Rossīni

[162] Rossīni, Gioacchino Antonio, Komponist, geb. 29. Febr. 1792 zu Pesaro im Kirchenstaat, gest. 13. Nov. 1868 in Passy bei Paris, war der Sohn einer armen Musikerfamilie, fand, als sein Talent bemerkt wurde, Protektoren, die ihn als Schüler zu Padre Mattei nach Bologna sandten; doch brach er die Kontrapunktstudien bald ab, um ungehindert vom Schulzwang sich der freien Komposition zu widmen. Sein erstes dramatisches Werk, die 1810 für Venedig geschriebene einaktige komische Oper »11 cambiale di matrimonio«, hatte leidlichen Erfolg. Der eigentliche Ruhm Rossinis datiert indes erst von 1813, in welchem Jahre seine zehnte Oper: »Tancredi«, in Venedig über die Bühne ging und ganz Italien in einen Rausch des Entzückens versetzte. In demselben Jahre brachte R. daselbst noch die komische Oper »L'Italiana in Algeri«, die nicht minder gefiel, und nach mehreren minder glücklichen Werken 1815 die ernste Oper »Elisabetta« für den Impresario Barbaja in Neapel. 1816[162] folgte in Rom sein berühmtestes Werk: »Il barbiere di Seviglia«, in dem R. an Melodienreichtum, sprudelndem Humor und dramatischer Schlagkraft sich selbst übertroffen hat, was freilich nicht hinderte, daß die Oper bei ihrem ersten Erscheinen ausgepfiffen wurde, weil man es dem Künstler als Anmaßung vorwarf, denselben Stoff komponiert zu haben, durch den sein Vorgänger Paesiello (s. d.) das römische Publikum für sich gewonnen hatte. Von den in den nächsten Jahren entstandenen Opern sind als die vorzüglichsten und erfolgreichsten zu nennen: »Otello« (Neapel 1816); die komische Oper »Cenerentola« (»Aschenbrödel«, Rom 1817); »La gazza ladra« (»Die diebische Elster«, Mail. 1817); »Mosè in Egitto« (Neap. 1818); »La donna del lago« (das. 1819); »Maometto II« (das. 1820); 1822 zog Barbaja, mit dem R. bis 1823 festen Kontrakt hatte, mit seiner Truppe nach Wien, das durch die Musik Rossinis in Ekstase versetzt wurde. Um diese Zeit befand sich R. auf dem Gipfel seines Ruhmes. Nachdem er im folgenden Jahre noch für Venedig seine »Semiramide« geschrieben, wandte er sich nach Paris, übernahm daselbst zwei Jahre lang die Direktion der Italienischen Oper und wurde dann zum Generalintendanten der königlichen Musik und »Generalinspektor des Gesanges in Frankreich« ernannt. Indessen arbeitete er sowohl für die Italienische als für die Große Oper, indem er 1825 die Krönung Karls X. mit der Oper »Il viaggio a Reims« verherrlichte, 1826 seinen »Maometto« für die Große Oper umgearbeitet als »Le siége de Corinthe« auf die Bühne brachte, eine noch durchgreifendere Umarbeitung mit »Mosè« vornahm, der 1827 als »Moïse en Egypte« mit großem Beifall ausgeführt wurde, und endlich 1829 seinen »Guillaume Tell« schuf. Mit letzterm beschloß R., fast 40 Jahre vor seinem Tode, trotz vollkommener geistiger und körperlicher Frische, seine Laufbahn als Opernkomponist und gab so der Welt ein in der Kunstgeschichte vielleicht einziges Schauspiel von Entsagung und Selbstbeschränkung. In der Folge veröffentlichte er nur noch ein »Stabat mater« (1842) und einzelne kleinere Kompositionen, darunter »Soirées musicales«, eine Sammlung ein- und zweistimmiger Gesänge. Einen Prozeß wegen der infolge der Julirevolution ihm entzogenen Staatspension gewann er. Nachdem er einige Jahre Mitunternehmer der Italienischen Oper in Paris gewesen, wandte er sich 1836 wieder nach Italien, wo er meist in Bologna lebte, kehrte aber 1855 doch wieder nach Paris zurück. Seine Asche wurde 3. Mai 1887 im Pantheon zu Florenz beigesetzt. In R. feierte die echte italienische Oper mit ihrer souveränen Herrschaft der Melodie über alle andern Faktoren noch einmal einen vollen Triumph, der den Streitern für die Rechte des Dramatischen gegenüber der Musik den mühsam errungenen Lorbeer ernstlich streitig machte. Als sein eigenstes und vollendetstes, in allen Teilen harmonisch zusammenstimmendes Werk ist der »Barbier« zu bezeichnen. Durch den »Tell« wurde R. zum Mit schöpfer der französischen großen Oper, ein neuer Beweis für die schöpferische Kraft und geistige Elastizität des Künstlers. Seine wenigen Kirchenstücke (das genannte »Stabat mater«, eine 1864 geschriebene, aber erst nach seinem Tod ausgeführte Messe etc.) sind als solche von keiner Bedeutung. Sein Leben beschrieben Beyle-Stendhal (Par. 1823, 2 Bde.; neue Ausg. 1892), Azevedo (das. 1865), Edwards (Lond. 1869; in kürzerer Fassung 1899), Pougin (Par. 1871), Zanolini (Bologna 1875), Joseph Sittard (Leipz. 1882) und Dauriac (Par. 1906). Vgl. auch »Lettere di G, R.« (hrsg. von Mazzatinti und Manis, Flor. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 162-163.
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