Staat (Gebiet, Reich)

Staat (Gebiet, Reich).


1. Bei einem Staate in der Noth gehn zehn Junker auf ein Loth.Neuhaus, Preuss. Knackmandeln (Mohrungen 1863), Nr. 265.


2. Der beste Staat ist der, der die meiste Polizei hat.Westdeutsche Zeitung, 1849, Nr. 117.

Ein Ausspruch des preussischen Ministers Kühlwetter, bei Gelegenheit der Schöpfung des Instituts der Constabler. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Der Staat ist dann gut daran, wenn die Säbel rostig, die Grabscheite glänzend, wenn die Kerker leer und die Speicher voll, wenn die Kirchtreppen schmuzig und die Gerichtshöfe mit Gras bewachsen sind, wenn die Aerzte zu Fuss gehen und die Fleischer zu Pferd sitzen. (Niederschles. Zeitung, Görlitz 1867, Nr. 298.) Von den sieben Weisen Griechenlands sagt Bias: »Der beste Staat ist der, in welchem sich alle Bürger vor dem Gesetze, wie vor ihrem höchsten Beherrscher fürchten.« Chilon erklärte den für den besten, in welchem die Gesetze am meisten, die Schwätzer am wenigsten Gehör finden. Thales den, der weder zu reiche, noch zu arme Bürger habe. Cleobus den, in welchem die Bürger den Tadel mehr als die Gesetze fürchten.


3. Der schlechteste Staat braucht die besten Gesetze.

Lat.: Corruptissima respublica plurimae leges. (Faselius, 51.)


4. Der Staat ist eine Kuh, die jeder melken will.

Aehnlich die Russen: Der Staat ist eine Brust, aus der jeder saugen möchte. (Altmann VI, 432.)


5. Der Staat ist eine Pyramide, die oben nicht zu dick sein darf.

Dies Wort ist ein Ausspruch Justus Möser's, der es in einer seiner erbaulichen Betrachtungen anwendet. Zur Erläuterung sagt er: »Die landesherrliche Familie darf nicht zu zahlreich sein; ebenso wenig darf sie in der Mitte eine zu grosse hohe Dienerschaft am Halskragen oder zu viel unbehüteten Adel am Bauche haben. Unten kann sie nicht leicht zu zahlreich, zu stark und nicht leicht zu gut gefugt sein.«


6. Der Staat ist eine undankbare Bestie.

S. dabei Racker 5, wozu die letzten 4 Zeilen der Note von Racker 1 gehören.

Lat.: Respublica est ingrata bestia. (Witzfunken, XVIa, 148.)

7. Ein Staat ohn recht ist ein Leib ohn Seel. Petri, II, 227.

Böhm.: Mĕsto bez práva jest tĕlo bez duše. (Rybicka, 537.)


8. Ein Staat ohne Bauern und Bürger, da bleiben nur Bettler und Würger.Schottmüller.


9. Ein Staat sei noch so gross, ein Feind ist ihm zu viel und hundert Freunde sind zu wenig.

Böhm.: Obec velký kopec. (Čelakovsky, 358.)

It.: A degni gran stato un nemico è troppo, e cento amici sono pochi. (Cahier, 3001.)


10. In einem Staat, wo viel verordnet wird, müssen viel Krankheiten herrschen.Philippi, Der vergrösserte Staat.


11. In jedem Staate ist etwas faul.

Nicht blos im Staate Dänemark. Die Franzosen behaupten, dass er mehr fresse als alles Ungeziefer: L'estat mine plus que vermine. (Leroux, II, 252.)

Holl.: In alle staten is gebrek. (Harrebomée, II, 297b.)


12. In meinem Staate kann jeder nach seiner Façon selig werden.

Nach Büchmann (186) ist dieser sprichwörtlich gewordene Ausspruch Friedrich's des Grossen ein nicht gesprochenes, sondern geschriebenes Wort. Bald nach dem Regierungsantritt des grossen Königs berichteten unter dem 22. Juni 1740 der Staatsminister von Brand und der Präsident des Consistoriums von Reichenbach, dass wegen der römisch-katholischen Soldatenkinder, besonders zu Berlin, römisch- katholische Schulen angelegt wären, die aber zu allerlei Inconvenienzen, namentlich aber dazu Gelegenheit gegeben hätten, dass wider des Königs ausdrücklichen Befehl aus Protestanten römisch-katholische Glaubensgenossen gemacht würden, was der Generalfiscal berichtet habe. Sie fragten nun an, ob die römisch-katholischen Schulen bleiben, oder welche andere Antwort sie dem Generalfiscal geben sollten. Der König schrieb an den Rand: »Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der andern abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden.«


13. Je groter Staat, je groter Hât.

Holl.: Hoe grooter staat, hoe grooter hut. (Harrebomée, II, 297a.)


14. Neue Staaten, neue Menschen.


15. State machet biweilen dieb.Mone, Anzeiger, 1834. S. 29.


[756] *16. Den Staat von der Kirche trennen.

Scherzhaft für Kirchendiebstahl, wenn angenommen wird, dass weltliche Güter für die Kirche nur Luxus sind. Auf die Frage des Untersuchungsrichters: »Sie sollen die goldenen Borten von den Messgewändern getrennt haben, was haben Sie darauf zu sagen?« antwortete der Angeschuldigte: »Ich glaube damit nichts Unrechtes gethan zu haben, da ich immer höre, dass der Staat von der Kirche getrennt werden müsse.« Im ernsten Sinne aber versteht man darunter solche Einrichtungen, durch welche die Kirche vom Staate unabhängig wird und sich selbst regiert. Es leuchtet ein, dass dies eine Unmöglichkeit ist, denn zwei Regenten im Haus, triebe einer den andern hinaus. Die Bildungsanstalt Kirche darf keine Auflösung und Zerstörung für den Staat werden.


*17. Der Staat der Intelligenz.

Es.ist damit der preussische gemeint. Man hat ihn so genannt, nicht um zu sagen, dass er die Intelligenz vorzugsweise oder gar ausschliesslich besitze, sondern um auszudrücken, dass die geistige Bildung gleichmässiger als in andern Staaten durch alle Volksklassen verbreitet sei. Wer den sprichwörtlich gewordenen und häufig ironisch angewandten Ausdruck zuerst gebraucht habe, ist auch von Büchmann (Geflügelte Worte, 1874) noch nicht nachgewiesen.


*18. Es kann sich nicht jeder einen eigenen Staat machen.

Frz.: Chascun veut prendre estats nouveaux. (Cahier, 637.)


[Zusätze und Ergänzungen]

19. Freier Staat, freie Zunge.

Lat.: In libera civitate oportet etiam linguas esse liberas. (Philippi, I, 199.)


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 4. Leipzig 1876.
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