Nowgorod

[147] Nowgorod, 1) russisches Gouvernement, zwischen Wologda, Jaroslaw, Twer, Yskow, Petersburg u. Olonez; 2185,84 (2125,95) QM., 891,000 Ew.; durch das Waldaigebirge hügelig, nördlich sumpfig u. morastig, südlich fruchtbar; bewässert von zahlreichen Flüssen, welche theils der Wolga (Schexna, Mologa), theils dem Ladogasee (Släs u. Pascha), theils dem Ilmensee (Msta, Pola, Lowat, Polista, Shelon), u. aus diesem durch die Wolchow ebenfalls dem Ladoga, theils dem Finnischen Meerbusen (Luga u.m.a.) zufallen; auch durch mehre Kanäle, wodurch die Ostsee mit dem Kaspischen Meere verbunden wird, u. durch mehre Seen, als: Ilmen, Bjelo Osero, Wosch u.a. (überhaupt 58). Der Kanal von N., angefangen 1797, vollendet 1802, verbindet die Msta mit der Wolchow, ist 7 Werste 220 Klaftern lang. Klima rauh, der Winter lang; man baut Feldfrüchte (hinreichend), Gartenfrüchte, weniger Obst, hat ansehnlichen Holzwuchs, viel Waldbeeren, Speise- u. Raubwild (Wölfe, Luchse, Bären, Fischottern), wenig Viehzucht, bedeutende Fischerei (Hausen, Lachse, Flußperlen), vielerlei Mineralien (Eisen, Steinkohlen, Kochsalz), aber geringen Kunstfleiß u. Handel. N. hat den Titel eines Großfürstenthums; Wappen: ein goldener Lehnstuhl, auf welchem ein rothes Kissen mit kreuzweis über einander gelegtem Scepter u. Kreuz in silbernem Felde, darüber ein Leuchter mit drei brennenden Kerzen, auf jeder Seite einen Bären, aufrecht stehend; Eintheilung in 10 Kreise. Die Geschichte des Großfürstenthums N. s.u. Rußland; 2) Kreis darin, an Petersburg grenzend; bewässert vom Ilmensee, Wolchow u. Shelon; 180,000 Ew.; 3) N. Weliki (d.i. Groß-Neustadt), Hauptstadt des Kreises u. der Provinz, am Ausfluß des Wolchow, über welchen eine steinerne Brücke führt, aus dem Ilmensee; Sitz des Kriegsgouverneurs von N. u. Twer, der statthalterschaftlichen Behörden, eines Bischofs. Die Stadt besteht aus dem alten Kreml, am linken Ufer des Wolchow, als alte russische Festung mit Wall u. Graben umgeben, einen steilen Hügel krönend; er enthält die alte Kathedrale der Sta. Sophia, aus dem 11. Jahrh., mit vier silbernen u. einer (der mittleren) goldenen Kuppel; darin die Korsunschen Thüren (die bronzene 112/3 Fuß hohe u. 3 Fuß breite Hauptthüre), in welcher die 24 Felder meist biblische Gegenstände darstellen; Wladimir der Große soll sie 988 in der Krim erobert u. von Cherson hierher gebracht haben; sie stammen aber wahrscheinlich aus Deutschland; die später eingegrabenen Inschriften sind russisch u. lateinisch; vgl. Fr. Adelung, Die Korsunschen Thüren zu N., Berl. 1823; die. Schwedischen Thüren (die Nebenthüren, welche aus Sigtuna in Schweden stammen, woher sie den Nowgorodern 1187 von den Kareliern, durch welche jene Sigtuna zerstören ließen, gebracht wurden), die Pergamenthandschrift des Gesetzbuchs Jaroslaws (Russkaja Prawda, auch Nowogorodsches Recht genannt, wahrscheinlich 1280 geschrieben), der Sarg des St. Iwan von N. Ein Volksgarten liegt am Abhange der Festung. Aus der Sophienstadt, ebenfalls am linken Ufer des Wolchow, südlich des Kreml, mit schönen Gebäuden, bes. dem neuen Regierungsgebäude, Wohnsitz der Behörden u. der Besatzung. Aus der Kaufmannsstadt, am rechten Ufer des Wolchow; hier das neue Schloß, Wohnsitz des Generals u. seines Stabes von der bei N. angesiedelten Militärcolonie (ein Grenadiercorps), u. die meisten der 62 Kirchen mit vergoldeten Thürmen, 10 Klöster. Sonst ist dieser Stadttheil sehr verfallen, ganze Straßen liegen öde u. in Trümmern. N. hat jetzt Waisen- u. Armenhaus, Bazar, Segelmanufactur, Wachsbleiche, Lichtzieherei, Essigbrauerei, einigen Handel; 15,000 Ew. In der Umgebung von N. liegt nebst mehren Klöstern das des St. Jurgij (Georg) am Ausfluß des Wolchow aus dem Ilmensee, mit großen, von der Gräfin Tschesmenskaja, Tochter Orlows, hierher geschenkten Schätzen. – N. wurde von den Slawen an der Stelle des alten Slawensk, erbaut u. war ein heiliger Ort, bald auch Hauptstadt. Rurik residirte nach 864 in N., u. nach ihm herrschten mehre russische Fürsten daselbst. Im 10. Jahrh. wurde hier ein Erzbisthum errichtet. Im Anfang des 11. Jahrh. wurde Jaroslaw, Fürst von N., Großfürst, s. Rußland (Gesch.). N. war Ende des 14. u. im 15. Jahrh. die größte Stadt Rußlands, hatte eine republikanische Verfassung, zählte 400,000 Ew. u. hatte Colonien an der Kama u. Wjätka, zugleich war sie Hansestadt u. einer der wichtigsten Handelsplätze Europas. Wegen ihres Reichthums u. ihrer Macht galt von ihr das Sprüchwort: Wer kann gegen Gott u. N. 1433 leistete sie dem Großfürsten Basil gegen seinen Oheim, den Fürst Georg von Swenigrod, Beistand, zerfiel aber 1437 mit ihm u. gerieth mit ihm in Krieg; 1478 verlor sie ihre Freiheit durch den Großfürsten Iwan I. Wasiljewitsch, welcher N-s Macht brach, indem er 1485 viele reiche u. gewerbthätige Einwohner in andere Städte versetzte u. das Comptoir der Hansa aufhob u. durch ein niederländisches ersetzte. Ein Versuch, sich von der großfürstlichen Herrschaft zu befreien, 1570, wurde entdeckt u. hart bestraft, indem Iwan II. der Schreckliche, die Stadt plündern, mehre Tausend Bürger hinrichten u. den Erzbischof seiner Würde entsetzen ließ. Vom Czar Boris erhielten die Lübecker im Anfang des 17. Jahrh. hier bedeutende Handelsrechte. N. reizte 1611 die Schweden, u. diese eroberten die Stadt, gaben sie aber 1617 dem russischen Czar zurück. Gegen Czar Alexis empörte es sich 1650 zum letzten Male.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 147.
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