Pfeil [2]

[698] Pfeil, in seiner einfachsten Form ein vorn zugespitzter, hinten gerade abgeschnittener oder mit einer Kerbe versehener Stab, der vom Bogen als Geschoß geschleudert oder von der Hand direkt (Wurfpfeil) oder mittels einer Schleudervorrichtung geworfen wird. In dieser einfachsten Form ist der P. heute nur noch bei ganz primitiven Urwaldstämmen Zentralafrikas anzutreffen; in allen übrigen Fällen ist er durch besondere Ausgestaltung der Spitze und des Schaftes weiter ausgestaltet und technisch oder durch Hinzufügen von Gift wirksamer gemacht worden. Alle auf steinzeitlicher Kulturstufe stehenden Völker haben die Holzspitze durch eine solche aus Stein, Horn oder Knochen ersetzt, in tropischen Ländern auch durch solche aus Bambus, Rochenstachel u.a. Von ihnen haben sich aus vorgeschichtlichen Zeiten lediglich die steinernen erhalten, von denen in Europa, Amerika und Asien (Japan) große Mengen gefunden worden sind. Die Feuerländer, Buschmänner, Mittel- und Nordamerikaner haben Steinpfeilspitzen zum Teil bis in die neueste Zeit gebraucht. In allen Erdteilen mit Metallkultur ist die Spitze späterhin aus Kupfer, Bronze oder Eisen gefertigt worden; in Afrika ist der eisenbewehrte P. noch heute fast ganz allgemein verbreitet. Der Schaft erhielt sehr häufig ein sogen. Mittelstück, einen Einsatz von Holz oder Rohr, der in der Schafthöhlung locker sitzt und dadurch das Herausziehen der Spitze aus dem Körper der Getroffenen erschwert oder bei Anwesenheit von Widerhaken unmöglich macht. Bei den Pfeilen der Buschmänner, Kredsch und andrer afrikanischer Völker sind sogar mehrere Mittelstücke ineinandergefügt. Unten erhielt der Pfeil schaft zunächst eine Fiederung oder Einkerbung der Basis. Jene soll dem Pfeilflug eine größere Stabilität verleihen und das Überschlagen verhüten, diese ein sicheres Auflegen auf die Bogenschnur ermöglichen. Meist besteht die Flugsicherung aus einer bis vielen Federn, die radial oder tangential durch Ankleben, Anbinden, Anwickeln, Einstechen befestigt werden; in Zentralafrika und dem Kongobecken treten indessen auch Baumblattstücke, ja selbst Fell- und Lederstücke als »Fiederung« auf. Ohne eine solche Flugsicherung sind nur wenige Pfeilgebiete: in Afrika der gesamte Sudân, die Region am obern Nil und Buschmänner und Hottentotten, im Stillen Ozean sodann ganz Melanesien außer den Neuen Hebriden und Polynesien, soweit Bogen und P. dort überhaupt noch gebraucht werden. Die Kerbe ist in der Regel dreieckig; nur bei den sehr starken Raphiaschäften des Kongobeckens sind sie rechtwinklig aus dem Schastende herausgeschnitten. Bei Rohrschäften dient häufig ein hölzernes Einsatzstück als Kerbenträger. Einseitige Kerben, d.h. solche, bei denen nur ein Kerbenarm stehen gelassen oder aber nur ein Stück fremden Holzes oder Rohres an den Schaft gebunden worden ist, kommen im Hinterlande von Deutsch-Togo vor; sie gehören zu Bogen mit Bambus- oder Rotangsehnen. Kerbenlos sind endlich alle Gebiete, wo relativ dünne Pfeile auf starke Sehnen (Bambus, Rotang) gesetzt werden müssen, wie im afrikanischen Urwaldgebiet und in vielen Teilen Melanesiens, außerdem aber anscheinend überall da, wo die Bogensehne von Daumen und[698] Zeigefinger zurückgezogen wird, wobei beide gleichzeitig auch das Schaftende des Pfeiles zwischen sich halten.

Das Alter von Bogen und P. im Rahmen der menschlichen Kulturentwickelung ist schwer zu bestimmen; paläolithisch scheint der P. nirgends zu sein, sondern erst die Erfindung einer spätern Zeit. Bei uns ist er seit der jüngern Steinzeit nachweisbar. Die paläolithischen Tasmanier hatten ihn gar nicht, die nur wenig hoher stehenden Australier nur in der Yorkhalbinsel. Das Fehlen in Mikronesien scheint auf einen Verlust der Waffe zurückzugehen. Auch in den andern Erdteilen ist ein Aufgeben des Pfeiles zugunsten des Speeres und andrer, wirksamerer Waffen sehr häufig zu beobachten; in Afrika haben ihn vorwiegend nur noch die andern energischern Speervölkern unterworfenen Völkergruppen, oder aber er ist Alterswaffe geworden (Massai). Herrscherwaffe ist er kaum noch irgend wo in Afrika. In Amerika ist er neuerdings auf Südamerika beschränkt; in Asien hingegen steht er selbst noch bei Chinesen und Japanern hoch; dort ist er sogar noch Prüfungswaffe für Offiziere. Bei uns endlich und in Polynesien erinnern Bogen und P. nur noch als Kinderspielzeug an seinen frühern allgemeinen Gebrauch; lediglich einige westeuropäische Völker (Engländer, Belgier) handhaben sie sportsmäßig.

