Canaresische Sprache u. Literatur

[623] Canaresische Sprache u. Literatur. Das Canaresische (Canara od. genauer Cannada ist die Canaresische Form für das sanskritische Karnata od. Karnadaka), ist eine der sogenannten Dravida- od. Dekanischen Sprachen Indiens u. wird auf dem innern Plateau des Dekan zwischen den Ost- u. Westghats, nördlich über den obern Kistna (Krischna) hinaus, bis in die Gegend von Beder, südlich bis Coimbatore gebrochen. Obgleich von R. her das Mahratta, von O. her das Telugu u. Jamil, das Malayalam von SW. her vielfach in dieses Gebiet eingedrungen sind u. sich die Dakhnimundart des Hindustani als allgemeine Sprache der Muhammedaner wie als Lingua franca der britischen Regierung u. Armee über das ganze Land verbreitet haben, so wird dennoch die Zahl derer, die das Canaresische sprechen, auf 7–8 Mill. angeschlagen. Auch hat sich durch Eroberung u. Einwanderung das Canaresische in dem Canara genannten Küstenlande so festgesetzt, daß es hier das Tulu od. Tuluva, die einheimische Landessprache, aus dem Munde der gebildeteren Klassen verdrängt hat. Die Canaresische Schrift bietet die gesammte Buchstabenreihe des Sanskritalphabets in gleicher Reihe u. Ordnung dar; die Schriftzeichen, namentlich wie sie auf älteren Inschriften erscheinen, bekunden deutlich ihren Ursprung aus dem Devanagarialphabet. Man unterscheidet die Altcanaresische Sprache (Hale canada) von der Neucanaresischen; beide Sprachniedersetzungen haben in ihrem Wörterschatze zahlreiche Sanskritwörter aufgenommen; während sie sich jedoch im Altcanaresischen gewöhnlich den Lautgesetzen der Dravidas accommodirten, wurden sie im Neucanaresischen ganz unverändert der Sprache einverleibt, so daß jeder Gebildete dieselben noch als Fremdwörter fühlt. Auf das heutige Canaresische hat auch das Hindostani vielfach Einfluß geübt. Nächst den Tamulen haben unter den dekanischen Völkern die Canaresen die wichtigste Literatur. Sie datirt erst seit jener Zeit, als die arischen Inder die dekanischen Völker ihrer brahminischen Cultur unterwarfen u. geistig wie materiell mit derselben durchdrangen. Ohne Kenntniß der Sanskritliteratur ist die Canaresische nicht zu verstehen. Aus der Zeit vor dem 12. Jahrh. werden als klassische Schriftsteller genannt: Gajaga, Asaga, Crivijaya, Sujanottamsa, Gunanandi, Candrabhatti, Honna, Manasija, Gunavarma, Hampa; doch sind ihre Werke entweder ganz verloren od. doch bis jetzt unbekannt. Die ältesten Bücher, die vorhanden sind, bilden Çabdamanidarpana (d.i. Wortperlenspiegel von Kavikeçava), eine Grammatik des Canara, nach dem System des Panini, das Cabdamanjari (Blumenkorb der Worte), ein Substantivwörterbuch, u. Chandas, eine canaresische Metrik von Kavinagavarma. Ebenfalls dem 12. od. 13. Jahrh. soll noch das Heldengedicht Jagannathavijaya angehören. Als klassisch werden von den heutigen Canaresen angesehen die 4 Heldengedichte: Mahabharata (frei u. kürzere Bearbeitung des gleichnamigen Sanskritepos), von Narana aus Gadag; Ramayana von Narsappa aus Torave; Bhagavata-purana von Nityatman, u. für die jetzigen gelehrten Canaresen das wichtigste, das Jaiminibharata (eine Bearbeitung des sanskritischen Açvamedhaparva) von Lakschmipati aus Devapura. Sie gehören dem 14. Jahrh. an u. tragen ganz den Charakter der spätern Kunstpoesie. Wiederum einem späteren Kreise gehören die erzählenden Dichtungen Sobagina sone (Redeschmuckkranz), Birumale (Redeplatzregen) von Kanakadasa, Gayacaritra, die novellenartige Geschichte des Somaçekhara u. Citraçekhara an; ferner das Basava-purana u. das Raghavankakavya, zwei wichtige Werke der Lingaverehrer; weiter die lobpreisenden Dichtungen (Stuti od. Mahatmyam) Bhaktisara von Kanakadasa (auf Vischnu), die Çiva bhaktisara (auf Siva) u. die Mabanavamapadagalu, eine Sammlung[623] kleinerer Lodgedichte; endlich die Jinamuni-taneyyadnyanopadeça, ein Hauptbuch der Jainas, die Anubhavamrita von den Brahminen sehr geschätzt, u. die Sarvadnyapadagalu, eine Gnomensammlung. Gleichzeitig entstanden eine große Anzahl kleinerer lyrischer Poesien, welche rein volksthümlich sind. Ihre Verfasser werden Dusas (d.i. Gebundene einer Gottheit) genannt. Zu ihnen gehören Kanakadasa, Purandaradasa, Vijayadasa, Veikunthadasa, Rangarallidasa; sowohl in canaresischer Sprache wie in Hindostani dichtete Kabiradasa. Mit lyrischen Stücken gemischt sind die Prasangas u. Yakschaganas, Bearbeitungen alter mythologischer Stoffe in rhetorischer Prosa; ähnlicher Art sind die Dandakas in eigentlicher gereimter Prosa. Unter den Prosaschriften sind eine Geschichte des Çringeriklosters u. eine Geschichte der ältern Könige von Mysore ziemlich alt. Bemerkenswerth ist noch die Geschichte des Königs Bhutalapanda nebst den alten Gesetzen des Landes. Als ein Muster des prosaischen Styls gilt eine canaresische Bearbeitung der Pancatantra; sonst sind noch die Betalapancavincati, die Çukasaptati u. die (marattisch) Battis puttali im Lande viel verbreitet. Ein neueres Prosawerk ist der Roman Nilavati von Yadavaraya, einem Hofdichter in Mysore. In neuester Zeit hat sich hier u. da auch bei den Canaresen das Bestreben gezeigt, für den Druck zu schreiben. So hat Krishnamacharya, ein Advocat des obersten Gerichtshofes zu Madras, eine Canaresische Grammatik (Madr. 1838), ein Anonymus Kathamanjari (Erzählungen, Bangalore 1841) u. Adacki Sooba Row, Stories and revenue papers (Madrid 1846) herausgegeben. Die Missionäre haben die Bibel übersetzt u. eine große Anzahl Tractätchen ausgegeben; auch begründeten sie 1844 eine Zeitung, die zuerst in Mangalore, dann in Bellary erschien. Unter Europäern wurden die besten Arbeiten über das Canaresische von Joan Mac Kerrell (Grammatik, Madras 1820) u. W. Reeve (Wörterbuch, 2 Bde., Madr. 1832) geliefert. Vergl. Weigle, in der Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, Bd. 2, Lpz. 1848); Caldwell, A comparative Grammar of Dravidian or South Indian family of languages, Lond. 1856.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 623-624.
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