Athēne [2]

[33] Athēne (Pallas A. genannt), in der Mythologie der Griechen die ewig jungfräuliche Tochter des Zeus (daher Parthenos, »Jungfrau«), aber ohne eigentliche Mutter, da Zeus nach der verbreitetsten Sage seine von ihm schwangere erste Gemahlin, die Okeanide MetisKlugheit«), aus Furcht vor der Geburt eines Sohnes, der mächtiger als er selbst werden könne, verschlungen hatte, worauf zur Zeit aus seinem von Hephästos mit einem Beil gespaltenen Haupte die Göttin in voller Rüstung als Lanzenschwingerin (Pallas) hervorsprang. Eine wie hervorragende Stellung A. von alters her im Volksglauben einnahm, zeigen die Homerischen Gedichte, welche die »hell- oder eulenäugige« (glaukōpis) Tochter als Liebling ihres Vaters schildern und sie bei feierlichen Eiden mit Zeus und Apollon so zusammenstellen, daß die drei Gottheiten als Inbegriff aller göttlichen Macht erscheinen. Ausgenommen Zeus und Apollon, hat sich bei keiner andern Gottheit die ursprüngliche Naturbedeutung so sehr nach der intellektuellen oder ethischen Seite ausgebildet wie bei A. Beide, die ursprüngliche Naturbedeutung wie die ethische Auffassung, zeigen sich am innigsten verbunden in dem Kultus des attischen Landes, dessen Hauptstadt Athen nach ihr benannt und die wichtigste Stätte ihrer Verehrung war. Schon der athenische Landesheros Erechtheus (oder Erichthonios) ist ihr Pflegling, mit ihm zusammen wurde sie in dem nach ihm benannten Erechtheion auf der Akropolis verehrt. Wie Zeus gebietet sie über Blitz und Donner und führt die Ägis mit dem Gorgonenhaupte, das Symbol der himmlischen Schrecken, daher sie auf manchen Kultbildern blitzschleudernd dargestellt war. Als Beschützerin und Förderin des Ackerbaues erscheint sie in einer ganzen Reihe von Sagen und Gebräuchen namentlich des attischen Kultus. Ihre ältesten Priesterinnen, die Kekropstöchter Aglauros, Pandrosos und Herse, sind nur Personifikationen ihrer für das athenische Land bedeutsamen Eigenschaften, namentlich als Tauspenderin. Von den drei heiligen Pflügungen, die unter religiösen Gebräuchen in Attika die Saatzeit eröffneten, galten ihr zwei als Erfinderin des Pfluges. Sie hatte das Anschirren der Stiere gelehrt und vor allem den für Attika so wichtigen Ölbaum geschenkt, den sie aus dem Burgfelsen hervorwachsen ließ, als sie mit Poseidon um den Besitz der Burg und des Landes stritt. Gemeinsam mit den eleusinischen Gottinnen Demeter und Kore wurden ihr in Attika beim ersten Keimen der Saat die Procharisterien und im Hochsommer die Skirophorien gefeiert, in derselben Jahreszeit ebenfalls mit Beziehung auf die Vegetation die Errhephorien. Mit der Vorstellung, daß A. gleich Zeus Sturm und Ungewitter erregen kann, haugt die allgemein verbreitete und besonders in ältern Zeiten hervortretende Auffassung als einer kriegerischen Göttin zusammen. In dieser Eigenschaft erscheint sie im Mythus als die treue Helferin aller wackern Helden, wie des Perseus, Bellerophon, Jason, Herakles, Diomedes und Odysseus. Auch spielt sie im Kampf gegen die Giganten eine hervorragende Rolle. Doch ist ihre Tapferkeit stets eine besonnene, u ie die blinde des Ares, den daher der Mythus immer von ihr besiegt werden läßt. In dieser Beziehung wurde sie im Kultus vornehmlich als schützende und abwehrende Göttin verehrt, wie namentlich auf der Burg von Athen als Promachos (»Vorkämpferin, Beschützerin«). Als solche stellten sie auch die Palladien mit zur Abwehr geschwungener Lanze dar. Zugleich ist sie Siegverleiherin. Als Personifikation des Sieges (A. Nike) hatte sie gleichfalls auf der Burg von Athen einen noch heute erhaltenen Tempel; auch pflegte man sie in Tempelbildern, wie Zeus, mit der Nike auf der ausgestreckten Hand darzustellen. Die Haupttätigkeit der A. liegt aber in den Werken des Friedens. Wie alle Gottheiten natürlichen Segens, fördert sie das Gedeihen der Kinder und ist Verleiherin der Gesundheit (A. Hygieia in Athen) und Abwehrerin böser Krankheiten. Neben Zeus gilt sie in Athen als Schutzgottheit der Geschlechtsverbände (Phratrien), in Athen und Sparta auch der Volks- und Ratsversammlungen, vielerorts, vornehmlich wieder in Athen, als Schirmerin des gesamten Staatswesens (A. Polias, Poliūchos). Als solcher galt ihr das athenische Hauptfest der Panathenäen. Das Fest der A. Itonia bei Koroneia war ein Bundesfest der gesamten Böotier, und in Paträ wurde sie als Panachais als achäische Bundesgöttin verehrt. Am allgemeinsten ist ihre Verehrung als Göttin der Weisheit und so als Vorsteherin des gesamten geistigen Lebens. Alles, was Verstand und Weisheit schaffen, alle Wissenschaft und Kunst des Krieges und Friedens kommt von ihr, der die Menschen eine Fülle von Erfindungen verschiedenster Art verdanken. Vielfach galt sie als Erfinderin des Schiffbaues sowie neben Poseidon der Rossebändigung. Schen bei Homer heißen alle Erzeugnisse weiblicher Kunstarbeit, des Spinnens[33] und Webens, Werke der A. Manche Palladien trugen in der Linken Spindel und Rocken (vgl. Arachne). Als Lehrerin und Beschützerin der Künste und Handwerke wurde sie in Athen als Ergáne an den Chalkeien (Schmiedefest) neben Hephästos gefeiert. Auch auf das Gebiet der Musik und Orchestik erstreckten sich ihre Erfindungen: sie galt als Erfinderin der Trompete sowie der Pyrrhiche, des Waffentanzes, den sie selbst zur Feier des Sieges über die Giganten zuerst getanzt haben sollte. Auch die Flöte soll sie erfunden, jedoch, als das Gesicht entstellend, wieder weggeworfen haben. Die Römer identifizierten sie mit ihrer Göttin der Weisheit, Minerva (s. d.). Val. G. Hermann, De graeca Minerva (Leipz. 1837); O. Müller, Pallas A. (»Kleine Schriften«, Bd. 2, S. 134 ff., Bresl. 1847); Bergk, Geburt der A. (»Kleine Schriften«, Bd. 2, S. 635 ff., Halle 1886); Voigt, Beiträge zur Mythologie des Ares und der A. (»Leipziger Studien für klassische Philologie«, Bd. 4, 1881).

Athene von Velletri (Paris, Louvre).
Athene von Velletri (Paris, Louvre).

Die ältere Kunst stellte A. als Vorkämpferin dar, meist weit ausschreitend, im-langen, steif gefalteten Gewande, die kragenartige Ägis mit Medusenhaupt und Schlangen um die Schultern, Helm, Schild und Speer führend. Daneben finden sich auch Sitzbilder, namentlich hochaltertümliche aus Athen (vgl. Tafel »Terrakotten«), wo die Göttin burch alle Zeit Lieblingsgegenstand der Kunst blieb. Hier schuf Pheidias den Idealtypus der Göttin in zahlreichen Bildwerken, von denen die drei berühmtesten sich auf der Akropolis befanden: die 11,5 m hohe, die A. Parthenos in reichstem Schmucke, mit der Nike auf der Rechsen darstellende Goldelfenbeinstatue, 438 v. Chr. im Parthenon aufgestellt, von der außer Pausanias' Beschreibung mehrere Kopien, wie die beim Varvakion zu Athen gefundene Marmorstatuette, eine Anschauung geben; das zur Erinnerung an die Persersiege zwischen Parthenon und Erechtheion errichtete eherne Kolossalbild der A. Promachos und die wegen ihrer Schönheit hochberühmte lemnische A., gleichfalls aus Erz, als Friedensgöttin ohne Helm (Marmorkopie in Dresden). Die Folgezeit bildete den Typus der A. nach der Seite des Schwungvoll-Majestätischen aus, bekleidete die Göttin meist mit langem, wirkungsvoll gefaltetem Mantel und statt des anliegen den attischen mit dem langen korinthischen Helm. Auch der Gesichtstypus, in der attischen Kunst rundlich mit offenem, mädchenhaftem Ausdruck, wird jetzt bewegter, mit länglichen, scharfen Zügen. Dieser Epoche gehören die meisten der erhaltenen Statuen an, deren berühmteste die A. von Velletri im Louvre (vgl. Abbildung) ist. Von besonderer Schönheit sind auch die Pallas Giustiniani des Vatikans und die der Villa Albani in Rom, von echt griechischer Feinheit der Formen ein kolossaler Torso aus der Villa Medici im Louvre. Unter den Mythen der A. ist auf Vasenbildern besonders häufig ihre Geburt aus dem Haupte des Zeus, gelegentlich auch der Kampf mit den Giganten und der Streit mit Poseidon behandelt. Auf attischen Münzen sind Eule und Olivenblatt ihre Attribute, anderwärts der Hahn und die Schlange. Vgl. Bernoulli, über die Minervenstatuen (Basel 1871); Schreiber, Die A. Parthenos des Phidias und ihre Nachbildungen (Leipz. 1883); R. Schneider, Die Geburt der Athena (Wien 1880); Lermann, Athenatypen auf griechischen Münzen (Münch. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 33-34.
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