Haidarabad [1]

[627] Haidarabad (Hyderabad), Reich des Nizam, der größte Vasallenstaat des britisch-ind. Kaiserreichs (s. Karte »Ostindien«), im zentralen Teil der vorderindischen Halbinsel, zwischen 15°10´-21°41´ nördl. Br. und 74°40´-81°31´ östl. L., umgeben von dem ihm früher zugehörigen Berar (s. d.), den Zentralprovinzen und den Präsidentschaften Bombay und Madras. Das Land nimmt mit 214,179 qkm Umfang den größten Teil des Tafellandes des Dekkan ein und dacht sich von NW., wo es in den Chandor-, Adschanta- und Balaghatbergen bis 760 m aufsteigt, allmählich nach SO. ab. Von den letztern ziehen die Bidar- und Koïlkendaberge (705 und 723 m) ostwärts. Die Gebirgsgegenden an der Nordgrenze sind unfruchtbar; südlich davon erstreckt sich der »Garten des Dekkan«, der reiche Baumwoll- und Weizenernten liefert, zur Godaweri, die das Land von W. nach O. durchzieht, rechts die Manjira aufnimmt und mit ihren linksseitigen Zuflüssen Penganga und Pranhita den größern Teil der Nord- und die Ostgrenze bildet. Den Süden durchzieht in gleicher Richtung die Kistna, die links die Bhima empfängt und mit der von rechts kommenden Tungabhadra die Südgrenze abgibt; hier wiegt die durch staunenswerte Bewässerungsanlagen geförderte Reiskultur vor. Die Gebirgsgegenden sind mit Wald bedeckt, der durch eine verständige Forstwirtschaft gepflegt wird. Wilde Tiere (Tiger, Panther, Hirsche u. a.) sind zahlreich, die Viehzucht unbedeutend. Das Klima ist heiß (in der Hauptstadt H. 25,2° im Jahresmittel) und trocken, aber nicht ungesund. Die Bevölkerung (1901: 11,141,142, gegen 1891 Abnahme 395,898) besteht aus 9,870,839 Hindu, 1,155,750 Mohammedanern (die herrschende Klasse, da ihr der Fürst angehört), 22,996 Christen u. a. Im Bergland leben in Höhlen und hohlen Bäumen die noch völlig unzivilisierten Gond. Die Hindu sind meist Ackerbauer, die Mohammedaner meist Beamte und Soldaten. Hauptsprachen sind Telugu (s. d.) und Marathi (s. d.), dann Kanaresisch, Hindustani, Hindi, Marwari, Gondi etc. Schulen bestehen bisher nur in der Hauptstadt und einigen größern Städten. Man ermittelte 1891 nur 67,825 unterrichtete Personen (1366 Frauen) und 251,593 (3594 weibliche), die nur lesen und schreiben konnten. Außer Weizen und Baumwolle werden namentlich Reis, Mais, Sorghum, Ölsaaten, Zuckerrohr, Indigo, Melonen, Ananas, Kürbisse, Wein u. a. gebaut. An Faserpflanzen, wilder Seide, wildem Honig, Harz sind die Waldungen reich. Der Handel ist bedeutend in Goldstickereien, verzierten Metallgeschirren und Papier, groben Zeugen, Häuten, Metallwaren, Baumwolle, Ölsamen und andern Produkten des Ackerbaues. Die Einfuhr besteht aus Salz, Zucker, europäischem Stückgut und Eisenwaren. Die hauptsächlichsten Verkehrswege sind die Militärstraßen von Haidarabad nach Bangalore, von Madras und Masulipatam über Haidarabad und Puna nach Bombay und von Haidarabad nach Aurungabad. Von Eisenbahnen durchschneidet die Great Peninsular-Bahn (Bombay-Madras) den Staat in seinem südwestlichen Teil; an sie schließt sich bei Wadi die ostwärts über Haidarabad laufende Staatsbahn, in die bei der Hauptstadt H. die Bahn von Aurungabad einmündet. Telegraphenlinien gehen von Haidarabad südwestwärts nach Bellary, ostwärts nach Masulipatam. Der Nizam ist der vornehmste mohammedanische Fürst Indiens, er hat ein Recht auf 21 Salutschüsse[627] und bezieht Einkünfte von etwa 38 Mill. Rupien jährlich. Die Verwaltung wurde 1867 unter englischem Einfluß reorganisiert; wirklich gebessert hat sich jedoch nur das Steuerwesen. Der Besitz ist dem Bauer gesichert, solange er die Abgaben zahlt. Die Einnahmen hoben sich seitdem auf 381,940,000 Rupien; der Radscha von Gudwal, der einzige Vasall des Nizam, zahlt einen Tribut von 11,500 Pfd. Sterl. Der Nizam stellt den Engländern ein Kontingent von 807 Mann Kavallerie. Die Engländer haben eine Militärstation in Sikanderabad (s. unten). Eine Münze, in der Rupien geschlagen werden, besteht in der Hauptstadt H. (s. unten).

Geschichte. 1294 fand im Norden der Islam Eingang durch den kühnen Eindringling Ala ed-din, den Neffen von Feroz aus dem turkotatarischen Hause der Khudschi zu Dehli; die Ausdehnung nach Süden erfolgte durch die Schlacht von Talikota (25. Dez. 1564), wo die vereinigten Heere der Fürsten im nördlichen Teil von H. den König von Widschayanagar entscheidend schlugen. Zu Bedeutung erhob sich jetzt die Kutb-Schah-Dynastie zu Golkonda (1512–1687). 1584 wurde die Stadt H. erbaut. 1672 begann Aurangzeb, der Golkonda schon 1656 verräterisch überfallen und geplündert hatte, das Land zu unterwerfen und teilte es 1687 in drei Provinzen. 1717 machte sich der vom Großmogul Farruchsiyar unter dem Titel Nizam ul Mulk (»Ordner des Staates«) zum Vizekönig ernannte Turkmene Asaf Dschah unabhängig, behauptete sich auch gegen die Mahratthen und wurde Gründer der noch jetzt regierenden Dynastie. Bedeutung erhielten die Nizams im Streit zwischen den Engländern und Franzosen um die Oberherrschaft in Ostindien. Zum unabhängigen Königreich erklärt ward H. 1763 im Frieden von Paris. Doch schon 12. Nov. 1766 trat es das Mündungsgebiet der Godaweri an die Engländer ab, und wenn auch Geldentschädigung gegeben und 23. Febr. 1768 ein ewiger Freundschaftsvertrag geschlossen wurde, so kamen die Nizams doch immer mehr in Abhängigkeit von der Ostindischen Kompanie. 1860 stellte der Nizam seine Nordprovinz Berar (s. d.) unter englische Verwaltung als Unterpfand für Bezahlung der Kosten des Hilfskontingents von 8 Bataillonen Infanterie und 2 Regimentern Kavallerie und der bis 1853 zu 9 Mill. Mk. aufgelaufenen Zahlungsrückstände. Der Überschuß über die Kosten der Verwaltung der öffentlichen Arbeiten und des Hilfskorps (1883: 62,859 Pfd. Sterl.) wird dem Nizam ausbezahlt. Der Fürst, Mir Sir Mahbab Ali Khan Fatih Dschang (geb. 18. Aug. 1866), hatte unter seiner Minderjährigkeit (26. Febr. 1869 bis 5. Febr. 1884) als leitenden Minister Sir Salar Dschang (geb. 1829 aus arabischem Stamme, gest. 18. Febr. 1883), einen bedeutenden und hochgebildeten Staatsmann, dem trotz aller Selbstsucht H. viel dankt; danach war sein Sohn Laik Ali (geb. 1861, gest. 7. Juli 1889), der für die »Nineteenth Century« russenfeindliche Aufsätze schrieb, die einflußreichste Persönlichkeit. In der angloindischen Rangliste nimmt der Fürst von H. den obersten Platz ein. Vgl. Schmidt im 2. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 627-628.
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