Verband [1]

[32] Verband, eine mittels Binden oder andrer Hilfsmittel (Schienen u. dgl.) kunstgerecht ausgeführte Bedeckung und Einwickelung verwundeter, gequetschter, gebrochener oder entzündeter Körperteile. Das wichtigste Material zur Anlegung eines Verbandes ist die Binde, ca. 3–6 cm breit und 5–6 m lang. Gazebinden legen sich sehr gut an, sind waschbar und daher öfter zu verwenden. Mit Stärke getränkt (Orgatinbinden) und feucht angelegt, trocknen sie in wenigen Stunden und stellen dann den Körperteil völlig ruhig; noch rascher und vollkommener erfolgt die Erhärtung bei den Gipsbinden, die, mit Gipsbrei durchtränkt und bestrichen, den bei Knochenbrüchen sehr zweckmäßigen Gipsverband geben. Wie Gips und Kleister werden auch andre erhärtende Stoffe für Kontentivverbände benutzt, z. B. Lösungen von Wasserglas, Leim, Zellulose, indem man die Binden damit tränkt oder bestreicht. Flanellbinden sind sehr weich und schmiegen sich dem verbundenen Glied sehr gut an, dienen daher zweckmäßig zur Unterlage bei Gipsverbänden, die lange liegen bleiben. Cambricbinden sind sehr weich und dehnbar, auch waschbar. Kautschukbinden üben einen starken Druck auf ihre Unterlage aus und sind daher für Druckoder Kompressionsverbände (bei Krampfadern, Wassersüchtigen oder entzündeten Körperteilen, bei Blutungen) geeignet, da sie aber die Hautausdünstungen nicht durchlassen, so sucht man sie zu vermeiden und durch gummihaltige Gewebe oder durch gewöhnliche, straff angelegte und sich teilweise deckende Binden zu ersetzen. Über Brandbinden s. Wunde. Die mit der Hand oder Maschine aufgewickelte Binde wird angelegt, indem man sie in Kreistouren um den Körperteil laufen läßt, oder, wenn man z. B. größere Gebiete umhüllen will, in spiraligen Gängen führt, wobei sich die einzelnen Windungen entweder nicht decken oder bei festern Verbänden mehr oder weniger stark auseinander übergreifen (Fig. 1). An ungleich dicken Gliedmaßen, z. B. am Unterarm, würde die Binde bei spiraliger Wickelung schlecht liegen, man vermeidet Klassen der Ränder, indem man die Binde bei jeder Spiraltour einmal umschlägt, so daß die Unterseite nach oben sieht (Renversé, Fig. 2). An Gelenken muß man die Binde in Achtertouren führen, die sich mehr oder weniger decken (sogen. Spica, Kornähre, Fig. 3). Fig. 4 zeigt die in Fig. 1 begonnene Einwickelung des Armes und der Schulter, Fig. 5–7 Verbände zur Ruhigstellung und Kompression verschiedener Gelenke. Der Schulterverband (Fig. 8) fixiert den Arm in bestimmter Lage am Rumpf (bei Schulter- und Oberarmverletzungen). Fig. 9 zeigt die Bindenführung beim Wundverband nach Fingeramputation.

Fig. 1. Einwicklung des Armes. Umschlag der Binde. 3. Achtertour um ein Gelenk.
Fig. 1. Einwicklung des Armes. Umschlag der Binde. 3. Achtertour um ein Gelenk.

Sehr zweckmäßig, namentlich als Not- und Kriegsverbände, sind die Tücherverbände, hergestellt aus einem dreieckigen oder in der Diagonale zusammengelegten viereckigen Tuch. Sie dienen zur Ruhigstellung und Stützung wie zur Umhüllung kranker Gliedmaßen (z. B. als Armtragetuch, Fig. 10). Für Notverbände benutzt man Heftpflaster, das in Streifen geschnitten sehr fest an der Haut haftet und zur Ruhigstellung beweglicher Teile sehr geeignet ist, z. B. bei Bruch der Kniescheibe zur Annäherung beider Bruchstücke aneinander. Bei Rippenfellentzündung kann durch Heftpflasterstreifen, die, einander deckend, im Verlauf der Rippen angelegt werden und die betreffende Brustseite ruhig stellen, der Schmerz sehr gelindert werden. Auch die Zurückhaltung des Nabelbruches durch Heftpflaster verband wird vielfach gebraucht.

Fig. 4. Armverband. 5. Verband des Handgelenkes. 6. V. des Fußgelenkes. 7. Knieverband. 8. Dessaultscher Schulterverband. 9. V. nach Amputation eines Fingers.
Fig. 4. Armverband. 5. Verband des Handgelenkes. 6. V. des Fußgelenkes. 7. Knieverband. 8. Dessaultscher Schulterverband. 9. V. nach Amputation eines Fingers.

Schienenverbände sollen das Glied in bestimmter Lage erhalten, sie werden vorzugsweise bei Knochenbrüchen angewendet. Man benutzt als Schienenmaterial Bretter, Pappstreifen, Blech, Drahtgeflecht, Filz, biegsame Holzspäne, Guttapercha, Gipshanfschienen; im Feld und im Notfall Strohmatten, Säbelscheiden, Bajonette.[32]

Fig. 10. Tuch als Armstützverband.
Fig. 10. Tuch als Armstützverband.

Die Gliedes werden wie durch erstarrende oder Schienenverbände auch durch bestimmt geformte Kissen und Polster, an denen die Glieder angewickelt werden, erzielt. Zu diesen Lagerungsverbänden gehören auch die mannigfachen Vorrichtungen, die durch Anwendung schiefer Ebenen, Drahthofen, Holzladen Glieder in bestimmter Stellung zuerhalten suchen, z. B. das Stehbett, eine der Körperform ungefähr entsprechende Holzlade, an Knochenvorsprünge müssen bei Gebrauch von Schienen gut gepolstert werden. Man legt die Schienen längs des Gliedes nach entsprechender Polsterung an und umwickelt das Ganze mit Binden (Fig. 11); oft werden Schienen auch in einen Gipsverband zwischen die einzelnen Lagen der Gipsbinde eingelegt, um seine Festigkeit zu verstärken. Bestimmte Lagerung des erkrankten der sich die Beinladen in mäßiger Spreizstellung befinden. Das Bett dient zur Behandlung von an der Hüfte operierten Kindern, die in die gepolsterte Lade hineingelegt und an derselben einfach angewickelt werden. Die Lade ist leicht transportabel und für sehr langen Gebrauch geeignet.

Fig. 11. Schienenverband bei Knochenbruch.
Fig. 11. Schienenverband bei Knochenbruch.

Die Zugverbände (Extensions-, Distraktionsverband) werden namentlich an den Beinen angewendet, um bei Knochenbrüchen eine Verschiebung der Knochenenden zu vermeiden und das Bein in richtiger Länge zu heilen, ebenso bei Gelenkerkrankungen, um das Gelenk zu entlasten. Man legt unterhalb der Bruchstelle längsverlaufende Heftpflasterstreifen an das Glied an, die mit einem am Fußende über eine Rolle herabhängenden Gewichte verbunden sind, wodurch ein dauernder und abstufbarer Zug ausgeübt wird (Fig. 12).

Fig 12. Extensionsverband.
Fig 12. Extensionsverband.

Muß die Halswirbelsäule wegen Knochenerkrankung entlastet werden, so bringt man einen am Kinn und Hinterhaupt anliegenden Verband mit einem am Kopfende des Bettes über eine Rolle herabhängenden Gewicht in Verbindung. Extension läßt man auch oft auf Schienenverbände oder auf Kontentivverbände, die unterhalb der zu entlastenden Stelle angebracht sind, wirken. Hülfenverbände werden namentlich für längern Gebrauch hergestellt, indem man erhärtende Verbände aus Zellulose, Leim etc. der Länge nach aufschneidet, man kann sie dann vermöge ihrer elastischen Beschaffenheit jederzeit abnehmen und wieder anlegen. Man versieht die Hülsen an der Schnittlinie mit Schnürvorrichtungen und überzieht sie häufig mit Leder. Bringt man zwischen zwei Hülsenverbänden, etwa zwischen einem das Becken und den Oberschenkel und einem den Unterschenkel umgreifenden, federnde Apparate an, so kann man damit einen dauernden, auch während des Gehens wirksamen Zug, in dem genannten Fall z. B. auf das Kniegelenk, ausüben. Verbindet man zwei derartige Hülsenverbände mit Scharnieren, so können damit bestimmte Gelenkbewegungen und Beugungen ermöglicht, bez. erzwungen werden. Durch allmähliche Geraderichtung eines stellbaren Scharniers zwischen einer Oberschenkel- und Unterschenkelhülse kann z. B. ein in krankhafter Beugestellung verharrendes Kniegelenk allmählich gestreckt werden. Über Gehverbände s. d. Verbände dürfen nicht zu fest angelegt werden, da sonst der Blutumlauf gestört und sogar Brand erzeugt werden kann. Um Kreislaufstörung sofort zu erkennen, läßt man bei Gliedmaßenverbänden gewöhnlich die Finger, bez. Zehen frei. Das Bein wird gewöhnlich in gestreckter Stellung, der Arm bei gebeugtem Ellbogen verbunden. Die Verbandlehre (Desmologie) ist ein Bestandteil der Chirurgie. Vgl. Artikel »Verbandstoffe« und Hoffa, Atlas und Grundriß der Verbandlehre (3. Aufl., Münch. 1904); Klaußner, Verbandlehre (2 Aufl., das. 1896); Engel, Technik des ersten Verbandes (Berl. 1901); van Eden, Verbandlehre (Jena 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 32-33.
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