Hennegau

[241] Hennegau (lat. Hannonia, Hanania, altfranz. Hainault, von dem Flusse Haine benannt), 1) sonst Grafschaft im nordwestlichen Deutschland, eine der 17 Provinzen der alten vereinigten Niederlande; grenzte an Flandern u. Artois, Cambresis, Picardie u. Champagne, das Stift Lüttich u. die Grafschaft Namur; 2) (neufranz. Hainaut), eine der neun Provinzen des Königreichs Belgien, unter französischer Herrschaft das Departement Jemmapes, grenzt nördlich an Brabant u. die beiden Flandern, östlich an Namur, südlich u. westlich an Frankreich u. entspricht nur noch theilweise der alten Grafschaft gleiches Namens, die 1436 nach dem Tode Jakobäus von Baiern dem Hause Burgund anheimfiel; 673/4 QM. (372,206 Hektaren) Anfang 1859 778,920 Ew.; zerfällt in sechs Verwaltungsbezirke (Arrondissements) Mons, Soignies, Ath, Tournay, Charleroi u. Thuin; Hauptstadt Mons. Nach Süden u. Osten hügelig u. waldig, sonst eben u. fruchtbar an Feld- u. Gartenfrüchten wie an Handelsgewächsen (Hanf, Tabak, Hopfen u.a.). Den Hauptreichthum der Provinz bildet die Ausbeutung der Eisenbergwerke u. Steinkohlengruben (im Jahr 1856 wurden gefördert von 53,868 Arbeitern über 6 Millionen Tonnen von 1000 Kilogramm, im Werthe von nahezu 84 Millionen Franken). Außerdem werden gefertigt: Eisenwaaren, Porzellan, Teppiche, Spitzen, Leinwand, Fenster- u. Spiegelglas u.a. Die zwei Hauptflüsse des H. sind die Schelde u. Sambre; außerdem die Dender, die Haine (welche der Provinz den Namen gegeben), die Senne u. viele kleinere; mehrere Kanäle u. ein viel verzweigtes Eisenbahnnetz.

Zur Römerzeit gehörte Hennegau zur Silva carbonaria u. war von den Nerviern bewohnt. Um 850 erhielt H. eigene Grafen, die unter den Königen der Franken standen. Der erste war Rainer I. (Ragimer), der angeblich eine Tochter des Kaisers Lothar I., Irmengard, heirathete. Er kriegte viel mit den Normannen u. hinterließ als Erben Rainer II., einen treuen Anhänger des Königs Karl des Einfältigen, dessen Statthalter er in Lothringen war; er st. 917, u. ihm folgte Rainer III.; sein Sohn Rainer IV. erbte H., wurde aber mit dem Erzbischof Bruno von Köln, dem Bruder des Kaisers Otto I., in Händel verwickelt, von demselben gefangen u. ins Exil geschickt, in dem er 977 starb. Die Kinder des verbannten Rainer fanden in Frankreich Unterstützung, der älteste Sohn, Rainer V., erhielt durch französische Hülfe H. wieder u. vermählte sich mit der Tochter Hugo Capets. Sein Sohn, Rainer VI., folgte ihm, st. aber 1036 u. hinterließ blos eine Tochter Richilde, die sich erst mit Hermann von Sachsen u. nach dessen Tode mit Balduin VI., Grafen von Flandern, vermählte, der als Balduin I. Graf von H. wurde. Dieser fiel 1070 in einer Schlacht gegen seinen Bruder Robert den Friesen, u. Richilde trat nun mit ihren Söhnen die Regierung beider Grafschaften an, u. zwar so, daß ihr ältester Sohn, Arnulf, Flandern u. der zweite, Balduin II., H. erhalten sollte. Aber Robert setzte den Krieg fort, schlug die Brüder 1071 bei Mont-Cassel, wo Arnulf blieb, u. bemächtigte sich beider Länder, trat aber H. dann wieder an Balduin II. ab. Richilde scheint die Regierung von H. an ihres Sohnes Statt geführt zu haben. Sie creirte 11 Pairs nach französischem Muster, die auch Oberrichter waren u. in Mons ihren Sitz hatten; Richilde st. 1085 (1086). Balduin II. begleitete Gottfried von Bouillon auf dem ersten Kreuzzuge u. st. 1098 im Gelobten Lande, sein Sohn Balduin III. folgte ihm. Dieser regierte friedlich u. st. 1120. Balduin IV., der Baumeister (weil er viele Schlösser baute), folgte, kaum 12 Jahre alt, seinem Vater, züchtigte das widerspenstige Valenciennes, führte mit dem Grafen Dietrich von Flandern u. Elsaß glückliche Kriege u. st. 1170. Sein Nachfolger Balduin V. war mit Margarethe, einer Tochter des Grafen Dietrich von Flandern vermählt. Diese erbte nach dem Tode ihres Bruders Philipp 1191 (1192) Flandern, u. Balduin nahm nun den Titel Balduin XIII. Graf von Flandern u. H. an. H. blieb nun mit Flandern vereinigt, bis 1379 nach dem Tode der Gräfin Margaretha, der Tochter Balduins IX., ihr Sohn erster Ehe, Johann von Avesnes, nach der Entscheidung König Ludwigs des Heiligen von Frankreich, Graf von H. wurde (s. Flandern [Gesch.]). Johann I. blieb mit Flandern gespannt, u. da sich dieses auf englische Seite neigte, so hielt er zu Frankreich. Dieses Verhältniß brachte unter seinem Sohne Johann II. für H. böse Früchte, denn wenn auch 1297 die Franzosen fast ganz Flandern eroberten, so wurden sie dagegen am 1.[241] Juni 1302 in der Sporenschlacht gänzlich geschlagen u. nun auch Holland u. Seeland von den Flamändern angegriffen. Graf Wilhelm, Sohn Johanns II., schlug sie zwar zurück, doch dauerte der Krieg bis zum Tode Johanns II. (1304) fort. Johann I. von H. war mit einer Schwester des Kaisers Wilhelm, Grafen von Holland, vermählt gewesen, u. da 1299 dessen männliche Nachkommen mit Johann I. von Holland ausstarben, so fiel Holland an Johann II. von H. als den nächsten Erben durch seine Mutter. Wilhelm, Johanns II. Sohn, wurde nach dessen Tode Graf von H., Flandern u. Holland. Von jetzt an fällt die Geschichte mit der Hollands zusammen, bis es mit diesem 1433 an Burgund (s.d. Gesch.) kam. 1482 kam es an Österreich u. von da, nach Karls V. Abdankung, an Spanien; durch den Frieden von Nymwegen wurde H. getheilt, der südliche Theil kam mit Avesnes an Frankreich, der nördliche blieb mit Mons bei Österreich; 1713 kam es durch den Frieden von Baden wieder ganz an Österreich, 1814 durch den Frieden von Paris an die Niederlande u. 1830 als Provinz an Belgien, s.d.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 241-242.
Lizenz:
Faksimiles:
241 | 242
Kategorien: