Spiegel [1]

[730] Spiegel, Körper mit glatter Oberfläche, die zur Erzeugung von Spiegelbildern benutzt werden. Man unterscheidet Planspiegel mit vollkommen ebener und Konvex- und Konkavspiegel mit gekrümmter Spiegelfläche, wendet aber im gewöhnlichen Leben meist Planspiegel an. Als solche benutzte man im Altertum, zum Teil schon in vorgeschichtlicher Zeit, runde, polierte, gestielte Metallscheiben aus Kupfer (Ägypter, Juden), Bronze (Römer, besonders brundusische S.), Silber, Gold (seit Pompejus, Gold auch schon bei Homer). Auch obsidianartige, dunkle, undurchsichtige Glasmassen mit glatter, polierter Oberfläche, die in die Wand ein gelassen wurden, kannte bereits das Altertum. Kleine S., aus Glaskugeln geschnitten und mit Blei ausgegossen, wie sie auch aus römischen Gräbern des 2. und 3. Jahrh. bei Regensburg, aus Gräbern in Gallien, Thrakien, Bulgarien und den Ruinen der ägyptischen Stadt Antinoe bekannt sind, wurden im 12. und 13. Jahrh. als Schmuck getragen. Die Herstellung der größern, mit Blei-, seit dem 14. Jahrh. wie noch heute mit Zinnamalgam belegten S. scheint eine deutsche Erfindung zu sein (vgl. Glas, S. 897,2. Spalte). Zur Darstellung solcher mit Zinnamalgam belegten S. breitet man auf einer horizontalen, ebenen Steinplatte ein Blatt kupferhaltige Zinnfolie (Stanniol) aus, dessen Größe die des Spiegels etwas übertrifft, übergießt es 2–3 mm hoch mit Quecksilber, das mit dem Zinn ein Amalgam bildet, schiebt die polierte und sorgfältig gereinigte Glasplatte so über die Zinnfolie, daß ihr Rand stets in das Quecksilber taucht, beschwert sie dann mit Gewichten, gibt der Steinplatte eine ganz geringe Neigung, damit das überschüssige Quecksilber abfließt, und legt den S. nach 24 Stunden mit der Amalgamseite nach oben auf ein Gerüst, das man allmählich mehr und mehr neigt, bis der S. schließlich senkrecht steht. Nach 8–20 Tagen ist er verwendbar. Auf 1 qm Glas haften 5–6 g Amalgam aus etwa 78 Zinn und 22 Quecksilber. Die Herstellung dieser S. ist wegen der beständig sich entwickelnden Quecksilberdämpfe und wegen der leichten Verteilung des Quecksilbers in äußerst seine, anhaftende Kügelchen und des Amalgams zu einem schwarzen Staub höchst gefährlich und fordert strenge Einhaltung sehr weitgehender hygienischer Maßregeln, um Quecksilbervergiftungen vorzubeugen (Erlaß des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe vom 18. Mai 1889, bez. 22. Aug. 1893). Quecksilberspiegel machen die Gesichtsfarbe bleicher, während Silberspiegel ein frischeres, rötlicheres Bild liefern, billiger sind und ohne Benachteiligung der Arbeiter hergestellt werden können. Silberspiegel[730] verdrängen daher in neuerer Zeit mehr und mehr die Quecksilberspiegel. Spiegelglas auf der Rückseite zu versilbern, wurde zuerst von Drayton 1843 vorgeschlagen. Doch gewann die Fabrikation erst seit 1855 durch Petitjean und Liebig, die zweckmäßige Versilberungsflüssigkeiten angaben, praktische Bedeutung. Übergießt man das Glas mit einer alkalische Reduktionsmittel (Traubenzucker und Natronlauge oder Weinsäure und Ammoniak) enthaltenden Silbernitratlösung, so schlägt sich das Silber auf das Glas nieder, an dem es fest haftet.

Fig. 1–3. Römische Handspiegel.
Fig. 1–3. Römische Handspiegel.