Die Pfeile der alten Kulturvölker waren meist aus Rohr. Bei den alten Ägyptern hatten sie einen hölzernen Vorschaft mit steinerner oder bronzener Spitze, die oft in Celtform breit auslief, sowie unten einen harten Holzeinsatz mit Sehnenkerbe. Die Griechen haben Rohrpfeile mit Spitzen aus Knochen, Stein, Elfenbein, Obsidian, Kupfer, Bronze geführt, die in alten Zeiten sehr häufig eichel förmig gestaltet waren und auch Widerhaken trugen. Die Sarmaten sollen auch ganz knöcherne Pfeile angewendet haven. Alle Kulturvölker kannten das Vergiften der Pfeile und wendeten es an, wenn auch das Heimtückische einer solchen Waffe wohl gefühlt wurde. Zu den Römern kam der P. wie der Bogen erst durch die Punischen Kriege, sie haben daher keine eigentümlichen Formen dieses Geschosses ausgebildet. Ein großer Teil antiker Abbildungen von Pfeilen, insbes. babylonischer, ägyptischer etc., zeigt, daß die Befiederung oft fehlte. Die zu modernen Sportzwecken verwendeten Pfeile sollen am besten aus dem Holz der Linde hergestellt werden, was auch im Mittelalter der Fall war. Pfeile größern Maßstabes verschossen auch die Katapulte und ähnliche Kriegsmaschinen (s. d.).

Der P. wird außer als Waffe auch als chirurgisches Instrument benutzt, nämlich zum Aderlaß und zum Schröpfen; er wird dabei in kleinstem Format von einem winzigen Bogen geschleudert. Solche Vorkommnisse sind bekannt aus der Südsee, Ostafrika (Massai) und aus Südamerika. Als mit der bloßen Hand geworfenes Geschoß unterscheidet sich der P. von dem Bogenpfeil lediglich durch etwas größere Abmessungen; auch die mittels der Wurfhölzer geschleuderten Geschosse sind in der Regel gewichtiger als Bogenpfeile.

Im sozialen und politischen Leben der Menschheit spielt der P. gern eine Rolle als Symbol der Kriegserklärung oder der vollwertigen Wehrhaftigkeit oder der Freilassung. Bei den nordischen Völkern war es (in Schweden noch im 8. Jahrh.) Sitte, durch Zuschickung eines zerschnittenen Pfeiles (Herör, Orf, Kasti, Kriegspfeil, Heerpfeil) den Krieg zu erklären, sowie auch durch denselben die streitbare Mannschaft zusammengerufen wurde (Pfeilesaufgebot, Pfeilesthing, Övarbod). Zusammenhängend damit ist die bei diesen, besonders aber bei den germanischen Völkern herrschende Sitte, Sklaven durch Zuwerfung eines Pfeiles frei und waffenfähig zu machen. Vgl. Pfeilgift.

Vgl. Ratzel, Die geographische Verbreitung des Bogens und der Pfeile (in den Berichten der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, philologisch-historische Klasse, Leipz. 1887); Herrm. Meyer, Bogen und P. in Zentralbrasilien (Leipz. 1895); Mason, North American bows, arrows and quivers (im »Smithsonian Report for 1893«, Washingt. 1895); Weule, Der afrikanische P. (Leipz. 1899); Jähns, Entwickelungsgeschichte der alten Trutzwaffen (Berl. 1899); Adler, Der nordasiatische P. (im »Internationalen Archiv für Ethnographie«, Leiden 1901); Sapper, Mittelamerikanische Waffen (im »Globus«, Bd. 83, Braunschw. 1903); Ranke, Ballistisches über Bogen und P. (ebenda); Heger, Aderlaßbogen und Pfeile (in den »Mitteilungen der Wiener Anthropologischen Gesellschaft«, 1893); Morse, Ancient and modern methods of arrow-release (im »Essex U.S.A. Institute Bulletin«, 1885; deutsch und bereichert von v. Luschan in der »Zeitschrift für Ethnologie«, Berl. 1891). S. auch Bogen, Waffen, Wurfhölzer.

In der Geometrie heißt P. eines Kurvenbogens die in der Mitte der Sehne des Bogens errichtete, bis zu diesem verlängerte Senkrechte; Pfeilhöhe, die durch den P. gemessene Höhe des Bogens. P. heißt auch die Höhe einer Kugelkalotte.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 698-699.
Lizenz:
Faksimiles:
698 | 699
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon