Erzämter

[86] Erzämter, im frühern Deutschen Reich Staats- und Hofämter, die mit den Kurwürden verbunden waren. Schon am fränkischen Königshofe finden sich vier oberste Hofämter, das Amt des Truchseß (Seneschalk, Dapifer), des Marschalls (Comes Stabuli, woher Connétable, Stallmeister), des Kämmerers (Thesaurarius, Camerarius), des Schenken (Buticularius). Im Deutschen Reich sind diese Ämter bei festlichen Gelegenheiten von Reichsfürsten versehen worden. Später wechselten die Ämter unter den Reichsfürsten. Die Goldene Bulle von 1356 hat den bestehenden Zustand gesetzlich anerkannt. Die Reihenfolge der Kurfürsten war nunmehr: Mainz (Erzkanzler [s.d.], Archicancellarius, für Deutschland), Trier (Erzkanzler für Burgund), Köln (Erzkanzler für Italien), Böhmen (Erzschenk, Archipincerna), Pfalzgraf bei Rhein (Erztruchseß, Archidapifer), Sachsen (Erzmarschall, Archimarescallus), Brandenburg (Erzkämmerer, Archicamerarius). Auch wurden die Funktionen der E. bei der Krönung aufs genaueste festgesetzt. Doch war es schon damals üblich, daß die Inhaber der E. mit ihrer Vertretung gewisse Unterbeamte beauftragten, die in der Folge, als jene immer seltener und, wie dies seit der Mitte des 18. Jahrh. der Fall war, gar nicht mehr persönlich Dienste leisteten, allein die mit den Erzämtern verbundenen und zu bloßem Zeremoniell gewordenen Funktionen zu verrichten hatten. So entstanden die Erbämter (s.d.), deren Inhaber stets den ersten Adelsgeschlechtern, wenn auch nicht immer reichsständischen, angehörten. Die Erzkanzler hatten Vizekanzler als Gehilfen und Stellvertreter. Als im Dreißigjährigen Krieg (1622) der Pfalzgraf bei Rhein durch den Kaiser Ferdinand II. seiner Kurwürde beraubt wurde, ging er auch des Erztruchseßamtes verlustig, und beides wurde dem Herzog Maximilian von Bayern (25. Febr. 1623) übertragen. Durch den Westfälischen Frieden wurde diese Übertragung bestätigt, zugleich aber für die Pfalz eine achte Kurstimme geschaffen und für diese Kurstimme (1652) auch ein neues Erzamt, das Erzschatzmeisteramt, errichtet. Kaiser Leopold I. (1692) verlieh dem Haus Braunschweig-Lüneburg (Hannover) die neunte Kur mit dem Erzpanneramt. Als während des Spanischen Erbfolgekriegs der Kurfürst von Bayern (1706) in die Acht erklärt wurde und die Kurpfalz das Erztruchseßamt bei dieser Gelegenheit zurückerhielt, rückte Braunschweig (1710) in das Erzschatzmeisteramt ein. Da aber Kurbayern durch den Rastatter Frieden (1714) in alle seine Würden und Rechte wieder eingesetzt wurde, somit auch das Erztruchseßamt wiedererhalten sollte, kam es zu langen Differenzen, die erst 1777 bei der Vereinigung Bayerns mit der Pfalz unter Karl Theodor dadurch erledigt wurden, daß der Kurfürst Karl Theodor in die alte pfälzische Kur und das damit verbundene Erztruchseßamt sukzedierte, wodurch für Braunschweig-Hannover mit der achten Kur zugleich das Erzschatzmeisteramt offen wurde. Durch die Säkularisationen 1803 gingen die Kurwürden von Trier und Köln ganz ein, und der Erzbischof von Mainz blieb als Erzbischof von Regensburg der alleinige Erzkanzler des Reiches. Die vier neuen weltlichen Kurfürsten von Württemberg, Baden, Hessen-Kassel und Salzburg blieben bis auf den erstern, der das schon früher von ihm beanspruchte Erzpanneramt erhielt, ohne E. Das Amt des Erzjägermeisters (Archivenator), mit dem die Markgrafen von Meißen betraut waren, während die Fürsten von Schwarzburg die Funktionen des Unterjägermeisters (Subvenator) versahen, hatte zwar, als nicht mit einer Kurwürde verbunden, in der Goldenen Bulle keine Aufnahme gefunden, ward dagegen durch eine Urkunde von Kaiser Karl IV. jenen ausdrücklich bestätigt. Die Reichserbämter wurden, wenigstens in der spätern Zeit, von denjenigen Erzämtern, die sie vertraten, nicht vom Kaiser verliehen. Auch für die Kaiserin gab es besondere E.; so war der Fürstabt von Fulda ihr Erzkanzler, der Fürstabt zu Kempten ihr Erzmarschall und der Abt zu St. Maximin bei Trier ihr Erzkaplan. Vgl. Ficker, Die Reichshofbeamten (Wien 1863); Hädicke, Kurrecht und Erzamt der Laienfürsten (Naumb. 1872); Lindner, Die deutschen Königswahlen und die Entstehung des Kurfürstentums (Leipz. 1893); Kirchhöfer, Zur Entstehung des Kurkollegiums (Halle 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 86.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika