Rastatt

[611] Rastatt (Rastadt), 1) Bezirksamtsstadt im bad. Kreis Baden, an der Murg, Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Mannheim-Konstanz, R.-Weisenbach und Mannheim-Wintersdorf, 125 m ü. M., früher (bis 1890) Festung ersten Ranges, hat 4 Vorstädte (3 davon jenseit der Murg), 4 katholische und eine evang. Kirche, Synagoge, ein Schloß (nach dem Vorbilde dessen von Versailles), ein Gymnasium mit Konvikt, eine Handels- und eine Gewerbeschule, 2 Waisenhäuser, ein Amtsgericht, eine Bezirksforstei, Fabrikation eiserner Herde, von Waggons, Motoren, Gewehren, Luxusartikeln, Likör, Tabak, Zigarren, Posamenten und Klosettpapier, Kunstmühlen, eine Vernickelungsanstalt, Furniersägerei, Eisengießerei, mechanische Werkstätten, Bierbrauerei und (1905) mit der Garnison (Stab der 56. Infanteriebrigade, 2 Infanterieregimenter Nr. 25 und Nr. 111 und ein Regiment Feldartillerie Nr. 30) 14,404 Einw., davon (1900) 4617 Evangelische und 227 Juden.

Wappen von Rastatt.
Wappen von Rastatt.

In der Nähe das Lustschloß Favorite mit Garten und die Einsiedelei der Markgräfin Sibylle. Die Festungswerke wurden 1840–48 unter Leitung österreichischer Ingenieure angelegt. Vgl. Schuster, R., die ehemalige badische Residenz und Bundesfestung (Lahr 1902); Lederle, R. und seine Umgebung (Rastatt 1905). – R. ward 1689 von den Franzosen verbrannt, darauf von Ludwig Wilhelm von Baden wieder aufgebaut und zur Residenz (bis 1771) erhoben. Hier 7. März 1714 Friede zwischen Frankreich und Österreich, durch den der vorher zu Utrecht geschlossene Friede bestätigt ward und infolgedessen Österreich die spanischen Niederlande, Neapel, Sardinien, Mailand, Mantua, Mirandola und Comacchio erhielt, das Deutsche Reich Freiburg, Kehl und Altbreisach wieder bekam, während den Franzosen Landau verblieb und die Kurfürsten von Bayern und Köln sowie mehrere kleinere italienische Fürsten vom Kaiser ihre Länder zurückerhielten. Vom 9. Dez. 1797 bis 23. April 1799 tagte hier gemäß dem Frieden von Campo Formio ein Friedenskongreß zur Ordnung der deutschen Reichsangelegenheiten und zur Entschädigung der Reichsfürsten, die ihre linksrheinischen Gebiete verloren. Die fruchtlosen Verhandlungen wurden von Österreich, das inzwischen mit Rußland und England eine neue Koalition gegen Frankreich geschlossen hatte, abgebrochen. Am 28. April 1799 gegen Abend reisten die französischen Gesandten Bonnier, Roberjot und Jean Debry, mit Pässen versehen, von R. ab, hatten aber die Vorstadt höchstens 200 Schritt hinter sich, als sie von einer Abteilung Szekler Husaren überfallen wurden. Bonnier und Roberjot wurden ermordet und ihrer Papiere beraubt; Jean Debry gelangte, obwohl schwerverwundet, nach R. zurück. Über dem Ereignis (Rastatter Gesandtenmord) ruhte lange ein Schleier. Doch wurde wiederholt versucht, die Schuld von der österreichischen Regierung auf die französischen Emigranten (vgl. K. Mendelssohn-Bartholdy, Der Rastatter Gesandtenmord, Heidelb. 1869, und v. Helfert, Der Rastatter Gesandtenmord, Wien 1874) oder auf die französische Kriegspartei, besonders Bonaparte, abzuwälzen (vgl. Böhtlingk, Napoleon und der Rastatter Gesandtenmord, Leipz. 1883, und Zum Rastatter Gesandtenmord, Heidelb. 1895). Indes ist jetzt so viel gewiß, daß das Verbrechen ausschließlich von Szekler Husaren ausgeführt wurde, aber nicht von der Militärbehörde direkt angeordnet war (vgl. v. Sybel in der »Historischen Zeitschrift«, Bd. 39; Hüffer, Der Rastatter Gesandtenmord, Bonn 1896, und in der »Deutschen Literaturzeitung« vom 16. Juli 1904, sowie »Der Krieg von 1799 und die zweite Koalition«, Bd. 1, Gotha 1904; Criste, Beiträge zur Geschichte des Rastatter Gesandtenmordes, im 11. Bd.[611] der »Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarchivs«, Wien 1899). In R. begann 11. Mai 1849 mit Militärmeutereien der Aufstand in Baden und fand hier auch sein Ende. Von den Preußen seit Ende Mai zerniert und vom 8. Juli an beschossen, ward die Festung 23. Juli an die Preußen übergeben, die den Platz Ende November 1850 räumten. 1890 wurde die Festung geschleift. Vgl. Eisinger, Beiträge zur Topographie und Geschichte der Stadt R. (Rastatt 1854); v. Münch-Bellinghausen, Protokoll der Reichsfriedensdeputation zu R. (das. 1798, 6 Bde.); v. Haller, Geschichte der Rastatter Friedensunterhandlungen (Zür. 1799, 6 Bde.); Fickler, In R. 1849 (2. Aufl., Rastatt 1899). – 2) Deutsches Kolonistendorf im russ. Gouv. Cherson, Sitz eines Koloniegebietsvorstandes, mit kath. Kirche, Schule und 2200 Einw. In der Nähe die Kolonie München.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 611-612.
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