Lissăbon

[421] Lissăbon, 1) Bezirk der portugiesischen Provinz Estremadura; 440,000 Ew.; 2) (portugiesisch Lisbōa), Stadt darin, Hauptstadt Portugals u. der Provinz Estremadura, am rechten Ufer des hier ins Atlantische Meer einmündenden Tajo (Tejo, welchen der Felsen Cachupos in zwei Theile theilt) amphitheatralisch u. auf sieben Hügeln gelegen; erstreckt sich von Osten gegen Westen über eine Stunde weit bis zu dem jetzt als Vorstadt mit L. verbundenen Flecken Belem. Residenz des Königs, des Ministeriums, des Oberappellationsgerichts in den drei südlichen Provinzen, des Oberpostamts, des katholischen Patriarchen für Portugal, eines Erzbischofs, Versammlungsort der Cortes, eines Magistrats, welcher die Municipal- u. Polizeiverwaltung unter sich hat u. durch eine Polizeigarde von 600 Mann zu Fuß, 300 zu Pferd für die öffentliche Sicherheit sorgt. Die bürgerliche Justiz wird durch drei Oberrichter, die Criminaljustiz durch 13 Criminalrichter versehen. L. selbst ist offen, u. die Mauern des alten L-s nur theilweise erhalten, es wird dagegen durch die berühmten Linien von L. geschützt, welche 1809 u. 1810 durch Wellington errichtet wurden; sie sind eine Reihe von Befestigungswerken, welche nördlich von Cap Roca beginnen, sich nordöstlich nach Torres Vedras ziehen (daher auch Linien von Torres Vedras genannt) u. sich südöstlich bis Alhandra am Tajo erstrecken, ebenso wird der sehr aeräumige Hafen durch mehrere Forts (Torre San Juliao, Torre do Bugio [Affenthurm], San Sebastiao, San Antonio, Cabecasecca, Belem u. m.) geschützt. Das Castell, auf der höchsten Höhe gelegen u. von den Mauren erbaut, in welchem die Casa real pia (ein Zucht- u. Arbeitshaus) liegt, ist seit dem Erdbeben vom 1 Nov. 1755 verfallen. L. besteht aus drei Theilen: Alfama im Osten, mit krummen u. winkeligen Straßen u. alten Häusern; o Mejo im Westen u. zwischen den beiden andern, schönster Theil; Bairro alto im Norden, mit hohen Häusern u. schmutzigen Gassen. Vorstädte sind: Belem (s.d.), Alcantara u. Junqueira (am Hafen). Man zählt über 350 Haupt-, 220 Nebenstraßen u. mehr als 60 Plätze. Die Privathäuser sind fast alle von Holz u. nur an der Außenseite mit Steinen bekleidet. L. bekommt sein Trinkwasser durch den Aquäduct über das Thal von Alcantara, Agoa-Livre genannt, von 24,000 Fuß Länge u. an manchen Orten 210 Fuß Höhe, welcher 1743 vollendet wurde u. auf 35 Bogen von Marmor das. Trinkwasser vom Kloster Maffra nach 20 Springbrunnen führt. Im Ganzen ist L. sehr unreinlich, weil aller Unrath auf die Gassen geworfen wird. Hauptpromenade ist der Passeio publico. Eingetheilt wird L. mit den Vorstädten in 40 Quartiere. L. hat 13 öffentliche Plätze, darunter der Commerzplatz, 515 Fuß lang, 550 breit, mit der Bildsäule Josephs I., der Rocio- (Roscio-) platz, 1800 Fuß lang, 1500 breit, auf welchem früher die Autos da Fé gehalten wurden, auf einer Seite mit Arkaden, der Praça de Figuera u. der de Quintella etc., mit dem Inquisitionspalast; 41 Kirchen, 99 Kapellen, 75 Klöster u. Profeßhäuser; unter den Kirchen ist die neue Kirche Basilica de S. Maria die schönste, die Patriarchalkirche, die Kirche des St. Rochus, in welcher die von Johann V. erbaute u. mit Mosaik u. kostbaren Steinen verzierte Kapelle sich befindet, die zum Herzen Jesu, mit dem Mausoleum der Gründerin, der Königin Maria I., die Nossa Senhora da Loreto, in italienischem Geschmack; Börse, Zollamt, Indisches Haus, königliches Hospital, die königlichen Paläste Bemposta, Ajuda, Necessidades (sonst Kloster gleiches Namens), jetzt von dem Könige bewohnt, Münze, Zeughaus, Kornhalle; 13 Hospitäler, darunter: S. José-Hospital für 16,009 Kranke, Findelhaus für 1600 Kinder, das englische u. dänische Hospital u.a.; Gelehrte u. Unterrichtsanstalten: königliche Akademie der Wissenschaften (s.u. Akademie IV. a) mit Bibliothek u. Buchdruckerei. Im Kloster do-San-Bento befinden sich die königlichen Archive, im Calharizpalastmehre Akademien