Synthēse

[246] Synthēse (griech. synthesis, »Zusammensetzung«), in der Logik im Gegensatz zur Analyse (s. d.) das Verfahren, ein Zusammengesetztes, sei dies ein einzelner Begriff oder der gesamte Inhalt einer Wissenschaft, durch logische Verknüpfung seiner einfachen Elemente abzuleiten. Die S. hat vor der Analyse den Vorzug, daß sie das Zusammengesetzte nicht einfach als gegebene Tatsache annimmt, sondern es vor unserm geistigen Auge entstehen läßt und uns so seine innere Möglichkeit verständlich macht; daß sie ferner nicht wie jene am Einzelnen, zufällig Vorgefundenen haftet, sondern, indem sie eine gewisse Zahl von Elementen in alle überhaupt denkbaren Verbindungen untereinander bringt, uns erlaubt, die Gesamtheit der innerhalb eines gewissen Bereichs möglichen Besonderheiten und Einzelfälle zu überblicken. Da aber im allgemeinen das Logisch-Einfache nicht direkt gegeben, sondern erst durch Abstraktion gewonnen ist, so steht sie der Analyse insofern nach, als sie nicht wie diese von einem Konkreten, aus der Erfahrung Wohlbekannten, sondern von oft schwer faßlichen abstrakten Begriffen und äußerst allgemeinen und darum vielfach nicht recht überzeugenden Grundsätzen ausgeht. Wirklich fruchtbar ist die S. auch nur in den Wissenschaften, in denen (wie in der Mathematik) das Denken die ganze Mannigfaltigkeit seiner Gegenstände aus sich selbst heraus, durch Wiederholung und Kombination gewisser einfacher Operationen erzeugt. In den Realwissenschaften muß sich die S. immer auf die Resultate einer vorausgegangenen Analyse stützen und ist eigentlich nichts weiter als die Probe auf die Vollständigkeit dieser letztern. Über synthetische Urteile s. Analytisch. – In der Chemie versteht man unter S. die Darstellung chemischer Verbindungen aus den Elementen oder aus einfachern Verbindungen durch Einführung von Atomen oder Atomgruppen in deren Molekül. Die S. feierte den ersten Triumph 1828, als Wöhler den Harnstoff aus den Elementen darstellte. Diese große Entdeckung blieb aber ganz vereinzelt, bis Berthelot auf die Wichtigkeit der S. für die organische Chemie hinwies. Seitdem wurden durch S. oder Aufbau sehr viele organische Verbindungen erhalten, auch wurden Methoden ausgearbeitet zur S. ganzer Körpergruppen, wie der Alkohole, Phenole, Aldehyde, Säuren, Basen etc. Unter Kernsynthesen versteht man die Reaktionen, durch die Kohlenstoffatome, die vorher nicht miteinander verbunden waren, sich miteinander verbinden. Die Kernsynthesen verknüpfen die Glieder einer homologen Reihe und die homologen Reihen untereinander genetisch und führen die offenen Kohlenstoffketten in geschlossene Ketten oder Ringe über. Von besonderm Interesse erscheint die S. solcher Verbindungen, die im Organismus durch den Lebensprozeß gebildet werden, weil die künstliche Darstellung dieser Substanzen lehrt, daß in den lebenden Organismen dieselben Gesetze walten wie außerhalb derselben. Auch für die Praxis haben die Erfolge der synthetischen Chemie hohe Bedeutung. Ameisensäure, Alizarin, Vanillin, Indigo, Senföl werden technisch durch S. dargestellt, auch hat man schon synthetisch gewonnenen Alkohol auf den Industrieausstellungen gezeigt, und da man von der Ameisensäure und Essigsäure leicht zur Stearin- und Palmitinsäure gelangen kann, da anderseits auch Glyzerin durch S. darzustellen ist, so ist die Möglichkeit der Gewinnung von Fett ohne Pflanzen und Tiere gegeben. Auch der Traubenzucker kann synthetisch dargestellt werden. Die wissenschaftliche Chemie wendet die S. hauptsächlich an, um über die Konstitution der Verbindungen Aufschluß zu erhalten. Vgl. Abbau und Struktur.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 246.
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