Hamann

[673] Hamann, Johann Georg, deutscher Schriftsteller, geb. 27. Aug. 1730 zu Königsberg i. Pr., gest. 21. Juni 1788 zu Münster in Westfalen, gemeinhin der Magus aus Norden genannt, widmete sich seit 1746 in seiner Vaterstadt dem Studium der Philosophie, sodann dem der Theologie und endlich dem der Rechte, beschäftigte sich aber vorzugsweise mit Sprachen, Philosophie und Kritik. Nach Beendigung seiner Studien führte er ein unstetes Leben, bald als Hauslehrer, bald ohne Beschäftigung an verschiedenen Orten. In Angelegenheiten seiner Freunde in Riga unternahm er eine Reise über Berlin (wo er Moses Mendelssohn, Ramler und Sulzer kennen lernte), Hamburg, Lübeck und durch Holland nach England. In London blieb er über ein Jahr und ergab sich aus Mißmut über den ungünstigen Erfolg der ihm übertragenen Geschäfte Ausschweifungen, aus denen ihn endlich das Lesen der Bibel rettete. 1758 war er wieder in Riga, bis ihn 1759 sein Vater nach Königsberg zurückrief. Hier lebte er in glücklicher Muße dem Studium der alten Literatur und der orientalischen Sprachen, sah sich aber endlich genötigt, einen Erwerb zu suchen, und wurde zuerst Kopist bei dem Königsberger Magistrat, dann Kanzlist bei der Domänenkammer, entsagte aber 1764 auch diesen Geschäften, machte eine Reise durch Deutschland und die Schweiz und wurde 1765 abermals Hauslehrer in Mitau. Später erhielt er durch Kants Empfehlung die Stelle eines Schreibers und Übersetzers bei der Provinzialakzise und Zolldirektion und 1777 die eines Packhofverwalters. Nachdem er 1782 einen Teil seiner Einkünfte verloren, lebte er mit seiner Familie in dürftigen Umständen, bis ihm 1784 ein ihm damals unbekannter Wohltäter (Buchholz in Münster) durch ein ansehnliches Geldgeschenk aus der Not half. H. nahm 1787 seinen Abschied und lebte von da an abwechselnd in Düsseldorf und Münster im vertrauten Umgang mit Jacobi und der Fürstin Galizyn, die ihm auch zu Münster ein Denkmal setzen ließ. Als Schriftsteller wurde H. von dem großen Publikum wenig beachtet, dafür hat er um so stärker auf die Besten seiner Zeit, auf Herder, Goethe, Jacobi u. a., eingewirkt; schon früh wurde er als »Chef einer Sekte« bezeichnet. Er hat nie seine Ansichten systematisch dargelegt, sondern immer aphoristisch aus Anlaß irgend eines Ereignisses in der gelehrten Welt, das ihn zur Zustimmung oder, was weit häufiger der Fall war, zum Widerspruch herausforderte. Von seinen zahlreichen Schriften sind die meisten nicht über zwei Bogen stark. Seine dunkle, gesuchte, gehackte Ausdrucksweise bezeichnet er selber als einen »verfluchten Wurststil«. Durch alle seine Schriften zieht sich die Polemik gegen die Aufklärungsbildung hindurch. Die Vernunft ist ihm nicht das höchste Prinzip; Phantasie und Gemütsleben sollen daneben zu ihrem Recht kommen, oder wie Goethe in »Dichtung und Wahrheit« die Grundideen Hamanns vortrefflich formuliert hat: »Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, muß aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringen; alles Vereinzelte ist verwerflich.« So kam es, daß die Geniemänner H. als ihren Propheten betrachteten, doch unterschied er sich von ihnen dadurch, daß er die Hauptbetätigung des Gemütslebens in der Hingabe an den Offenbarungsglauben erblickte. Auf die literarische Entwickelung hat er besonders durch seine Untersuchungen über die Entstehung der Sprache und Poesie eingewirkt, in denen er nachwies, daß hier Vernunft und Phantasie in unauflöslicher Verbindung gewaltet hätten; in den »Kreuzzügen eines Philologen« (1762) führte er den Gedanken aus, die Poesie sei die Muttersprache des menschlichen Geschlechts. Auch erklärte er, die Sprachrichtigkeit lasse sich nicht ein für allemal feststellen, und empfahl das Individuelle, »Eigensinnige«[673] in der Ausdrucksweise. Fragmente aus Hamanns Schriften gab Cramer heraus u. d. T.: »Sibyllinische Blätter des Magus aus Norden« (Leipz. 1819), seine »Sämtlichen Schriften« Fr. Roth (Berl. 1821–43, 8 Bde.). Vgl. »Biographische Erinnerungen an H.« (von C. Carvacchi, Münst. 1855); Gildemeister, J. G. Hamanns, des Magus im Norden, Leben und Schriften (Gotha 1857–68, 5 Bde.; Bd. 6: »Hamann-Studien«, 1873); »J. G. Hamanns Schriften und Briefe«, erläutert und herausgegeben von Moritz Petri (Hannov. 1872–74, 4 Bde.); Poel, J. G. H., der Magus im Norden; sein Leben und Mitteilungen aus seinen Schriften (Hamb. 1874 bis 1876, 2 Tle.); »Hamanns Leben und Werke in geordnetem, gemeinfaßlichem Auszug«, herausgegeben von Claassen (Gütersl. 1885); Minor, J. G. H. in seiner Bedeutung für die Sturm- und Drangperiode (Frankf. 1881); H. Weber, H. und Kant (Münch. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 673-674.
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