Boileau-Despréaux

[168] Boileau-Despréaux (spr. bŭaló-däpreó), Nicolas, franz. Dichter und Kritiker, geb. 1. Nov. 1636 in Paris, gest. daselbst 13. März 1711, studierte erst Theologie, dann die Rechte, widmete sich aber bald, da ihm das vom Vater (1657) ererbte Vermögen und die ihm verliehene Priorstelle zu St.-Paterne eine unabhängige Stellung sicherten, ganz der Dichtkunst. Schon seine Satire »Les adieux à Paris« hatte durch die Reinheit des Stiles und die Eleganz des Versbaues Aufsehen erregt, das eine Sammlung von sieben Satiren, die 1666 erschien (später kamen noch fünf hinzu; deutsch von Adeln, Goslar 1732; von Weyhe, Leipz. 1890), noch steigerte. Die gegen ihn gerichteten Angriffe der darin verspotteten Personen trugen nur dazu bei, seinen Ruhm zu erhöhen. Ludwig XIV., den er in einigen Gedichten gelobt, bewilligte ihm 1666 einen Jahrgehalt von 2000 Livres und ernannte ihn 1677 neben Racine zu seinem Historiographen, in welcher Eigenschaft er Ludwig auf zwei Feldzügen begleitete. Da B. viele Akademiker angegriffen hatte, so ward er erst 1684 auf Vermittelung des Königs Mitglied der Akademie. Seine literarische Tätigkeit, die er seit 1677 unterbrochen hatte, nahm er erst 1693 wieder auf, um einige schwache lyrische Versuche, fünf Satiren und zwölf Episteln zu schreiben. Die meisten sind gegen die Jesuiten und gegen Perrault, den Tadler der Alten, gerichtet, gegen letztern besonders noch die »Réflexions sur Longin« (1693). Seine besten Jahre verlebte B. zu Auteuil in Gesellschaft Molières und andrer geistreicher Männer; später hielt er sich ganz fern vom Hof, und als er krank und taub geworden, zog er sich in das Kloster Notre Dame zurück. Höher als seine Satiren werden seine Episteln geschätzt, am höchsten aber »L'art poétique« (1674; deutsche Ausg. von Schwalbach, 2. Aufl., Berl. 1892; von Lubarsch, Leipz. 1886; franz. Ausg. mit Kommentar von Delaporte 1888, 3 Bde.; deutsche Übersetzung von Schäfer, Siegen 1881, von P. Lang, Frankf. 1899), die für alle Stilgattungen der Poesie die Regeln aufstellte, die von jener Zeit an Gesetz blieben. Die Dichtkunst des Horaz, sein Vorbild, hat er nicht erreicht, schon deshalb, weil er sich auf die Form beschränkt und die poetische Erfindung nicht berücksichtigt. Sein »Lutrin« (1674, Übersetzung von v. Schönberg, Dresd. 1753) ist ein Meisterwerk der Verskunst über ein unbedeutendes Thema, voll von seinen und geistreichen Scherzen. In dem Streite zwischen den Anciens und den Modernes trat B. für jene ein, ließ sich aber von Arnauld zu einer Versöhnung mit Perrault bewegen, ohne seinen Standpunkt ganz zu verleugnen. Von seinen übrigen Werken sind zu erwähnen die Übersetzung aus Longin: »Traité du sublime« (1674), seine überaus schwache Ode »Sur la prise de Namur« (1693) und seine Briefe (ca. 120) an Brossette, Racine u. a., die den letzten (vierten) Band der Ausgabe[168] von Saint-Surin (1821) bilden. Von den zahllosen Ausgaben seiner Werke sind die wichtigsten: die von 1701, die letzte, die B. selbst besorgt hat (Neudruck von Pauly, Par. 1894, 2 Bde.), die von Brossette (Genf 1716, 2 Bde.), der vermöge seines langen Verkehrs mit B. wichtige Erläuterungen geben konnte; von Aimé-Martin (1825 u. ö.); die vortreffliche von Berriat Saint-Prix (1830–37, 4 Bde., neu hrsg. 1860); die von Gidel (1869–73, 4 Bde.) und von Poujoulat (Tours 1870) sowie die Prachtausgabe von Brunetière (1889). Mit seinem scharfen Verstand, seinem feinen Geschmack und seiner leidenschaftlichen Liebe zur Wahrheit hat B. der französischen Literatur ausgezeichnete Dienste geleistet; er hat Ordnung, Klarheit, edle und präzise Sprache gelehrt, wenn er auch Meisterwerke nicht zu schaffen vermochte und seine Verse zuweilen nur gereimte Prosa sind. Corneille und Pascal wußte er zu würdigen; Racine und Molière haben ihm viel zu verdanken. Er war ein Anhänger des Descartes, ein Verehrer der Jansenisten und hatte den Mut, den Jesuiten entgegenzutreten. Die Überschätzung, die das 18. Jahrh. B. zu teil werden ließ, ist im 19. Jahrh. auf das richtige Maß zurückgeführt worden; trotzdem sind seine Verse Eigentum eines jeden gebildeten Franzosen. Vgl. Morillot, Boileau (Par. 1891); Lanson, Boileau (2. Aufl. 1900); Heisler, B. als politischer Schriftsteller (Emmendingen 1897); E. Dreyfus-Brisac, Un faux classique. Nicolas B. (Par. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 168-169.
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