Bibelverbot

[730] Bibelverbot. Bei dem hohen Ansehen, welches die Bibel in der ältesten Kirche genoß, kam ein Verbot des Lesens derselben nicht vor. Die Lectoren lasen biblische Bücher u. Abschnitte bei dem öffentlichen Gottesdienste vor, die Geistlichen predigten über Stellen u. erklärten sie, u. die ausgezeichnetsten Kirchenlehrer der 6 ersten Jahrh., bes. Irenäus, Tertullian, Origenes, Cyrillus von Jerusalem, Basilius, Joh. Chrysostomus, Augustinus, ja selbst Gregor d. Gr., forderten alle Christen auf, die Heilige Schrift zu lesen. Privatpersonen, wie Pamphilus u. später die christlichen Kaiser, sorgten für Verbreitung von Abschriften der Bibel. Indeß schon seit dem 5. Jahrh. rieth man den Laien, nicht alle Bücher der Bibel ohne Unterschied, sondern namentlich das N. T. zu lesen, da das A. T. leichter mißverstanden werden könne, u. Papst Gelasius, zu Ende des 5. Jahrh., bezeichnete bereits das Lesen der Apokryphen als gefährlich für die Christen, obgleich er die Lectüre derselben noch gestattete. Je. unwissender seit dem 8. Jahrh. im Abendlande die gewöhnlichen Priester wurden; je mehr die Beschlüsse der Concilien u. die Tradition mit der Bibel gleiches Ansehen erhielten; je mehr ein geschlossenes, dogmatisches System sich bildete u. je mehr die Macht der Hierarchie, besonders seit dem 11. Jahrh., wuchs, desto mehr suchte man die Laien von eigner Prüfung der Lehre abzuhalten u. daher auch die Bibel ihnen unzugänglich zu machen. Zwar wurde durch Beschlüsse von Concilien u. Päpsten nie ausdrücklich u. gesetzlich den Laien das Lesen der Bibel verboten, allein die angeordneten Maßregeln erstrebten u. erreichten diesen Zweck dennoch. Dafür wirkte bes. die allgemeine Einführung der dem Volke unverständlichen lateinischen Sprache beim Gottesdienste u. das Verbot einer [730] Bilbelübersetzung in die Landessprache. So versagte Gregot VII. 1080 dem Herzog Wratislav von Böhmen die Erlaubniß zu einer Übersetzung der Bibel in die Böhmische Sprache, weil der hohe Sinn derselben in einer Übersetzung nicht genau erkannt, weil sie bei allgemeiner Zugänglichkeit leicht gering geschätzt u. weil sie von Schwächern leicht falsch verstanden werden würde. Papst Innocenz III. erklärte zwar noch ausdrücklich, daß das Verlangen nach Kenntniß der Heiligen Schrift nicht zu tadeln, sondern aufzumuntern sei, allein eine Synode zu Toulouse 1229 unter Geegor IX. verbot den Laien die Bibel zu haben (ausgenommen den Psalter u. das Breviarium zu den heiligen Stunden), u. bes. jede Übersetzung derselben in der Landessprache. Das Concil zu Taracona 1234 erklärte den für einen Ketzer, welcher im Besitz einer Bibel sei, u. dieselbe nicht binnen 8 Tagen an den Bischof zum Verbrennen abliefere. Dies geschah bes. wegen der Albigenser u. Waldenser, denen man es zum Verbrechen anrechnete, daß sie die Bibel in der Volkssprache lasen, weil sie daraus ihre Gründe gegen die Kirchenlehcen schöpften. Ebenso bezeichnete es eine Synode zu Oxford 1338 an Wicliffe als ketzerisch, daß er die Bibel ins Englische übersetzt hatte, u. eine andere 1408 daselbst gehaltene Synode verbot, dies ohne Genehmigung des betreffenden Bischofs od. einer Provinzialsynode zu thun. Wurde nun auch damit den Laien nicht das Lesen der Heiligen Schrift in der, als kirchlichen Originaltext anerkannten lateinischen Übersetzung (Vulgata) verboten, so wurde ihnen das Lesen derselben doch durch die mangelnde Kenntniß der lateinischen Sprache unmöglich. Als nach Wiederaufleben der Wissenschaften u. Erfindung der Buchdruckerkunst neben der Vulgata schon 1462 eine deutsche