u. das Kriegsdepot; Gesellschaft für die Geographie Portugals, Akademie für die Geschichte Portugals (s. ebd. IV. b) u. c), 1781 gegründete adelige Erziehungsanstalt, Akademie der Befestigungskunft, Marineakademie mit Observatorium, Schiffsbarschule, Handels- u. Zeichnenschule, mehrere Collegien, Schule für Heilige Musik (Seminario musical), Schule für Arabische Sprache etc.; königliche Bibliothek, mehre andere Bibliotheken, 3 Sternwarten, Botanischer Garten, Naturalienkabinet; Münzsammlung, königliche Buchdruckerei mit Schriftgießerei u. mehre andere Buchdruckereien. Obgleich der Hafen einer der schönsten u. sichersten der Welt ist, ist doch der Handel gegen früher beträchtlich gesunken u. wird fast ganz von den Engländern beherrscht, welche Wollen- u. Baumwollenzeuge etc. einfahren u. Citronen, Orangen, Wein, Wolle, Öl, Salz etc. ausführen. Handelsanstalten sind: die 1822 gegründete Nationalbank, die Bank von Lissabon, Nationalgesellschaft des Seidenhandels etc. Eisenbahnverbindung besitzt L. seit 1853 bis zur spanischen Grenze. Bedeutende Schiffswerfte; wenig Industrie u. Fabriken (in Waffen, Kanonen, Pulver, Porzellan, Schnupftabak, Seiden- u. Baumwollenwaaren etc., Färberei, Metallgießerei, Gerberei, Zuckerraffinerie). Öffentliche Vergnügungen: 5 Theater, darunter 1 Italienische Oper, Stiergefechte, dagegen bestehen keine öffentlichen Versammlungsörter, keine Clubs, Casinos u. Lesecabinette. Einwohner: 283,000, darunter viele Ausländer. Die Jahrestemperatur ist + 16° 4' C., im Januar + 11° 2', im Juli + 22° 3'; sonst ist die Temperatur ziemlich beständig, der Winter feucht u. regnerisch (bes. vom Novemberbis Februar). L. hat in der Nähe Salzwerke, schwefelige Quellen u. 6–7000 Landhäuser (Quintas). Vgl. Gemälde von L., aus dem Französischen von W. G. Tilesius, Lpz. 1799.

In ältester Zeit hieß Lissabon Olisipo (welches einige alte Erklärer zu Ulysippo, einer von Ulysses gegründeten Stadt machten) u. war eine Stadt der Turditaner in Lusitania; unter den [421] Römern war es Municipium u. hieß Felicitas Julia, die Gothen nannten es nach dem alten Namen Olisipona. Die Einwohner trieben regen Handel u. waren weichlich u. unkriegerisch. Zu Anfang des 5. Jahrb. wurde L. durch die Alanen belagert. Später bemächtigten sich die Mauren der Stadt. Im 10. Jahrh. nahm sie Ordogno III. ein u. riß sie gänzlich nieder, doch wurde sie von den Mauren wieder aufgebaut. Don Henrico eroberte sie zu Anfang des 12. Jahrh., verlor sie aber wieder, Alfons aber nahm sie 1147 mit französischen, englischen u. deutschen Kreuzfahrern abermals u. seitdem kommt der Name L. vor. Papst Eugen III. errichtete hier den Sitz eines Bisthums. Die Größe u. Bedeutendheit der Stadt wuchs unter den christlichen Königen; sie wurde 1373 vom Könige Heinrich von Castilien eingenommen; aber 1384 vergebens von den Castilianern belagert. 1580 nahm der Herzog Alba L. für Philipp II. von Spanien in Besitz u. ließ Viele, welche sich für die Unabhängigkeit Portugals aussprachen, hinrichten. Als aber das Haus Braganza 1640 auf den Thron kam, wurden die Spanier verjagt u. in dem hier 13. Febr. 1668 zwischen Spanien u. Portugal abgeschlossenen Friedenstractat Portugals Unabhängigkeit von Spanien anerkannt. Am 1. Nov. 1755 wurde L. durch ein Erdbeben zerstört, man rechnete die Zahl der bei demselben Umgekommenen 15,000, ja selbst 25–30,000. 1807 wurde L. von den Franzosen besetzt, aber schon 1808 durch die Briten befreit. Seitdem wurde das bisher nicht befestigte L. durch eine Linie Verschanzungen vom Tajo bis ans Meer auch auf der Landseite gedeckt. Seit 1815 ist L. als Hauptstadt Portugals oft der Schauplatz der Kämpfe geworden, welche dieses Land trafen, so am 10. Sept. 1835 (wo die Verfassung vom 23. Sept. 1822 proclamirt wurde), 13. März 1828 u. 11. Aug. 1848, s. Portugal (Gesch.).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 421-422.
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