Seehandlungsgesellschaft

[742] Seehandlungsgesellschaft, 1) die preußische S.; Friedrich der Große, welcher überall in seinen Landen den indirecten u. passiven Handel in einen directen u. activen zu verwandeln strebte u. Monopole gründete, verordnete am 3. Oct. 1772 die Errichtung einer Gesellschaft für den Handel mit Seesalz. Dieses wurde, obwohl Salz ein Regal war, aus Spanien, Frankreich u. England bezogen, größtentheils zur Ausfuhr nach Polen u. Rußland. Den Kaufleuten in Königsberg u. Memel, welche bis dahin den Salzhandel trieben, versprach der König den ausschließlichen Einkauf von Garn, Leinen, Pottasche, Lein- u. Hanfsaat, sowie des Wachses aus dem Fürstenthum Ermeland, änderte aber schon am 14. Oct. 1772 die Errichtung der Gesellschaft ab u. stiftete die S. Das Capital sollte aus 2400 Actien à 500 Thlr., also zusammen nur 1,200,000 Thlr., bestehen; der König nahm 2100 Actien auf eigene Rechnung u. 300 kamen an Privatpersonen; die Gesellschaft erhielt den ausschließlichen Handel mit Seesalz u. das Stapelrecht auf alles Wachs, welches 10 Meilen weit von den Ufern der Weichsel im preußischen Gebiete erzeugt wurde u. hauptsächlich nach Spanien ging. Die Gesellschaft sollte unter preußischer Flagge einen directen Handel nach Spanien u. nach allen anderen Ländern nach ihrem Gutfinden treiben, in Cadix einen Handelsagenten halten u. von einer unter dem Könige stehenden Direction geleitet werden; die Privatactieninhaber erhielten kein Stimmrecht, auch wurde ihnen keine Rechnung abgelegt; die Actien sollten außer der Dividende 10 Procent jährliche Zinsen abwerfen, welche die kurmärkische Creditanstalt verbürgte. An demselben Tage wurde noch eine besondere Seesalzhandlungsgesellschaft, die sogenannte Preußische Compagnie, gegründet, welche das von der S. zugeführte Seesalz nach Polen u. Lithauen absetzen sollte; diese Gesellschaft sollte 500 Actien zu 1000 Thlr. haben u. jährlich 6 Procent Zinsen von dem Capitale ziehen. Die Privilegien beider Gesellschaften gingen auf 20 Jahre, also bis 1792, wurden aber kurz nach der Stiftung bis 1796 verlängert. Mit allem diesem wollte Friedrich der Große noch die Ausfuhr der schlesischen Leinwand befördern u. den Zwischenhandel Danzigs nach Polen an Preußen ziehen. Die Privilegien riefen vom Anfang an vielfache Anfeindung des Publicums hervor, u. trotz der ersteren gingen die Geschäfte sehr schlecht. Anfangs leitete unter dem Minister von der Horst ein gewisser Delatre die S.; 1774 übernahm der Staatsminister u. Vicepräsident des Generaldirectoriums von Görne die Leitung, welcher nach einer eigennützigen Verwaltung 1782 entsetzt wurde. Unter den beiden ersten Directoren hatte ein Capitalverlust von 21/2 Mill. Thlrn. stattgehabt. Die Leitung übernahm nun der Minister Graf von der Schulenburg-Kehnert, unter welchem die Preußische Compagnie mit der S. vereinigt wurde. Die Geschäfte gingen besser u. wurden bedeutend erweitert; die Gesellschaft hatte Agenten zu Cadiz, Amsterdam, Warschau u. Hamburg, bes. führte sie Leinwand aus. Allein dadurch entriß sie dem Privathandel viele Gegenstände, insonderheit betrieb sie den ganzen Handel mit Südeuropa, u. schadete überhaupt dem preußischen Handel nicht[742] wenig. 