Cölibat

[444] Cölibat (das) heißt in der katholischen Kirche die Verpflichtung der Geistlichen zum ehelosen Leben, dem sich schon in den ersten christlichen Jahrhunderten viele Christen theils in der schwärmerischen Meinung widmeten, daß diese Entsagung verdienstlich sei, theils auch, weil vorzüglich die Geistlichkeit in jener unruhigen und bedrängten Zeit ihre Berufspflichten in höherm Maße erfüllen konnte, wenn sie nicht durch häusliche Pflichten gefesselt war. Als aber vom 4. Jahrh. an, durch den Einfluß des ausgebildeten Mönchthums, welches durch das Gelübde ewiger Keuschheit besonders ehrwürdig erschien, das ehelose und jungfräuliche Leben immer mehr als eine verdienstliche Aufopferung und ein Merk, mal höherer Tugend erschien, nöthigte nicht blos die öffentliche Meinung die Geistlichen zur Ehelosigkeit, um nicht minder heilig zu erscheinen, sondern sie wurde ihnen auch bald, und zwar zuerst in Spanien und Kleinasien, von der Kirche gesetzlich vorgeschrieben. Nur Unverehelichte und Witwer sollten die Priesterweihe erhalten, den verehelichten Geistlichen aber wurde aller Ehegenuß streng untersagt. Die ausgezeichnetsten Männer jener Zeit ließen sich von religiöser Schwärmerei zum Misverständniß der sittlichen Foderungen an die Menschennatur verleiten und priesen die unbefleckte Keuschheit. Zu Mailand verboten deshalb verständige Mütter ihren Töchtern, den Predigten des Ambrosius (s.d.) beizuwohnen, weil er bei den Jungfrauen eine allgemeine Cölibatsschwärmerei erregte, und der gelehrte Mönch Hieronymus wußte an der Ehe nur zu loben, daß in ihr Mönche und Nonnen erzeugt würden. In der abendländischen Kirche gelang, bei der entschiedenen Unterwerfung der Geistlichkeit unter die Macht der röm. Bischöfe, die allgemeine Einführung des Cölibats in einem hohen Grade; dagegen beobachtete man in der morgenländischen Kirche, wo die Bischöfe sich einer größern Unabhängigkeit erfreuten, hinsichtlich der Cölibatsgesetze größere Freiheit. Seit 692 wurde hier sogar den Geistlichen ebenso gut wie den Laien die Ehe verstattet, und jeder mit Absetzung und Excommunication bedroht, der dieselben daran zu hindern wage. Doch gilt dieses Gesetz heute bei den Geistlichen der unirten griech. Kirche nur von den Priestern und Diakonen, wenn sie sich vor der Weihe verehelicht haben, den Bischöfen und Mönchen dagegen ist das Cölibat unbedingt geboten.

So streng es auch im Abendlande den Geistlichen, sich zu verehelichen oder der früher geheiratheten Frau beizuwohnen, untersagt blieb, so war doch die Liebe zur Gattin und die Stimme der Natur stärker als alle ihr zuwiderlaufenden Gesetze. Die Priesterehe konnte daher nie ganz unterdrückt, am allerwenigsten aber das Concubinat (s.d.) verhindert werden und selbst die Titel Bruder und Schwester, unter welchem Geistliche und Jungfrauen, die ebenfalls Keuschheit gelobt hatten, in geistiger Vertraulichkeit und englischer Liebe sich verbanden, um bei der größern Gefahr einen desto größern Triumph der Keuschheit zu erringen, waren gewöhnlich nur der Deckmantel von Verführung und Befriedigung der Sinnlichkeit. Alle Verbote halfen sonach wenig zur Aufrechthaltung des Cölibats, bis endlich Gregor VII. 1074 meist aus politischen Gründen verordnete, daß alle verheiratheten Geistlichen und alle Laien, welche den gottesdienstlichen Handlungen derselben beiwohnen würden, excommunicirt sein sollten. Obgleich er sehen mußte, daß Viele lieber dem geistlichen Stande entsagten als ihm gehorsamten beharrte er doch bei seiner Strenge, und auch nach ihm fuhr die katholische Kirche fort, fest darauf zu halten. Dessenungeachtet wuchs mit jedem Jahrhunderte die Sittenlosigkeit der Geistlichkeit und überschritt im 15. und zu Anfang des 16. Jahrh. alle Grenzen. Die Reformatoren vertheidigten natürlich die Ehe der Geistlichen als ein heiliges Recht der Menschheit, und gaben durch ihr Beispiel das Zeichen zum Abfall von dem Cölibat, der auch von Seiten der protestantischen Geistlichen allgemein erfolgte. Drangen nun auch jetzt in der katholischen Kirche viele Stimmen auf [444] die Aufhebung des Cölibats und stimmten hiermit selbst der Kaiser und viele katholische Fürsten überein, so wurde dessenungeachtet auf der tridentiner Kirchenversammlung 1563 durch Stimmenmehrheit das Cölibat von Neuem bestätigt, und das Verdammungsurtheil über seine Verächter ausgesprochen. Nach den Gesetzen der katholischen Kirche ist der Priester nach empfangener Weihe für immer an den geistlichen Stand gebunden und zu einem ehelosen Leben verpflichtet; jedoch kann der Papst seine Gelübde lösen. Als weibliche Bedienung sind ihm nur die nächsten Blutsverwandten, wie Mutter, Schwester, Muhme oder ganz unverdächtige, nicht unter 40 Jahr alte Frauen gestattet. Bricht der Priester das Gelübde der Keuschheit, so muß er längere oder kürzere Zeit Buße thun und ist während derselben unfähig zu gottesdienstlichen Handlungen.

Die Bemühungen vieler katholischen Geistlichen Deutschlands, in neuester Zeit die Aufhebung des Cölibats zu bewirken, äußerten sich zuletzt durch darauf bezügliche Anträge in der würtemb. Kammer, durch eine deshalb 1828 bei der bad. Kammer eingereichte Bittschrift von 280 Katholiken, darunter mehre Dekane und Pfarrer, durch einen 1831 in Würtemberg zur Beseitigung desselben auf gesetzlichem Wege zusammengetretenen Verein katholischer Geistlichen, der aber durch ein kön. Decret im nämlichen Jahre wieder aufgelöst ward, durch einen ähnlichen Verein in der Diöces Trier, und mehre Schriften, sind aber bis jetzt ohne Erfolg geblieben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 444-445.
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