Viktorĭa

[162] Viktorĭa, 1) V. I. Alexandrina, Königin von Großbritannien und Irland, geb. 24. Mai 1819 in London, gest. 22. Jan. 1901 in Osborne, einzige Tochter des Herzogs von Kent, des Bruders König Wilhelms IV. (gest. 23. Jan 1820), und der Prinzessin Luise Viktoria von Sachsen-Koburg, verwitweten Fürstin von Leiningen (gest. 16. März 1861), ward durch den Tod ihres Vaters Erbin des britischen Thrones. Unter der Leitung der Herzogin von Northumberland ward sie in ernstem Studium für ihren künftigen Beruf erzogen; Lord Melbourne trug ihr vom Standpunkte der Whigs aus das englische Staatsrecht, Geschichte und die englische Regierungspraxis vor. Als Wilhelm IV. 20. Juni 1837 starb, ward V. als Königin ausgerufen und 28. Juni 1838 gekrönt. Unter den vielen Freiern um ihre Hand bevorzugte sie, der Neigung ihres Herzens folgend, den Prinzen Albert von Sachsen-Koburg (s. Albert 7), mit dem sie sich 10. Febr. 1840 vermählte. Ihre Regierung begann mit einem Whigministerium, und nur ungern entließ sie ihre freisinnigen Ratgeber, als diese die Mehrheit im Unterhaus verloren. Doch fügte sie sich williger als irgend ein englischer Herrscher vor ihr den Anforderungen des streng parlamentarischen Regierungssystems und willigte sogar nach anfänglichem Widerstreben darin ein, auch die ersten von Damen bekleideten Hofämter dem Wechsel der Parteien im Ministerium zu unterwerfen. Ungeachtet dieser Gefügigkeit nahm indessen die Königin an der Regierung des Landes und namentlich an der auswärtigen Politik stets einen lebhaften, wenn auch nicht immer deutlich erkennbaren Anteil, während sie sich nach dem Tode ihres Gemahls (14. Dez. 1861), den sie tief betrauerte, den Pflichten der äußern Repräsentation mehr und mehr entzog und diese auf den Prinzen von Wales übertrug. Solange Prinz Albert lebte, ward ihr Einfluß in deutschfreundlichem Sinne geltend gemacht und hinderte z. B. die Einmischung Englands in den Deutsch-dänischen Krieg von 1848. Ihr Wunsch bewog Disraeli 1876, ein Gesetz vorzuschlagen, durch das ihr die Ermächtigung erteilt wurde, sich den Titel: »Empress of India« (Kaiserin von Indien) beizulegen, den sie durch Proklamation vom 1. Mai annahm. Überhaupt stimmten die Neigungen der im Anfang ihrer Regierung entschieden whiggistischen Königin später, namentlich seit dem Erstarken des Radikalismus, mehr mit den Grundsätzen der konservativen Partei und namentlich des von ihr zum Grafen von Beaconsfield erhobenen Disraeli überein. Unter großen Festlichkeiten und mit hohem Glanz feierte sie 21. Juni 1887 ihr 50jähriges, mit noch größerm 22. Juni 1897 ihr 60jähriges Regierungsjubiläum. Sie hat eine längere Regierungszeit als irgend ein englischer Herrscher vor ihr erreicht, und ihr Tod ward von dem englischen Volk allgemein und tief betrauert. Ihr Leichnam wurde 4. Febr. 1901 in dem Mausoleum zu Frogmore an der Seite ihres Gemahls beigesetzt. Aus ihrer Ehe entsprangen neun Kinder: die Kronprinzessin Viktoria (s. den folgenden Artikel), Gemahlin des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, später Kaiser Friedrich III.; der Prinz von Wales. Albert Eduard, jetzt König Eduard VII. (s. Eduard 9); Prinzessin Alice (s. d.), Gemahlin des Großherzogs Ludwig IV. von Hessen; Prinz Alfred (s. d. 2), Herzog von Edinburg, später Herzog von Sachsen-Koburg-Gotha; Prinzessin Helene, geb. 25. Mai 1846, vermählt seit 5. Juli 1866 mit dem Herzog Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (über deren 29. Okt. 1900 zu Pretoria verstorbenen Sohn vgl. Warren, Christian Victor, the story of a young soldier, Lond. 1903); Prinzessin Luise, geb. 18. März 1848, vermählt seit 21. März 1871 mit dem Marquis von Lorne, später Herzog von Argyll (s. d. 5); Prinz Arthur, Herzog von Connaught (s. d.); Prinz Leopold (s. d. 12), Herzog von Albany und Clarence; Prinzessin Beatrice, geb. 14. April 1857, vermählt seit 23. Juli 1885 mit dem Prinzen Heinrich von Battenberg. Zur Erinnerung an ihren Gemahl schrieb sie: »Early life of the Prince Consort« (deutsch, Gotha 1867) und »Leaves from the journal of our life in the Highlands« (deutsch, Braunschw. 1868), dem sich »More [162] leaves from the journal of our life in the Highlands«, 1862–1882 (1884; deutsch, Stuttg. 1884) anschlossen. Auf Veranlassung König Eduards VII. wurden von Benson und Viscount Esher herausgegeben: »The letters of queen Victoria, 1837–1861« (Lond. 1907, 3 Bde.; deutsche Ausg.: »Briefwechsel und Tagebuchblätter«, 3. Aufl., Berl. 1908, 2 Bde.). Vgl. Mac Carthy, History of our own times (Lond. 1879–1905, 7 Bde.); Ward, The reign of queen V. (das. 1887, 2 Bde.); Greville, Journal of the reign of Queen V. (das. 1887, 2 Bde.); Low und Sandars, The reign of queen V. (Bd. 12 von Hunts »Political history of England«, das. 1907); Barnett Smith, Life of her majesty queen V. (das. 1886 u. ö.); Jeaffreson, V., queen and empress (das. 1893, 2 Bde.); Holmes, Queen V. (das. 1897); S. Lee, Queen V., a biography (das. 1902 u. ö.); Crawford, V., queen and ruler (Bristol 1903).