Es wird zum Schutz mit einem Anstrich überzogen, auch wohl zunächst galvanisch verkupfert. Bei Herstellung größerer S. gießt man die Versilberungsflüssigkeit auf die Glasplatte, die auf einem gußeisernen Kasten liegt, der mit Wasser gefüllt ist und eine Dampfschlange enthält, um die Platte erwärmen zu können. Kleinere Platten stellt man je zwei mit dem Rücken aneinander reihenweise in die Versilberungsflüssigkeit. Auf 1 qm Glas kann man 29–30 g Silber ablagern. Zur Herstellung von Platinspiegeln trägt man eine Mischung von Platinchlorid mit Lavendelöl, Bleiglätte und borsaurem Blei auf das Glas auf und brennt das ausgeschiedene Metall ein.

Fig. 4. Etruskischer (sogen. Semele-) Spiegel.
Fig. 4. Etruskischer (sogen. Semele-) Spiegel.

Da das Platin an der Luft nicht anläuft, so halten sich diese S. sehr gut, und der Metallüberzug ist so dünn, daß das Glas durchsichtig bleibt. Planspiegel für astronomische und physikalische Instrumente werden aus Spiegelmetall hergestellt oder bestehen aus Glasmitgeschwärzter Rück- oder versilberter Vorderseite. Vgl. Benrath, Glasfabrikation (Braunschw. 1875); Cremer, Die Fabrikation der Silber- und Quecksilberspiegel (2. Aufl., Wien 1903). – Die für die Toilette der Frauen bestimmten Handspiegel des Altertums wurden am Griff und auf der Rückseite der Scheibe künstlerisch verziert, auf letzterer bei den Griechen, Römern etc. meist mit eingravierten mythologischen und genrehaften Darstellungen geschmückt (Fig. 1–3). Antike S. sind zahlreich in den verschütteten Vesuvstädten und in den Gräbern gefunden worden. Eine Spezialität bilden die etruskischen S. (Fig. 4 u. Tafel »Bronzekunst I«, Fig. 8), die von E. Gerhard, dann von Klügmann und Körte beschrieben worden sind. Die antike Grundform des Handspiegels hat sich bis jetzt erhalten. Nur wurde die Spiegelfläche vielseitig gestaltet, von einem mehr oder minder reichverzierten Rahmen eingefaßt und auf der Rückseite mit Schnitzwerk, Reliefarbeit, Intarsia etc. geschmückt. Zur Renaissancezeit trugen die Damen Handspiegel am Gürtel. Im Mittelalter kamen auch Taschenspiegel und S. zum Aufhängen an Wänden auf, die seit dem 16. Jahrh. immer größer wurden und sich nach der Erfindung des gegossenen Spiegelglases (1688) zu den von der Decke bis zum Fußboden reichenden Trumeaus entwickelten. Im Mittelalter waren Venedig und Murano die Hauptsitze der Spiegelfabrikation, welche die ganze kultivierte Welt mit Spiegeln versorgten. Die Einrahmung der Wandspiegel, die anfangs durch gekehlte Leisten, später durch reich ornamentiertes Schnitzwerk erfolgte, wurde ein besonderer Zweig der Möbeltischlerei. Doch wurden früher und werden gegenwärtig noch in Venedig und Murano Wandspiegel mit Rahmen aus geschliffenem oder geblasenem Glas, aus naturalistischen farbigen Blumen (Rosen u. dgl.) und Rankenwerk angefertigt.

In übertragenem Sinne bezeichnet S. überhaupt jede glatte, glänzende Fläche (z. B. Eis-, Wasserspiegel), sodann in der Weidmannssprache den hellen Fleck um das Weidloch der Hirsche und Rehe, auch den weißen oder metallglänzenden Fleck auf den Flügeln der Enten sowie den weißen Schulterfleck des Auer- und des Birkwildes, ferner die jungen, in großer Zahl beieinander sitzenden Raupen der Nonne, des Ringelspinners. Über den S. der Bienen s. d., S. 836.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 730-731.
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