Kunst [2]

[893] Kunst (von Können abgeleitet), 1) im Allgemeinen so v.w. Können überhaupt, die hervorbringende, gestaltende, ausübende Kraft u. Fähigkeit des Menschen u. der Inbegriff der Gesetze, sowie die verschiedenen Gebiete menschlicher Leistungen, u. zwar subjectiv, die besonnen wirkende menschliche Kraft u. deren Ausübung (im Gegensatz zu Natur), sowie die durch Übung erworbene Fertigkeit u. Geschicklichkeit (Kunstfertigkeit, Kunstleistung); objectiv, der Inbegriff aller Grundsätze u. Ausübungsregeln, deren Anwendung in irgend einem Gebiete menschlicher Thätigkeit erforderlich ist, um etwas hervorzubringen, wie z.B. Koch-, Schreibe-, Redekunst etc.: 2) im ästhetischen Sinne, die Fähigkeit der Menschen, Anschauungen u. Empfindungen vermittelst freigeschaffener od. entlehnter, mit ihnen nicht willkürlich in Verbindung gesetzter, sondern ursprünglich verwandter Zeichen in entsprechender Weise sinnlich wahrnehmbar darzustellen. In diesem Sinne hat die K. die Aufgabe, der absoluten Idee Dasein für das Bewußtsein dadurch zu verschaffen, daß es dieselbe an der reinen Form der Erscheinung zur Anschauung bringt. Das Bewußtsein des Absoluten, welches in der freien Sittlichkeit nur subjective Gewißheit war, erhält hier die Form der Objectivität. Sie zeigt zunächst in der Baukunst, wie die Materie vermöge der unabänderlichen mathematischen Gesetze sich selbst zum Tempel der Idee zurüstet; in der Bildhauerei (Plastik), wie die Idee der Materie als ihrem organischen Leibe innewohnt; in der Malerei, wie sie aus der bunten Hülle der materiellen Welt als deren geistiger Ausdruck hervorbricht; diese Künste heißen auch zusammen Bildende Künste. Die K. läßt sodann die Idee, wie sie als menschliche Seele zu sich selbst gekommen ist, in der Musik od. Tonkunst ihr innerstes Leben aussprechen; sie redet endlich in der Dicht- od. Redekunst (Poesie) die eigene Sprache des Geistes, mag dieser im Liede ausströmen, od. sich im breiteren u. ruhigen Spiegel des Epos beschauen, od. aus dem tragischen u. komischen Untergange des Endlichen im Drama sich erheben. Von den sogen. Sieben freien Künsten, s. Freie Kunst 1), vgl. Quadrivium u. Trivium. So weit wir die Geschichte kennen, hat es die K. ursprünglich nur mit inneren, höheren, aus dem religiösen Bewußtsein hervorgegangenen Anschauungen u. Empfindungen zu thun u. breitet sich erst allmälig über das übrige Leben als. Sie ist demnach von vornherein auf eine selbständige, höhere, von dem gewöhnlichen Leben unabhängige, wenn auch damit in Verbindung stehende Ausdrucksweise angewiesen. Der Trieb, welcher die K. allmälig zu ihrer Entwickelung führt, ist das Bestreben, einerseits nach möglicher Übereinstimmung des Zeichens mit dem, was es bezeichnen soll, also nach Wahrheit, andererseits nach möglicher Vollkommenheit u. gesetzmäßiger Ausbildung dieses Zeichens. Die Gesetze dieser Ausbildung bestehen theils in Vorschriften, theils in Vorbildern, welche bes. die Natur gibt. Die auf diese Weise in die Sinne fallende Verbindung der K. mit der Natur kann ihre ursprüngliche Bestimmung so verrücken, daß es ihr nicht sowohl um die Darstellung innerer, als um die Wiederhervorbringung äußerer Anschauungen zu thun ist, daß sie statt selbst zu schaffen, nur Geschaffenes nachbildet. So wird die K. Nachahmerin der Natur, was sie ihrer ursprünglichen u. allgemeinen Bestimmung nach nicht ist. Sowohl zu dem abhängigen Nachbilden, als zu dem freien Schaffen gehören besondere Kräfte u. Fähigkeiten, welche im ersten Falle Talent, im zweiten Genie heißen, u. deren Erscheinen u. Verschwinden, unabhängig von menschlicher Willkür, in der Regel mit dem ganzen politischen u. moralischen Zustande eines Volkes in genauer Verbindung stehen. Wie groß od. gering diese Kräfte zu irgend einer Zeit bei irgend einem Volke sein mögen, sie unterliegen dem allgemeinen Gesetz organischer Entwickelung; sie sind im Steigen während des Bestrebens, das Zeichen mit seinem Gegenstand (der Idee) in möglich entsprechende Übereinstimmung zu setzen; sie stehen bei gleichmäßigem gelungenen Zusammenwirken in der Blüthe u. gerather durch Überspringung des Zieles u. durch einseitige Anstrengung in Verfall, welche Zeit- u. Lebensabschnitte in der K man Kunstepochen od. Kunstperioden zu nennen pflegt; vgl. Kunstgeschichte. Die Individuen, in denen die genannten besonderen Kräfte u. Fähigkeiten thätig sind, heißen Künstler; ihre vermittelst dieser Kräfte geschaffenen Erzeugnisse heißen Kunstwerke; die verschiedenen Arten derselben Kunstgattungen, sowie die verschiedenen Arten der K selbst Kunstzweige. 3) Im weiten Sinne jede Maschine, mit welcher vermöge einer äußeren Kraft eine Last aus der Tiefe gehoben wird, z.B. Göpelkunst; 4) jede Art von Wasserkünste, z.B. Saug-, Druck-, Paternosterwerke etc.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 893.
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