1791 wurde der Minister von Struensee Chef der S.; zugleich wurde dieselbe bis zum 1. Jan. 1808 verlängert; durch das Patent vom 4. März 1794 wurde das Capital zu 11/2 Mill. Thlr. in 3000 Actien festgesetzt, den Actieninhabern wurden 5 Proc. Zinsen vom Staate garantirt, die Dividenden fielen weg; die S. verlor das Stapelrecht auf Wachs, dagegen erhielt sie das Recht mit allen nicht verbotenen Waaren en gros zu handeln, Wechselgeschäfte zu machen, Comptoire in allen preußischen Städten u. auch auswärts zu errichten, Schiffe zu bauen, Rhederei zu treiben etc. In den kaufmännischen Geschäften mußte sie dieselben Lasten, wie die Kaufleute tragen, doch wurde sie vom Gebrauch des Stempelpapiers u. der Bezahlung der Gerichtskosten befreit. Die bald darauf erfolgte dritte Theilung Polens (1795) beschränkte das Absatzgebiet für das Salz u. die Revolutionskriege störten die übrige Handelsthätigkeit der S. Diese wandte sich jetzt mehr finanziellen Operationen zu u. erhielt die Verwaltung der Staatsschulden. Bis 1806 borgte sie 17,800,000 Thlr. für den Staat u. trug die ausländischen Staatsanleihen ab. Unterdessen war 1804 an Struensees Stelle der Minister von Stein getreten; derselbe nahm der S. den Ankauf des Seesalzes ab; 1818 erhielt sie nur das Commissionsgeschäft für den Einkauf von Seesalz zurück. 1806 war auch für die S. sehr unheilbringend. Da her Staat die vorgeschossenen Gelder nicht zurückzahlen konnte, so konnte auch sie ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllen; sie bestand noch 1808, ohne weitere ausdrückliche Verlängerung ihres Privilegs, stillschweigend fort; ihre 1806 ausgestellten Obligationen u. ihre Actien wurden 1810 in Staatsschuldscheine umgeschrieben. 1806 zahlte sie die Contributionen an Frankreich, wozu sie durch Wechseloperationen eine schwebende Schuld von mehren Millionen unterhielt; nach 1815 zog sie die von Frankreich zu zahlenden Contributionsgelder, 1818 die in England gemachte Anleihe ein. Dadurch hob sie sich allmälig u. bildete bis 1819 einen Capitalstamm von 1,035,110 Thlr. Am 16. Jan. 1820 übernahm der Staatsminister Rother die Verwaltung der S., welche von 1807 bis 1817 unter dem Finanz-, von da unter dem Schatzministerium gestanden hatte. Die Cabinetsordre vom 17. Jan. 1820 erklärte die S. für ein selbständiges Geld- u. Handelsinstitut des Staats, für welches der Chef persönlich verantwortlich ist; sie erhielt vorzugsweise den Ankauf des überseeischen Salzes, die Einziehung der Salzdebitsüberschüsse in Ost- u. Westpreußen, Lithauen u. Schlesien, die Besorgung aller im Auslande für Rechnung des Staates vorfallenden Geldgeschäfte ohne Ausnahme u. derjenigen Geldgeschäfte im Inlande, bei denen eine kaufmännische Mitwirkung erforderlich ist; ferner die Bezahlung aller im Auslande gemachten Staatsschulden nebst Zinsen, die Einziehung der dem Staate im Auslande verfügbar werdenden Gelder u. den Ankauf der dem Staate unentbehrlichen Producte des Auslandes. Der Staat leistete für alle Verpflichtungen Garantie, bestellte ein Curatorium von drei Staatsbeamten zur Aufsicht u. übertrug die Rechnungsrevision dem Chefpräsidenten der Rechnungskammer. Eine Cabinetsordre vom 3. Mai 1821 verfügte, daß der Gewinn der S. nicht mehr an die Staatskasse geliefert, sondern dem Capitalvermögen der S. einverleibt u. daraus ein Reservefonds gebildet werden solle, über welchen in außerordentlichen Fällen auch der König zu Staatszwecken verfügen könne. In dem ersten Jahre unter der Rotherschen Verwaltung war die S. durch die Geldgeschäfte für den Staat sehr gehindert, da dieselben einen bedeutenden Kassenbestand erforderten; erst von 1823 an wurde sie in dieser Hinsicht freier u. konnte sich mehr ihren anderen Geschäften zuwenden; 1822 machte die S. das erste größere überseeische Unternehmen, indem sie in Verbindung mit einem Bremer Hause schlesische Leinen, wollene Tücher etc. nach Mittel- u. Südamerika ausführte. Diesen Verkehr unterhielt sie u. dehnte ihn nach China, Ostindien, auch Nordamerika etc. aus, obgleich ohne Gewinn. Zugleich beförderte sie den Schiffsbau, indem sie in Nordamerika Schiffe kaufte, welche den preußischen Rhedern zum Muster dienten. 