Gicht [1]

[342] Gicht (Arthritis), bezeichnet gewisse entzündliche u. schmerzhafte Affectionen der Gelenke, die eigenthümlich verlaufen u. als Krankheitsproducte erdige Concretionen hinterlassen u. als deren inneren Grund man eine besondere Ernährungsanomalie od. Dyskrasie unterscheidet (Gichtische Disposition, Gichtische Dyskrasie). Die G. entwickelt sich aus Verdauungsstörung u. Unterleibsplethora u. scheint darin zu[342] bestehen, daß ein Überschuß verbrauchter od. unausgeschiedener thierischer Stoffe, vorzüglich in der Form von harnsauren Salzen, im Blute circulirt u. in periodischen Entzündungsanfällen an die Gelenke u. andere fibröse Häute abgelagert wird. Der Charakter der gichtischen Zufälle besteht theils in der Art des Schmerzes, der plötzlich eintritt u. bisweilen dem Verrenkungsschmerze od. dem Sägen, Hämmern od. Aufträufeln sehr heißer od. sehr kalter Tropfen gleicht (la goutte, gutta); theils in dem Sitze desselben in kleineren Gelenken (bes. der Finger u. Zehen), od. in fibrösen Theilen; theils in dem Aussehen der Hautentzündung, welche glänzend, rosenartig u. bläulich ist; theils u. bes. in den Krankheitsproducten, deren Rückstände eine kalk- od. kreideartige Masse (Gichtconcremente, Gichtablagerungen, Concretiones arthriticae) sind. Man unterscheidet die G. als acut, chronisch, regelmäßig, uuregelmäßig u. verlarvt. Die regelmäßige acute G. (A. acuta) zeigt sich, nachdem Vorboten von Abdominalplethora, Säureerzeugung u. Verdauungsstörungen od. wandernde Schmerzen verschiedener Art längere Zeit vorausgegangen sind, durch einen, meistens im Frühjahr zuerst eintretenden Gichtanfall, welcher in Begleitung eines eine, zwei bis drei Wochen dauernden Fiebers mehrmals sich wiederholt. Der Anfall selbst steigert sich u. endet in Zeit von 24 Stunden mit Abnahme der Schmerzen u. unter Schweiß. Meistens kehren die Fieberanfälle einen Tag um den andern wieder, u. Schmerz sowie Fieber sind in der Zwischenzeit geringer. Gegen den neunten od. elften Tag der Krankheit vermindern sich die Schmerzen u. die Anschwellung des befallenen Theiles, die Haut beginnt zu zucken u. läßt bisweilen eine kleienartige Abschuppung bemerken; der Harn ist sauer, trübe u. mit reichlichem Bodensatz von harnsauren Salzen versehen. So beendigt sich meistens mit 7–14 Fieberanfällen, von denen die ersteren die heftigsten, die mittleren die schmerzhaftesten sind, der ganze Verlauf des ersten Gichtanfalls. Die chronische G. (A. chronica) besteht darin, daß alljährlich zu ziemlich bestimmten Zeiten, meist im Frühjahr, auch im Herbste, die Gichtschmerzen wiederkehren u. zwar entweder einen ähnlichen acuten Verlauf machen wie der eben beschriebene, od. auch ohne merkliche Fieberparoxismen einige Wochen andauern, nach u. nach jedoch häufiger wiederkehrend u. sich immer länger hinausziehend, mehr den remittirenden Charakter annehmen u. verschiedene Gelenke nach einander befallen. Alle Erscheinungen werden nach u. nach geringer, u. es bilden sich in den Häuten der befallenen Gelenke jene Gichtconcremente, welche später Ankylosen der Gelenke verursachen u. Gichtknoten (Tophi arthritici) außerhalb der Gelenke od. auch Ablagerungen kalkähnlicher Massen in inneren Theilen (am Herzen, in den Häuten der großen Blutgefäße etc.) u. in deren Gefolge manche bedeutende innere Krankheit, wie Herzfehler, Aneurysmen u. Verengerung der großen Arterien bedingen. Zuweilen scheint die G. Aussonderungsorgane als Ableiter zu wählen, u. es entstehen Schleimflüsse, Fußgeschwüre, Hautausschläge etc. Diese beiden Formen faßt man als A. genuina od. A. regularis zusammen. In diesem regelmäßigen Verlaufe kann die G. die Gelenke der Extremitäten, des Fußes (Podagra), seltener der Hand (Chiragra), des Knies (Gonagra), des Ellenboaens (Pechyagra), der Schulter (Omagra) etc. befallen. Weniger regelmäßig ist der Verlauf der G., wenn sie die Knochen des Kopfes (Kopfgicht, Cephalagra) od. das Rückgrath, die Lenden-, Kreuz- u. Hüftgegend befällt. In allen diesen Fällen gehen mancherlei andere Beschwerden mit einher (unregelmäßige G., A. irregularis s. anomala), u. ändert die G. ihren Ort mehr als sonst (herumschweifende G., A. vaga), u. weil man dabei einen Mangel an den zur gehörigen Entwickelung u. Entscheidung der Krankheit nöthigen Kräfte voraussetzte, nannte man diese G. atonisch (A. atonica). Gehen den eigentlichen Gichtanfällen andere Krankheitszustände voraus, die dadurch, daß sie etwas Intermittirendes, Periodisches an sich tragen, gleichsam unvollkommene Gichtanfälle sind, so wandernde Schmerzen in den Gliedern, Wadenkrämpfe, Verdauungsbeschwerden, Magenkrampf, Kolik, Steckflüsse, Hautausschläge etc., so begreift man diese Zufälle unter dem Namen der verlarvten G. (A. larvata), obgleich oft genug G. dabei gar nicht im Spiele ist. Die Gichtanfälle haben eine sogenannte kritische Bedeutung für gewisse innere Krankheitszustände u. können folglich durch Störungen von außen her (Erkältung, falsche Behandlung) Versetzungen nach inneren Theilen machen (Gichtmetastasen), bes. nach den serös-fibrösen Häuten des Hirns, Rückenmarks, Herzens u. nach den Harnwerkzeugen, u. es kommt später entweder zu gar keinem Gichtanfall mehr od. nur zu unvollkommenen Versuchen. Daher spricht man auch von zurückgetretener G. (A. retrograda).

Die Anlage zur G. ist immer constitutionell, oft ererbt, jedoch zeigt sie sich nur erst in den mittleren Lebensjahren zwischen dem 30. u. 60. Jahre. Das männliche Geschlecht ist mehr der G. unterworfen als das weibliche, u. am meisten befällt sie starke, vollblütige Personen, welche gut essen u. trinken. Aber auch Entbehrung u. Strapazen (G. der armen Leute, A. pauperum) rufen G. hervor. Zu Trippern gesellt sich zuweilen ein Zustand (Trippergicht, A. gonorrhoica), einem heftigen Gelenkrheumatismus ähnlich, der namentlich im Kniegelenk seinen Sitz aufschlägt. Die G. ist eine langwierige u. schwer zu vertilgende Krankheit, ohne daß sie lebensgefährlich genannt werden kann, immer aber sind bei lang fortgeschleppter G. üble Folgekrankheiten zu fürchten, bes. Leiden des Harnsystems, der Athmungsorgane, Staar etc. Bei kräftigen, sonst gefunden Leuten in mittleren Jahren ist die Aussicht auf Heilung größer. Die Behandlung der G. hat die Aufgabe, die örtliche Entzündung zu mildern (aber nicht zu stören), durch warme Einwickelungen in Flanell, Werg, Kräuterkissen, Gichtpapier, neben Ruhe des Gliedes u. Diät des Körpers. Innerlich nützt zuweilen ein Brechmittel, sodann Salmiak, weinsteinsaures u. essigsaures Kali, doppeltkohlensaures Natron. Als gichtwidrige Specifica werden empfohlen Colchicum Aconit, Guajaktinctur. Die Hauptaufgabe nach beseitigtem Gichtanfall ist stets Tilgung der Gichtanlage u. Verhütung neuer Anfälle, was bes. durch zweckmäßig geordnete Lebensweise, vorzugsweise aber durch vorsichtige Abhärtung der Haut u. zuweilen durch die Wassercur geschehen kann. Die chronische G. verlangt außerdem Trinkwasser u. Bäder wie Karlsbad, Marienbad, Vischy, Ems, Franzensbad, Gastein, Teplitz, Wiesbaden, Warmbrunn, Aachen u.[343] m. a., Moor- u. Schlammbäder, Sool-, Ameisen-, Fichtennadel- u. Dampfbäder. Vgl. Ure, On gouty concretions, Lond. 1827; Duvinge, Monographie der G., deutsch von Fitzler, Ilmenau 1830; Vecinq, Heilart der G., Wien 1832; Brian, Considérations pratiques sur la goutte etc., Par. 1843; Chomel, Rheumatisme et goutte, Par. 1837; Ceste, De la goutte etc., Par. 1840; Parkin, On gout etc., Lond. 1841; Beyer, Arzneiapparat zur Behandlung der G., Bresl. 1842; Wendt, Die G., Bresl. 1844; Toulmin, Gout etc., Lond. 1850; Gairdner, On gout etc., Lond. 1851, 2. Aufl.; Wiß, Rheumatismus u. Gicht, Berl. 1853; Raudnitz, Die Gicht etc., Wien 1857.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 342-344.
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