Barrot

[348] Barrot (spr. Barroh), 1) Camille Hyacinthe Odillon, geb. am 19. Juli 1791 zu Villefort im Departement la Lozère; wurde 1814 Advocat am Cassationshof u. machte sich berühmt als Vertheidiger W. Regnaults, den er 1818 vom Tode rettete, u. 1819 durch die Vertheidigung der Protestanten im Süden, die bei katholischen Processionen ihre Häuser nicht schmücken wollten; 1827 wurde er Mitglied u. 1830 Präsident der Gesellschaft Aide-toi! In den Julitagen war er Secretär der[348] Municipalcommission, er rieth dem General Lafayette ab, die Präsidentschaft der Republik anzunehmen, u. war dann einer der 3 Commissäre, welche den König Karl X. nach Cherbourg geleiteten. Er wurde nach seiner Rückkehr Präfect des Seinedepartements, trat aber mit dem Ministerium Lafitte ab. 1831 trat er in die Kammer u. stimmte mit der Opposition, bekämpfte 1833 die erbliche Pairie, verlangte eine Gesetzrevision u. trat bald an die Spitze der dynastischen Linken, hielt 1840 eine Zeitlang das Ministerium Thiers, sprach gegen die geheimen Fonds, bekämpfte vergeblich die Septembergesetze, stimmte 1842 gegen das Regentschaftsgesetz, griff in der Adreßdebatte 1843 Guizot persönlich wegen des Durchsuchungsrechts an, verband sich Ende 1843 mit Thiers u. selbst mit Molé, stimmte 1844 in den Adreßdebatten über die legitimistische Demonstration zu Belgrave-Square in London für den Herzog von Bordeaux für die Legitimisten gegen das Ministerium u. versuchte Alles, das Ministerium Guizot zu stürzen, namentlich dadurch, daß er es der Hinneigung zu England verdächtigte. 1846 unternahm er eine Reise nach dem Orient. Zur dynastischen Opposition damals gehörend, unterschrieb er im Febr. 1848 die Einladung zum Reformbanket, ward aber, als die Opposition die Dinge bis zum Äußersten trieb, schwankend u. wollte das Banket nicht ausgeführt wissen, unerzeichnete aber am 22. die Anklageschrift gegen Guizot. In der stürmischen Sitzung der Deputirtenkammer am 24. Febr. sprach er für die Regentschaft der Herzogin von Orleans, u. als die Revolution in den Straßen von Paris immer blutiger ward, stieg er zu Pferde, um das Volk durch seine Persönlichkeit u. die Macht seiner Rede zu besänftigen, mußte aber davon ablassen, da die Kämpfenden nicht mehr zu besänftigen waren u. er persönlich in Gefahr kam. Obgleich die Republik von ihm nicht gewünscht worden war, schloß er sich doch derselben an, trat für das Departement Aisne in die Constituante u. ward in die Commission für den Verfassungsentwurf gewählt. Als am 26. Mai 1848 über das Verbannungsdecret abgestimmt ward, enthielt er sich der Stimmenabgabe; Ende Juni ward er Vorsitzender in der Commission über die Untersuchung der Aufstände vom 15. Mai u. vom 23. bis 27. Juni. Am 20. Decbr. übernahm er das Justizministerium u. im Falle der Abwesenheit des Präsidenten Ludwig Napoleon den Vorsitz im Cabinet; blieb in seiner Stellung bei der Ministerveränderung vom 1. Juni 1849, trat aber den 31. Octbr. d.i. ab. Er stimmte im Juni 1850 gegen die Dotation des Präsidenten der Republik, ward im Juli in den 25er Auschuß u. am 6. Juli 1851 in die Prüfungscommission für die Revisionsanträge gewählt. Bei der hierauf bezüglichen Abstimmung votirte er für die Verfassungsrevision. Im März 1851 erhielt er vom Präsidenten Ludwig Napoleon den Auftrag, ein neues Cabinet zusammenzustellen was er aber ablehnte. Am 17. Nov. stimmte er für den Quästorenantrag, u. bei den Ereignissen des 2. Decembers versammelten sich in seiner Wohnung nahe an 50 Mitglieder der Majorität, um gegen den Staatsstreich Ludwig Napoleons zu protestiren. Sämmtliche Anwesende wurden mit B. verhaftet, er selbst aber erhielt bald die Freiheit. Im Jan. 1852 wurde er Mitglied des Orleansschen Familienrathes u. im Mai verweigerte er den Eid auf die Verfassung. Er schr.: Lettre à Nic. Koechlin, Mühlh. 1832; Discours dans la discussion de l'adresse, repondant à M. le ministre de l'intérieur, séance du 29. Novembre 1832, Par. 1832; Mémoire sur l'entrepôt de Paris, Par. 1833. In den Annales du Barreau von 1823 bis 1831 ist der größte Theil seiner Vertheidigungsreden in Betreff politisch Angeklagter abgedruckt. 2) Adolphe, Bruder des Vorigen, geb. 1798, bereiste als diplomatischer Agent Frankreichs die Sandwichsinseln u. Neugranada, war eine Zeitlang Consul in Columbia u. Manila, von 1836–39 Generalconsul in China, 1840 dasselbe auf den Philippinischen Inseln u. ward 1843 nach Hayti gesandt, um die Geldforderungen Frankreichs bei dieser Negerrepublik zur Ausgleichung zu bringen. Hierauf erhielt er 1847 das Generalconsulat in Ägypten u. im Mai 1848 den französischen Gesandtschaftsposten zu Lissabon; 1851 wurde er Gesandter in Neapel u. 1853 in Brüssel, wo er am 28. Februar 1854 den Handelsvertrag zwischen Frankreich u. Belgien u. den Vertrag über Unterdrückung des Nachdrucks unterzeichnete, u. jetzt (1857) als außerordentlicher Gesandter u. bevollmächtigter Minister Frankreichs noch fungirt. 3) Ferdinand, Bruder des Vorigen, geb. 1806; Advocat, vertheidigte im Straßburger Processe 1837 den General Vaudroy u. später Ludwig Napoleon nach der Boulogner Landung 1840 vor dem Pairshofe. Er war unter der Regierung Ludwig Philipps Mitglied der Deputirtenkammer u. saß im linken Centrum. Nach der Februarrevolution 1848 wählte ihn das Seinedepartement zum Repräsentanten, wo er mit der Majorität stimmte, u. als Ludwig Napoleon zur Präsidentschaft gelangte, ernannte ihn dieser zum Generalsecretär. Vom 31. Octbr. 1849 bis 15. März 1850 war er Minister des Innern u. wurde hierauf Botschafter zu Turin, wo er den Handelsvertrag zwischen Frankreich u. Sardinien am 5, November 1850 zu Stande brachte. Nach Paris zurückgekehrt, trat er wieder in die Gesetzgebende Versammlung u. stimmte für Verfassungsrevision u. gegen den Quästorenantrag. Nach dem Staatsstreiche wurde er Staatsrath u. Mitglied der Section für Verwaltungsangelegenheiten, 1853 Senator u. 1854 Mitglied der Commission für öffentliche Arbeiten, Ackerbau u. Gewerbe.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 348-349.
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