Tunnel

[934] Tunnel (engl.), 1) Ofenröhre, Trichter, Röhre; 2) ein durch einen Berg od. unter einem Fluß weg gegrabener, unterirdischer Gang, welcher als Fahrstraße, Eisenbahn od. Wasserweg dient. Schon die Alten kannten dergleichen Gänge. So ging in Babylon ein gewölbter 500 Fuß langer, 15 Fuß breiter u. 6 Fuß hoher Gang unter dem Euphrat hin, um eine bequeme Verbindung zwischen zwei königlichen Palästen zu haben. Beide Enden waren mit ehernen Thoren verschlossen. Ein Gang ähnlicher Art war der von Agrippa durch den Berg bei Cumä geführte behufs der Anlage einer Straße durch diesen Berg, welcher bei der Belagerung Cumä's durch Narses zum Theil verschüttet ward u. jetzt noch als Grotta di Sibylla gezeigt wird. Neuere sind der T., durch welchen der Kanal von Languedoc (s.d.) in Südfrankreich durch einen Berg geht, der T. durch den Österberg bei Tübingen, durch welchen die Ammer geleitet ist; der zwischen Gravesand u. Rochester durch Kalkfelsen gehauene, eine deutsche Meile lange, 35 Fuß hohe u. 30 Fuß weite T., in welchem Schiffe auf einem Kanal von dem Medway nach der Themse gehen u. durch welchen auch ein Fußweg führt; der bei Manchester, in welchem der Bridgewaterkanal läuft; der durch einen Hügel in Staffordshire, den Trent- u. Mersaykanal verbindende etc. Der längste T. der Welt, nämlich der 2 Meilen lange, 1853 vollendete, von dem Ufer der Gran unweit Zarnowitz bis in die Schemnitzer Bergwerke führende dient zur Abzapfung der unterirdischen Gewässer zur leichtern Ausbeutung der Bergwerke u. enthält auch zur Herausführung der Erze eine Eisenbahn. Der berühmteste T. ist der Themsetunnel, s.u. Themse. Am häufigsten kommen dergleichen Bauten bei Eisenbahnen vor. Eisenbahntunnel werden durch Bergrücken angelegt, um große Umwege u. kostspielige, schwierige u. selbst nachtheilige Einschnitte zu vermeiden; sie werden bes. bei Gebirgsbahnen wichtig u. zahlreich, z.B. bei der Semmeringbahn. Die Art der Ausführung der T. ist je nach der geognostischen Beschaffenheit des zu durchbrechenden Bodens verschieden, welcher entweder eine compacte Felsmasse, zerklüfteter Felsen, Boden von mittelmäßiger Festigkeit, welcher nachstürzen kann, z.B. Lehm, Letten, od. ganz schlechter, weicher Boden, z.B. Thon, Sand etc. sein kann. Zur Durchbrechung von compacten u. zerklüfteten Felsen wird das Gestein von beiden Enden des T-s gegen seine Mitte hin mit Pulver gesprengt u. nach dem vorgeschriebenen Querschnitte wegräumt, wonach man im ersteren Falle die innere Tunnelfläche rauh lassen kann, im zweiten Falle dieselbe dagegen nach jedesmaliger Aussprengung auf eine gewisse Länge mit Mauerwerk u. Gewölbe verkleiden muß, dessen Stärke mindestens 1–2 Fuß beträgt. Bei den Sprengarbeiten müssen die Minen so angelegt werden, daß mit Innehaltung der Querschnittsform des T-s möglichst viel Material auf einmal gesprengt wird u. daß das letztere auf leichte [934] Weise weggeschafft werden kann, was entweder mittelst Handkarren od. auf einer Dienstbahn mittelst Wippkarren erfolgt. Die Ausführung der Verkleidung erfordert die Aufstellung mehrer Lehrgerüste, worauf das Gewölbe in einzelnen Streifen aufgeführt u. nach Vollendung jedes Gewölbstreifens das Lehrgerüste fortgerückt od. auf einer Bahn fortgeschoben wird. 1853 wurde in Amerika eine von Talbot erfundene Tunnelbohrmaschine zur Durchbohrung von Felsbergen angewendet, bestehend in einem Apparat mit Stahlscheiben, welche mittelst einer Dampfmaschine in rotirende Bewegung versetzt, in ihrer Drehung Kreissegmente vom Centrum gegen die Peripherie des T-s u. mit einer graduellen Bewegung um den gemeinschaftlichen Mittelpunkt herum beschrieben u. so die Steinmasse allmälig zerschnitten u. zermalten, während die ganze Maschinerie gleichzeitig durch den Dampfapparat in der directen Achsenlinien des T-s vorgeschoben wurde, diese Maschine bohrte in 1 Stunde 11/2 Fuß von 17 Fuß Durchmesser. Beim Tunnelbau in weichen, lockeren u. feuchten Bodenarten darf die Ausgrabung des Bodens jedesmal nur auf kurze Strecken vorgenommen werden, worauf nach Auszimmerung dieser Strecke das Ausmauern erfolgt. Auch die Sohle bekommt als Schutz eine Wölbung, deren Bogen jedoch nicht nach oben, sondern nach unten gerichtet ist. Bei nur unbedeutender Tunnellänge wird die Arbeit von den beiden Mündungen