Bibelübersetzung erschien u. über ganz Deutschland sich verbreitete, wollten katholische Theologen, z.B. Erasmus, den Ungelehrten das Lesen der Bibel verstattet wissen, u. um sie vom Gebrauch der Lutherischen Übersetzung abzuhalten, gaben Dietenberger, Eck, Emser u. Ulemberg die ihrigen heraus, die indeß auch dem Volke nicht zugänglich wurden, zumal da die Katholische Kirche die das uneingeschränkte Lesen der Bibel in der Landessprache erlaubte. Das Concil zu Trient 1545 erklärte die Vulgata als authentisch u. setzte schon damit den Werth der andern Übersetzungen herab; u. die 3. u. 4. Regel des unter Pius IV. verfaßten Index librorum prohibitorum überließ die Ertheilung von Erlaubniß zum Lesen der von Katholiken herrührenden Bibelübersetzungen dem Ermessen der Bischöfe u. Inquisitoren mit erstattetem Bericht der Priester, wenn es keinen Schaden bringe u. den Glauben fördere, u. erklärte, daß, wer dies ohne Erlaubniß thue, vor Auslieferung der Bibel an den Ordinarius keine Lossprechung von seinen Sünden erhalten könne. Papst Clemens VIII. schärfte diese Verordnungen 1595, Gregor XV. verbot 1622 den Laien das Lesen der Bibel in der Volkssprache u. Clemens XI. bestätigte dies durch die Bulle Unigenitus 1713. Noch 1816 untersagte Pius VII. in seinen Breven an die Erzbischöfe von Gnesen u. Mohilew den Gebrauch der polnischen Bibel, die doch 1599 mit Erlaubniß des Papstes Clemens VII. erschienen war, Leo XII. verdammte 1824 die Bibelgesellschaften, u. so sprechen sich noch Verordnungen Pius' VIII., Gregors XVI. u. Pius' IX. (s.u. Bibelgesellschaften) dagegen aus, u. noch immer hat das Decret der römischen Büchercensur von 1757 seine Gültigkeit, wonach Übersetzungen in der Muttersprache mit erklärenden, aus den Kirchenvätern entnommenen Noten u. der päpstlichen Approbation versehen sein müssen. Seit der 2. Hälfte des 18. Jahrh. haben indeß viele aufgeklärte katholische Theologen u. Bischöfe ihren Laien das Lesen der Bibel in der Landessprache erlaubt, u. die Bibelgesellschaften haben die Bibel in katholischen Übersetzungen auch unter Katholiken sehr verbreitet, so bes. die deutsche der Gebrüder van Eß, u. man kann, wenigstens in Deutschland, nicht mehr von einem strengen B. in der Katholischen Kirche reden, wogegen freilich in italienischen Staaten, so 1851 in Toscana, durch die Regierungen die, welche die Bibel lesen u. verbreiten, mit schweren Strafen bedroht u. bestraft wurden (vgl. Römisch-katholische Kirche). Die für das B. angeführten Gründe, daß so viele Stellen selbst für Gelehrte dunkel u. scheinbar widersprechend seien, daß nackte Bilder u. Erzählung unsittlicher Handlungen der Moralität schaden könne, daß daraus so viele Schwärmer ihr falschen Ansichten geschöpft hätten, haben auch Protestanten zum Theil als erwägenswerthe Gründe gegen das Lesen der ganzen Bibel gefunden, u. es sind Auszüge aus der Bibel für das Volk als räthlich vorgeschlagen worden. Als ein theilweises Bibelverbot in der Protestantischen Kirche kann es auch angesehen werden, daß manche Bibelgesellschaften (s.d.) in ihren Ausgaben die Apokryphen des A. T. weglassen (s.u. Apokryphen 2) a). Vgl. Hegelmaier, Geschichte des Bibelverbots, Ulm 1783; Entwurf zu einer Geschichte des Bibellesens, Würzb. 1786; Leand. van Eß, Auszüge aus den heiligen Vätern über das nothwendige u. nützliche Bibellesen, 2. Aufl., Sulzbach 1816; Oberthür, Ansichten von Bibelgesellschaften u. dem durch sie beförderten Bibellesen, Sulzb. 1823.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 730-731.
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