Militäreisenbahnwesen

[814] Militäreisenbahnwesen. Die militärisch geleitete Benutzung der Eisenbahnen zur Truppenbeförderung für Kriegszwecke, sowohl während der Mobilmachung, des strategischen Aufmarsches, als auch im weitern Verlaufe des Feldzugs, wurde zuerst 1842 von Pönitz angeregt. 1859 zeigte die Benutzung der Eisenbahnen durch die Österreicher und die Franzosen die Bedeutung dieses Kriegsmittels, das dann durch die Amerikaner während des Bürgerkrieges in weitgehendster Weise ausgebildet wurde. Die dort gemachten Erfahrungen hat Preußen 1866 mit außerordentlichem Erfolg angewendet, und 1869 wurde im Großen Generalstab eine Eisenbahnabteilung gebildet, die in Vereinbarung mit den Eisenbahndirektionen und Linienkommissionen die Fahrpläne für die gesamten Militärzüge bei einer Mobilmachung im voraus feststellt. Der Erfolg war, daß vom 24. Juli bis 5. Aug. 1870 auf neun Linien 384,000 Mann mit allem Heergerät etc. an die Grenze befördert werden konnten. Von Preußen waren vier, von Bayern eine Feldeisenbahnabteilung formiert worden, die sogleich die Ausbesserung der zerstörten Eisenbahnen in Angriff nahmen. 280 Meilen Bahnen wurden hergestellt und vier Betriebskommissionen unterstellt. Die Ausstellung einer militärisch-technisch ausgebildeten Truppe erschien nunmehr dringend notwendig, und zu diesem Zweck wurde 19. Mai 1871 ein Eisenbahnbataillon errichtet, das am 30. Dez. 1875 zu einem Eisenbahnregiment, später einer Brigade und 1. Okt. 1893 letztere zu 3 Regimentern zu je 2 Bataillonen mit je 4 Kompanien erweitert wurde. Die 7. und 8. Kompanie des 2. Eisenbahnregiments sind königlich sächsische Kompanien. Bayern hat entsprechend ein Eisenbahnbataillon zu 3 Kompanien. Die Eisenbahnbrigade hat die von Berlin über Zossen nach dem Schießplatz bei Kummersdorf führende, 45 km lange Militäreisenbahn, eröffnet 1875, Ende der 90er Jahre fortgesetzt über Jänickendorf bis zum Schießplatz bei Jüterbog (25 km), derart im Betriebe, daß das ganze Betriebspersonal aus Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften der Brigade abwechselnd entnommen wird. Diese Militärbahn ist Eigentum des Fiskus und dient sowohl zur Ausbildung der Eisenbahntruppen und Verbindung der Schießplätze als auch dem öffentlichen Verkehr. Sie wird verwaltet von der königlichen Direktion der Militäreisenbahnen in Schöneberg bei Berlin, die sich aus Offizieren der Brigade zusammensetzt. Die Eisenbahnbrigade bildet im Frieden die Mannschaften, ferner im Herstellen und im Zerstören des Oberbaues, von Brücken, Tunnels, Telegraphen etc. aus. Aus ihnen werden bei der Mobilmachung Eisenbahnbau-, Betriebs- und Eisenbahnarbeiter-Kompanien aufgestellt. Der Eisenbahnbrigade ist eine Depotverwaltung und eine Betriebsabteilung für den Betrieb der Militäreisenbahn Berlin-Jüterbog zugeteilt; seit dem 1. Okt. 1899 gehört sie zu den Verkehrstruppen unter der Inspektion der Verkehrstruppen.