2) V. Adelheid Marie Luise, Kaiserin Friedrich, Princeß Royal von Großbritannien und Irland, Herzogin zu Sachsen, geb. 21. Nov. 1840, gest. 5. Aug. 1901 im Schloß Friedrichshof bei Kronberg im Taunus, älteste Tochter des Prinzen Albert und der Königin Viktoria von Großbritannien, verlobte sich 1856 mit dem damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen (s. Friedrich 5) und ward 25. Jan. 1858 mit ihm vermählt; durch die Thronbesteigung ihres Schwiegervaters, König Wilhelms I., ward sie 1861 Kronprinzessin. Vortrefflich erzogen und unterrichtet, begabt und tatkräftig, widmete sie sich außer den Sorgen für Haus und Familie der Pflege der Kunst, namentlich im Gewerbe, malte selbst und beförderte die Gründung des Kunstgewerbemuseums in Berlin. In politischen und kirchlichen Dingen huldigte sie freisinnigen Ansichten. Als ihr Gemahl 1887 erkrankte, begleitete sie ihn nach Italien, kehrte mit ihm von da, als Kaiser Wilhelm starb (9. März 1888) und er als Kaiser Friedrich III. den Thron bestieg, nach Charlottenburg zurück und pflegte ihn als Kaiserin bis zu seinem Tode treu. Als Witwe (15. Juni 1888) nahm sie den Namen Kaiserin Friedrich an und lebte meist auf dem Schloß Friedrichshof. Ein Unfall beim Reiten im Sommer 1898 verursachte ihre letzte Krankheit. Vgl. Leinhaas, Erinnerungen an V., Kaiserin und Königin Friedrich (Mainz 1902; auch englisch erschienen); Jessen, Die Kaiserin Friedrich (Berl. 1907).

3) V. Melitta von Koburg, die geschiedene Gemahlin des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen (s. Ernst 7), geb. 25. Nov. 1876 auf Malta, zweite Tochter des 1900 gestorbenen Herzogs Alfred von Sachsen-Koburg-Gotha (s. Alfred 2), wurde 21. Dez. 1901 gerichtlich geschieden und vermählte sich nach dem Tod ihrer Tochter Elisabeth (gest. 16. Nov. 1903) 8. Okt. 1905 heimlich mit dem Großfürsten Kyrill von Rußland (geb. 12. Okt. 1876), einem Vetter des Zaren, und gebar ihm 2. Febr. 1907 in Koburg eine Tochter.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 162-163.
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