalten werden konnten. Die Gesammtzahl der Waldenser rechnet man gegenwärtig auf einer Landschaft von zwölf Quadratmeilen auf 15–20,000 Seelen. Ihre Hauptsitze sind in drei Alpenthälern von Piemont: Luzern, wo sechs Gemeinden sind, Perusia, wo vier Gemeinden sind, und St.-Martin, wo drei Gemeinden sich befinden. Zu jeder Zeit haben sie vor ihren katholischen Nachbarn den Ruhm stiller, ehrlicher und arbeitsamer Menschen behauptet. Ihre Lehre ist rein gegründet auf die h. Schrift und ihre Sitte schließt sich an den Buchstaben der Bergpredigt, daher sie den Eid und jedes Blutvergießen verwerfen. Jede Gemeinde wird von einem Predigerältesten und Diakonus geleitet; [644] dieser Vorstand übt auch die Kirchendisciplin, die sich durch strenge Zucht auszeichnet. Auf jährlichen Synoden wird das Wohl der Gemeinden berathen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 644-645.
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