Die Militärtransportordnung für Eisenbahnen vom 18. Januar 1899 (Militäreisenbahnordnung) zerfällt in die folgenden sechs Abschnitte: I. Zuständigkeit der Behörden, und zwar im Frieden: a) Militärbehörden: 1) Kriegsministerium, 2) Chef des Generalstabes der Armee, 3) Militäreisenbahnbehörden (Eisenbahnabteilung des Großen Generalstabes, Linienkommissionen, Bahnhofskommandanten), 4) die absendenden und empfangenden Militärbehörden und Truppenteile sowie Transportführer, 5) Intendanturen; b) Zivilbehörden: 1) Reichskanzler, 2) Eisenbahnverwaltungen. Im Kriege tritt an die Stelle von 3) der Generalinspekteur des Etappen- und Eisenbahnwesens, dem die Militäreisenbahnbehörden (Chef des Feldeisenbahnwesens, Eisenbahnabteilung des Großen Generalstabes, Linienkommissionen, Bahnhofskommandanten, Militäreisenbahndirektionen) und der Chef des Feldsanitätswesens unterstellt sind. II. Allgemeine Betriebs- und Verkehrsbestimmungen, wie Einteilung des Bahnnetzes in Linien, Arten der Züge, Militärfahrplan u. a. III. Vorbereitung der Militärtransporte. IV. Beförderung von Personen sowie von Truppen mit Pferden, Geschützen, Fahrzeugen und Belagerungsmaterial. V. Beförderung von Militärgut und Privatgut für die Militärverwaltung. VI. Berechnung und Zahlung der Vergütungen. – Österreich-Ungarn stellt im Kriege auf: 3 Feldeisenbahntransportleitungen mit Eisenbahnlinienkommanden[814] (je eins für eine Hauptbahnlinie oder einen Bahnkomplex) und stabilen oder mobilen Bahnhofskommanden; auf 450 km Strecke am Kriegsschauplatz eine Militäreisenbahndirektion mit etwa 4 Betriebsinspektionen (8 Offiziere und Beamte, 12 Unteroffiziere) zu 2–3 Betriebsabteilungen, je eine zu 50–60 km, in der Stärke: 7 Offiziere, 58 Unteroffiziere, 149 Mann; Eisenbahnkompanien und Arbeiterabteilungen nach Bedarf; 5 Festungsfeldbahnabteilungen; s. auch Österreichisch-Ungarische Monarchie (Heerwesen). – In Italien versehen Eisenbahntruppen den Zug- und Bahnunterhaltungsdienst zwischen Turin-Torre Pellice und Brichehahia-Barge. – Frankreichs M. s. Frankreich, S. 867 s. Rußland, s. d. (Heerwesen).

Im Festungskrieg finden schmalspurige, sogen. Feld- und Förderbahnen (s. Feldeisenbahnen) zum Material- und Munitionstransport beim Angreifer wie beim Verteidiger viel Verwendung. Da es sich zur Versorgung der Batterien mit Munition häufig um schnellen Ortswechsel des ausgelegten Gleises handelt, so muß letzteres leicht auszulegen und aufzunehmen, also tragbar sein, anderseits aber auch genügende Tragfähigkeit für Lasten bis zu etwa 80 Ztr. besitzen. Es sind daher zusammengesetzte Joche aus Stahlschwellen und Stahlschienen mit einfacher Stoßverbindung am zweckmäßigsten. Für die Bahnen in den Kehlgräben der Forts und wenig wechselnde Gleise wird feste Laschenverbindung vorgezogen. Vgl. »Militäreisenbahnordnung« (Berl. 1899 u. 1902); »Die Kriegführung unter Benutzung der Eisenbahnen und der Kampf um Eisenbahnen« (2. Aufl., Leipz. 1882); »Auszug aus den allgemeinen Dienstvorschriften des Eisenbahnregiments« (Berl. 1887); Budde, Die französischen Eisenbahnen im Kriege 1870/71 und ihre seitherige Entwickelung in militärischer Hinsicht (das. 1877) und Die französischen Eisenbahnen im deutschen Kriegsbetriebe 1870/71 (das. 1903); Müller, Die Tätigkeit unsrer Feldeisenbahnabteilungen im Kriege 1870/71 (das. 1896); Nienstädt, Das russische Eisenbahnnetz zur deutschösterreichischen Grenze in seiner Bedeutung für einen Krieg (Leipz. 1895); Lanoir, Les chemins de fer et la mobilisation (Par. 1897); Becker, Der nächste Krieg und die deutschen Bahnverwaltungen (Hannover-Linden 1893); Zanantoni, Die Eisenbahnen im Dienste des Krieges (Wien 1904); Schmiedecke, Die Verkehrsmittel im Kriege (Berl. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 814-815.
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