1847 besaß die S. 5 Schiffe u. 5 Schiffsantheile. Von 1820–43 betrug der gesammte Umsatz 2076 Mill. Thlr., durchschnittlich also 861/2 Mill. Thlr. Außer dem Handels- u. Wechselsverkehre betheiligte sich die S. noch an vielen andern Unternehmungen, z.B. baute sie bedeutende Strecken Chausseen, förderte Eisenbahnunternehmungen, kaufte Grundbesitz, ließ auf ihrem Schiff Prinzeß Luise 1842–44 eine Weltreise machen etc. Durch die glückliche Leitung Rothers gelang es der S., 1829 den alten Capitalstamm von 1,035,110 Thlr., welchen sie von der Regierung hatte, zurückzuzahlen u. 1832 auch die Zinsen mit 338,979 Thlr. abzuführen. Demnach hat die Staatskasse keinen Antheil mehr an der S.; diese arbeitet vielmehr ganz selbständig ohne Staatsunterstützung u. ohne Monopol mit ihrem eigenen Vermögen, welches eine bedeutende Höhe erreicht hat. In der neuesten Zeit, bes. seit 1844, hat die S. wiederholt viele Angriffe von Seiten des Handels- u. Gewerbestandes erfahren müssen, allein dieselben blieben ohne Wirkung. Die Cabinetsordre vom 14. Febr. 1845 hat das Fortbestehen derselben ausgesprochen, aber auch festgesetzt, daß sich dieselbe vorläufig in keine neuen gewerblichen Unternehmungen einlassen u. den Salzhandel aus Frankreich, Portugal etc. der Steuerverwaltung überlassen soll. Seit 1848 stand die S. unter der Verwaltung Blochs, an dessen Stelle 1855 Camphausen trat. Der eigentliche Charakter derselben ist jetzt der eines Geldinstituts (Staatsbankierhaus); sie ressortirt zum Finanzministerium u. zahlt jährlich an den Staat 100,000 Thlr. Ihr Handel ist dagegen jetzt nur noch gering; sie betreibt einigen Wein-, Mehl- u. Wollhandel; den Vertrieb des Alaun von den Werken Freieswalde, Schwemsal, Muskau u. Gleißen hat sie 1845 aufgegeben. Was die gewerblichen Unternehmungen anlangt, so bestehen dieselben in Vorschüssen, welche sie Fabriken macht, in Theilnahme am Geschäft, dessen Gewinn u. Verlust u. endlich in eigenen Unternehmungen, (an der Kammgarnspinnerei zu Breslau, der Maschinenwollenweberei zu Wüste-Giersdorf, der Baumwollenspinnerei zu Eisersdorf, dem Zinkwalzwerk zu Ohlau, der Maschinenbauanstalt zu Breslau, der Eisen- u. Stahlwaarenfabrik zu Bargthal bei Remscheid, der Flachsgarnspinnerei zu Landshut, der Patentfabrik zu Berlin), aus denen sie sich aber allmälig zurückziehen wird; die eigenen Unternehmungen sind: die chemische Productenfabrik zu Oranienburg, welche sie 1841 gekauft, die Dampfschifffahrt auf der Spree, Havel u. Elbe, die Maschinenbauanstalt in Breslau (die zu Altmoabit wurde 1851 verkauft), die Dampfmühle in [743] Potsdam etc., die Flachsgarnspinnereien in Erdmannsdorf u. Landshut. Vgl. Rother, Die Verhältnisse des königlichen Seehandlungsinstituts, Berl. 1845; Julius. Die Seehandlung u. das bürgerliche Gewerberecht, ebd. 1845. 2) Die englische S., s. Lloyd.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 742-744.
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