Walther von der Vogelweide

[358] Walther von der Vogelweide, der größte deutsche Lyriker des Mittelalters; seine datierbaren Gedichte reichen von 1198–1228. Über seine Heimat gehen die Meinungen stark auseinander; auch die Ansicht, nach der Walthers Geburtsstätte die »Vogelweide« auf dem Laiener Ried im Eisacktal in Tirol gewesen ist, läßt sich nicht erweisen. W. war von ritterlicher Abkunft, aber arm. Die Kunst des Singens und Sagens lernte er in Österreich unter Einfluß Reinmars von Hagenau (s. Reinmar 1). Bei Herzog Friedrich dem Katholischen (gest. 1198) stand er in hoher Gunst. Bei dessen Nachfolger Leopold VII. suchte er vergeblich dauernde Ausnahme. W. kam zunächst in nähere Verbindung mit König Philipp von Schwaben, für den er in den Wirren des Wahlkampfes mit wuchtigen, von glühendem patriotischen Gefühl beseelten Sprüchen gegen die welfisch-päpstliche Partei eintrat. Voll Begeisterung feierte er Philipps Krönung in Mainz (September 1198) und den glänzenden Hoftag, den der König Weihnachten 1199 in Magdeburg hielt. Um Pfingsten 1203 weilte er wieder in Wien; im November 1203 ist er urkundlich als Begleiter des damaligen Bischofs von Passau, Wolfger von Ellenbrechtskirchen, in dem österreichischen Zeisselmauer nachzuweisen; seit 1204 war er wiederholt Gast des Landgrafen Hermann von Thüringen in Eisenach, wo er gleichzeitig mit Wolfram von Eschenbach verweilte. Nach Philipps Tode hielt W. in dem Kampfe Kaiser Ottos mit Innozenz III. so lange an dem schwer bedrängten Welfen fest, bis Ottos Sache unrettbar verloren war. Dann erst trat er zu dem siegreichen Gegenkaiser, dem Hohenstaufen Friedrich II., über (1213–14). Was W. von Otto vergebens wiederholt erbeten hatte, die Gewährung einer Heimstätte, ward ihm durch Friedrich II. zuteil; er[358] verlieh ihm schließlich ein Lehen, das zwar geringen Erlrag, aber doch eine willkommene Ruhestatt für den Dichter bot. Der vielgewanderte Sänger hatte auf seinen Fahrten, die ihn von Oberitalien bis an die Ostsee und von Ungarn bis nach Frankreich führten, die Gunst vieler Fürsten und Edeln genossen; er nennt den Patriarchen von Aquileja, den Herzog von Kärnten, Herzog Leopold von Österreich, Heinrich von Medlick, Herzog Ludwig von Bayern, Markgraf Dietrich von Meißen, den Grafen von Katzenellenbogen. Später wirkte er literarisch für Friedrichs II. Kreuzzug. Ein Lied, das der beseligten Stimmung des Pilgers beim Anblick des Heiligen Landes Ausdruck gibt, spricht dafür, daß er sich an der heißersehnten Fahrt im Gefolge des Kaisers 1228 beteiligt hat. In Deutschland ist er gestorben; sein Grab war im Münster zu Würzburg. Im September 1889 wurde ihm zu Bozen ein Brunnenstandbild (von Natter) errichtet. W. gehört zu den hervorragendsten Dichtern überhaupt. Er faßte in seiner Dichtung die verschiedensten Richtungen der Lyrik zusammen. Er gebot über die lieblichsten und süßesten Weisen des eigentlichen Minneliedes; aber in nicht geringerm Grade war ihm auch die Fähigkeit verliehen, in gewaltigen Tönen für die höchsten Angelegenheiten des öffentlichen Lebens, für das Vaterland, das Recht und die Wahrheit in politischen Dingen seine Stimme zu erheben. Neben dem Minnesang pflegte er die poetische Gattung des Spruches mit Vorliebe. Die mächtige Wirkung seiner politischen Dichtungen erhellt am sichersten aus dem Vorwurf Thomasius von Zirkläre, W. habe durch einen Spruch gegen Innozenz Tausende betört, daß sie Gottes und des Papstes Gebot überhörten. Die Form entspricht in Walthers Gedichten an künstlerischem Wert ihrem reichen Ideengehalt. Unter den Ausgaben des Dichters heben wir hervor die von K. Lachmann (Berl. 1827; 7. Ausg. von Kraus, 1907), von W. Wackernagel und M. Rieger (Gieß. 1862), von Fr. Pfeiffer (Leipz. 1864; 6. Aufl. von Bartsch, 1880), von Wilmanns (2. Ausg., Halle 1883; Textausg., 2. Ausg. 1905) und von H. Paul (3. Ausg., das. 1905). Übersetzungen gaben K. Simrock (8. Aufl., Leipz. 1894), Fr. Koch (Halle 1848), G. A. Weiske (das. 1852), Pannier (Leipz. 1876, in Reclams Universal Bibliothek), Schröter (Nachdichtungen, Jena 1881), Wenzel (Plauen 1888), Zoozmann (Stuttg. 1907) u. a. Vgl. Uhland, W., ein altdeutscher Dichter (Stuttg. 1822; abgedruckt im 5. Bde. der »Schriften«); Fr. Pfeiffer, Über W. (Wien 1860); die Biographien des Dichters von M. Rieger (Gieß. 1863) und R. Menzel (Leipz. 1865); Burdach, Reinmar der Alte und W. (das. 1880) und W., philologische und historische Forschungen (1. Teil, das. 1900); Wilmanns, Leben und Dichten Walthers von der Vogelweide (Bonn 1882); A. Schönbach, W., ein Dichterleben (2. Aufl., Dresd. 1895); W. Leo, Die gesamte Literatur Walthers von der Vogelweide (Wien 1880).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 358-359.
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