Lafayette [1]

[11] Lafayette (spr. Lafaijett), altes französisches Geschlecht, welches schon in den Kreuzzügen vorkommt, besitzt Güter in der Auvergne. Merkwürdig: 1) Louise Motier de L., Hofdame der Königin Anna von Österreich, wurde von Ludwig XIII. geliebt, erwiderte auch dessen Neigung, wies jedoch weiter gehende Anträge des Königs entschieden zurück u. nahm, als der König dringender wurde, 1637 den Schleier. Aber der König suchte sie auch als Nonne zu sprechen u. zur Änderung ihres Entschlusses zu bewegen; sie blieb jedoch Nonne u. st. 1665. 2) Marie Madeleine Piochedela Vergne, Comtesse de L., geb. 1632, Tochter des Marschalls Aymar de la Vergne (Maréchal de Camp u. Gouverneur in Havre), erhielt eine sorgfältige Erziehung, vermählte sich 1655 mit dem Grafen François de L., machte ihr Haus zum Mittelpunkt der ausgezeichnetsten Schriftsteller u. st. 1693; sie schr.: La Princesse de Clèves, 2 Bde.; La Comtesse de Tende et la Princesse de Montpensier; Histoire de Henriette d'Angleterre u.a.m.; Oeuvres, Par. 1786, 8 Bde, zum Theil übersetzt von Fr. Schulz, Berl. 1789–94, 3 Bde.; zuletzt als Oeuvres complètes (zusammengedruckt mit den Werken der Damen Tentin u. Fontaines), herausgeg. von Etienne u. Jay, Par. 1825, 5 Bde. 3) Marie Jean Paul Roche Yves Gilbert Motier, Marquis de H., geb. den 6. September 1757 auf dem Schlosse Chavagnac im Departement Haute-Loire; erhielt durch seine Vermählung mit der Tochter des Herzogs von Noailles große Familienverbindungen, zog jedoch dem glänzenden Hofleben, das sich ihm eröffnete, die militärische Laufbahn vor u. ging, von enthusiastischem Freiheitsdrang beseelt, 1777 nach Amerika, um den insurgirten Provinzen gegen England seine Hülfe zu bieten. Er trat als[11] Freiwilliger ein, erwarb sich bald die Freundschaft Washingtons u. wurde vom Congreß zum Generalmajor ernannt; er ward am Brandwynefluß (den 11. Sept. 1777) verwundet, schlug dann ein Corps Hessen u. Engländer, erhielt den Oberbefehl über die Division von Virginien, unternahm Anfang 1778 eine Expedition nach Canada, welche jedoch aus Mangel an Mitteln mißlang, zeichnete sich im Sommer 1778 bei Montmouth aus u. deckte gleich darauf den Rückzug von Sullivan, welcher Rhode-Island räumte. 1779 ging er nach Frankreich, das die Unabhängigkeit der Nordamerikanischen Freistaaten anerkannte, um den Amerikanern neue Unterstützungen an Geld u. Kriegsmaterialien zu verschaffen, u. kehrte Anfang 1780 nach Amerika zurück, befehligte Washingtons Vortrab, vertheidigte 1781 mit 5000 M. Virginien, blockirte den General Cornwallis u. bewirkte die Capitulation von Yorktown. Er ging nun abermals nach Europa, um neue Hülfe zu holen, hatte auch bereits Spanien dahin vermocht, an England den Krieg zu erklären, was aber der Friede vereitelte. 1784 ging er zum dritten Mal nach Amerika, bekam dort das amerikanische Bürgerrecht u. das Recht des steten Zutritts zum Congreß u. kehrte 1785 nach Europa zurück, wo er auch an den Höfen von Berlin u. Wien mit Auszeichnung empfangen wurde. 1787 wurde L. Mitglied der Notablen, Präsident der États généraux u. Commandant der Pariser Nationalgarde, rettete den König aus den Händen des Pöbels zu Versailles, führte ihn nach Paris u. nahm fast an allen Vorgängen damaliger Zeit mehr od. weniger Theil; mit Bailly errichtete er den Club der Feuillans, gerieth aber bei der Flucht des Königs in große Gefahr, weil er sich verbürgt hatte, daß sie nicht Statt finden würde. 1792 wurde er zum Commandeur der Ardennenarmee ernannt. Von Collot d'Herbois u. Dumouriez angeklagt, kam er nach Paris, um sich zu vertheidigen u. zugleich den König unter der Escorte seiner Truppen nach Compiegne zu entführen; der König willigte jedoch nicht ein. Bald von Neuem angeklagt, ließ L. die Repräsentanten, welche ihm der Convent gesendet hatte, in Sedan verhaften, mußte aber dennoch einige Tage später selbst entfliehen u. wollte sich durch die österreichischen Vorposten in ein neutrales Land begeben, wurde jedoch erkannt, in Rochefort von den Österreichern verhaftet u. den Preußen übergeben, Anfangs nach Wesel u. Magdeburg, später nach Olmütz gebracht, wo der Amerikaner Hager, unterstützt von dem Hannoveraner Bollmann, ihn zu befreien suchte, aber mit ihm eingeholt wurde. L. saß nun fünf Jahre gefangen u. ging, erst durch den Frieden von Leoben befreit, 1797 nach Hamburg u. nach dem 18. Brumaire nach Frankreich, wo seine Güter confiscirt worden waren. So zuvorkommend ihn hier der Erste Consul behandelte, so wurde L. doch seinen früheren Grundsätzen nicht untreu u. zog sich, ohne eine öffentliche Stellung anzunehmen, auf das ihm übrig gebliebene Landgut Lagrange zurück, wo er sich dem Landbau widmete. 1815 wurde er Abgeordneter der Kammer der Repräsentanten, erhob sich aber als Vicepräsident derselben nach der Schlacht von Waterloo für die Principien von 1789, drang auf die Abdankung Napoleons, befand sich unter den Commissären, welche mit Blücher u. Wellington parlamentirten, zog sich nach der Besetzung von Paris wieder zurück, wurde 1818 nochmals zum Deputirten gewählt u. begab sich 1824, von den Vereinigten Staaten eingeladen, nach Amerika, wo er mit großen Ehren empfangen, wurde. (Vgl. Voyage du Général L. aux États-Unis en 1824 et 25, Par. 1825, 4 Bde., u. Levasseur, Journal d'un voyage aux États-Unis, ou L. en Amérique en 1824 et 25, ebd. 1829). 1825 abermals in die Kammer gewählt, war er bis zur Julirevolution von 1830 eins der hervorragendsten Mitglieder der Opposition, eilte, als die ersten Gerüchte von einer Volksbewegung sich verbreiteten, den 27. Juli nach Paris, verband sich mit gleichgesinnten Kammermitgliedern zu gemeinsamem Handeln, wurde am 29. Juli zum Chef der Pariser, später der ganzen französischen Nationalgarde ernannt, u. seinen, Lafittes u. Periers Zureden folgend, nahm Ludwig Philipp die Regierung an. Republikanischer Gesinnung mehr als monarchischer geneigt, entzweite er sich bald mit dem König, legte 1831 seine Stelle als Chef der Nationalgarde nieder, blieb jedoch Mitglied der Deputirtenkammer u. stimmte dort mit der Bewegungspartei. Er starb den 20. Mai 1834. Vgl. Regnault Warin, Mémoires pour servir à la vie du Général L., Par. 1824, 2 Bde.; Sarrans, L. et la révolution de 1830, ebd. 1832; Mémoires, correspondance et manuscrits du Général L., ebd. 1836–37, 6 Bde. 4) Georges Washington de L., Sohn des Vor., geb. 1777, machte als Husarenoffizier u. Adjutant Grouchys die Feldzüge in Italien, Österreich, Preußen u. Polen mit, avancirte jedoch wegen der Abneigung des Kaisers gegen die liberalen Grundsätze seines Vaters nicht höher als bis zum Lieutenant, wurde 1815 Kammermitglied, gehörte stets der Linken an, wurde 1848 nach der Revolution Vicepräsident der Constituirenden Versammlung u. st. den 30. Nov. 1849. 5) Oscar, Marquis de L., Sohn des Vor., geb. 1816 in Paris, wurde auf der Polytechnischen Schule daselbst u. der Applicationsschule in Metz gebildet, dann Artillerieoffizier, zeichnete sich bei mehreren Gefechten in Algier aus, wurde dann in die Deputirtenkammer gewählt, gehörte dort ebenfalls der Linken an, wurde von Ledru-Rollin zum provisorischen Regierungscommissar im Seine- u. Marnedepartement ernannt, von diesem Departement dann in die Constituante u. die Legislative gewählt u. stimmte dort mit den gemäßigten Republikanern. 6) Edmond de L., jüngerer Bruder des Vorigen, geb. auf dem Schlosse Chavagnac, wurde nach der Revolution von 1848 vom Departement Haute-Loire in die Constituante gewählt u. gehörte dort ebenfalls der gemäßigt republikanischen Partei an.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 11-12.
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