Synagōge

[241] Synagōge (griech., »Versammlung«, neuhebr. Bet hakenesset, »Versammlungshaus«), das Gotteshaus der Israeliten, wie es sich in und nach dem babylonischen Exil aus Versammlungen zur Feststellung aller Lebensverhältnisse nach und nach zum Bethaus ohne Opferkultus entwickelt hat, und dessen zur Zeit Esras teilweise schon eingeführte Gebetordnung noch heute die Grundlage des jüdischen Gottesdienstes bildet. In allen ansehnlichen Städten Judäas waren schon im 1. Jahrh. nach Esra Räumlichkeiten, wo allsabbatlich und an den Festtagen, später am zweiten und fünften Tage der Woche, den Markt- und Gerichtstagen, anfänglich in freier Auswahl, dann nach festgesetzter Reihenfolge ein Abschnitt aus dem Pentateuch und bald auch ein Prophetenabschnitt (Haftara) vorgelesen und in Gemeinschaft gebetet wurde. Auch außerhalb Palästinas, wo Jerusalem allein 480 Synagogen besessen haben soll, gab es viele und schöne Synagogen; als größte wird die in Alexandria erwähnt. Neben dem Bethaus befand sich oft das Lehrhaus; nicht selten wurde das höhere Studium in jenem selbst betrieben, was den Namen Judenschule für S. veranlaßte. Seit dem 5. Jahrh. fanden hinsichtlich der Anlegung und der Anzahl derselben vielfache beschränkende Gesetze statt. Die wesentlichsten Bestandteile jeder S. sind: dem Eingange gegenüber die die Gesetzrollen enthaltende heilige Lade (Aron Hakodesch), Repräsentant der ehemaligen Bundeslade; daneben ein Leuchter, dem siebenarmigen Leuchter des Tempels entsprechend; in der Mitte die Almemor oder Bimah genannte Estrade, für die Vorlesungen bestimmt, und das ewige Licht. Männer und Frauen sitzen gesondert. Zur Abhaltung der öffentlichen Andacht sind mindestens zehn über 13 Jahre alte männliche Israeliten erforderlich (Minjan). Die Gebete und biblischen Lektionen verrichtet der Vorbeter (Chasan); Vorträge an Sabbaten und Festtagen hält der Rabbiner oder der Prediger. In neuerer Zeit hat die Orgel Eingang in die S. gefunden und ist neben der hebräischen die Landessprache mehr in Aufnahme gekommen; ebenso sind im In- und Auslande zahlreiche Synagogen von architektonischer Schönheit, viele derselben als Monumentalbauten, errichtet worden. Vgl. »The Jewish Encyclopedico«, Bd. 11, S. 619; über die Architektur der Synagogen ebenda, S. 621 ff. (New York 1905). Über Einrichtung der S. in den ersten christlichen Jahrhunderten vgl. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 2. Bd., S. 427 ff. (Leipz. 1898). – Die große S. (kenesseth hagdolah) nennen talmudische und rabbinische Quellen eine aus 120 Gelehrten bestehende Versammlung, die unter dem Präsidium Esras die religiösen Angelegenheiten ordnete; geschichtlich ist aber darunter nur eine von Esra bis auf Simon den Gerechten (gest. um 292 v. Chr.) reichende Tätigkeit der Schriftgelehrten, die sich auf Redaktion der biblischen Bücher, Feststellung und Weiterbildung des mündlich überlieferten Gesetzstoffes, auf kultuelle Einrichtungen und Ähnliches bezog, zu verstehen. – S. in anderm Sinne heißt zuweilen auch die Judenheit, als Gegensatz zur Christenheit (Kirche, ecclesia).

Für den Bau von Synagogen wird entweder eine oblonge oder eine zentrale Anlage mit Kuppel gewählt. Im Innern ist eine gegen O. gerichtete, dem Eingang gegenüberliegende Nische zur Ausstellung der heiligen Lade Erfordernis. Davor werden die Kanzel oder die Vorleserstätte auf einer um mehrere Stufen über dem Schiff erhöhten Estrade angebracht (s. oben). Wegen der strengen Trennung der Geschlechter müssen für die Frauen bestimmte Emporen und in der Vorhalle gesonderte Zugänge angeordnet werden. Die ältesten erhaltenen Synagogen sind die[241] in Toledo (aus dem 13. Jahrh.), die 1405 zu der christlichen Kirche Santa Maria la Blanca umgebaut wurde, die in Worms (in ihren ältesten Teilen aus dem 12. Jahrh.) und die in Prag (Altneuschule, aus dem 13. Jahrh.), die ihre ursprüngliche Gestalt behalten hat. Berühmt ist auch die 1670 von Dorsman erbaute, angeblich dem Tempel Salomos nachgebildete portugiesische S. in Amsterdam. Mit dem wachsenden Reichtum des Judentums im 19. Jahrh. nahm auch der Synagogenbau einen großen Aufschwung, wobei meist der maurische Stil nach dem Vorgange Sempers, der 1838–40 die S. in Dresden erbaute, zum Vorbild genommen wurde. Es folgten der israelitische Tempel in Wien von L. v. Förster (1853–58), die S. der Reformgemeinde in Berlin von Stier (1853–54), die der orthodoxen Gemeinde daselbst von Knoblauch und Stüler (1859–66), die S. zu Hamburg von Rosengarten und die zu Paris von Aldrophe (1865–74). Unter den neuern Synagogen sind die in Berlin und Hannover von Oppler, in Nürnberg von Wolf, in Braunschweig von Uhde, in Stettin von Ende und Böckmann, in München von Alb. Schmidt, in Berlin und Posen von Cremer und Wolffenstein und in Straßburg von Ißleiber die bedeutendsten. – Auf Bildwerken des Mittelalters wird die S. häufig als Frauengestalt mit verbundenen Augen und zerbrochenem Stab, der die Krone vom Haupte fällt, symbolisch der christlichen Kirche gegenübergestellt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 241-242.
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