aus nach der Mitte zu betrieben, wobei man die bequemste Ableitung etwaigen Quellwassers u. leichteste Förderung der Erde hat. Bei T-n von größerer Länge u. nicht zu bedeutender Höhe des Bergrückens wird aber an mehren Punkten gleichzeitig angefangen u. zu dem Ende von oben herab Treibschachte (Lichtlöcher) abgeteuft, von denen aus die Arbeiten betrieben werden; bisweilen sind noch besondere Wasserstollen zum Abzug des Quellwassers nothwendig. Die Auszimmerung richtet sich in ihrer Construction nach der festeren od. lockeren Beschaffenheit des Bodens, für welchen letzteren Fall sie stärker sein muß, um die sich ablösenden Erdmassen tragen zu können. Gleichzeitig mit den Schachten werden ein od. mehre Stollen od. Gallerien, d.h. Gänge, in denen ein Arbeiter bequem gehen kann, nach der Richtung der Tunnelachse angelegt, in denen der Transport der Erde u. das Aufmauern der Gewölbwiderlager vor sich gehen kann. Diese Widerlagsstollen werden wieder durch Querstollen an mehren Punkten verbunden. Bei nachbrechendem Erdreich müssen diese Stollen (Strecken, Gänge) mit einer Unterstützung od. Verkleidung versehen werden, welche in der Regel aus mehren Rahmen od. Gevierten, in 11/2 – 2 Ellen Entfernung, mit Bohlen verkleidet, die über 2 od. 3 Gevierte hinweggreifen, besteht. Jedes Gevierte ist zusammengesetzt aus den beiden (verticalen) Pfosten od. Thürstöcken, dem (obern) Kappenholz u. dem (untern) Sohlholz. Die Schachte od. Brunnen dienen außer zur Inangriffnahme an mehren Orten auch noch zur Versorgung der Arbeiter mit Luft u. zur Förderung des Quellwassers. Oft läßt man nach Vollendung eines T-s einige solcher Schachte zum Hinablassen von Materialien bei vorkommenden Reparaturen stehen. Die Entfernung der Schachte beträgt von 150 bis 700 Fuß. Meist erhalten die Schachte eine besondere Verkleidung, welche entweder aus Steinen od. aus Holz besteht; im ersten Falle ist der Querschnitt des Schachtes rund, im zweiten quadratisch od. rechteckig. Gemauerte Schachte werden gewöhnlich durch Versenkung ausgeführt, d.h. das Schachtmauerwerk wird auf einen hölzernen od. eisernen Kranz gesetzt u. dieser letztere untergraben, wodurch sich Kranz u. Mauerwerk senkt u. nach Maßgabe der Einsenkung die Aufmauerung erfolgt. Ausgezimmerte Schachte bestehen aus einzelnen Rahmen, Eckpfosten u. der Bohlenverkleidung, ähnlich wie die Stollen. Der größte Schacht, welcher bis jetzt versenkt wurde, ist der Zugang zum Themsetunnel in London; das 50 englische Fuß im Durchmesser haltende Schachtmauerwerk wurde auf 37 Fuß Tiefe versenkt. Außer den Treibschachten legt man auch oft noch besondere Luftschachte an, welche bei schlechter Luft in kürzern Abständen (50–70 Fuß) von einander kommen. Eine eigenthümliche Bauart der T. durch nicht sehr hohe Bergrücken, in der z.B. der unterirdische Kanal St. Maur in der Nähe von Paris ausgeführt wurde, besteht darin, daß man den T. nicht unterirdisch, sondern im offenen Einschnitte aufführt u. nach dem Schluß des Tunnelgewölbes wieder zuwirft. Lockerheit des Bodens, vorhandene Straßen u. andere örtliche Umstände bedingen diese Bauart, so v. B. bei dem T. des Kanals von Charleroy nach Brüssel, welcher anfänglich unterirdisch von beiden Enden zugleich geführt wurde, bis man auf eine fließende Sandader traf, so daß der T. auf 36 Meter Höhe geöffnet werden mußte. Der größte T. in Felsen (Alpenkalk) wird auf der Eisenbahn von Turin nach Genf gebaut. Er geht auf eine Länge von 11/2 deutsche Meilen durch den Col de Frejus, 3 Meilen südwestlich vom Mont-Cenis, über welchen die Heerstraße von Frankreich nach Italien führt. Der Rücken des Col de Frejus erhebt sich noch 1195 Meter über den höchsten Punkt des T-s, welcher letztere nur von beiden Enden aus (Bardonèche italienischer-, Modane französischerseits) gearbeitet werden kann. Die ganze Länge des T-s, welcher mit Ausnahme der beiden Enden in gerader Richtung geführt werden soll, beträgt 12,595 Metres, lichte Breite der Kämpferhöhe 8 Metres, der Sohle 7,6 Metres, lichte Höhe 7 Metres u. Gewölbstärke 0,8 bis 1 Metres. Zum Sprengen des Gesteins wendet man die vom Oberingenieur Chevalier Sommeiller u. Gratton construirten Bohrmaschinen an Diese Bohrmaschinen, deren Bohrer nach allen denkbaren Richtungen, je nach Erfordern, arbeiten können, arbeiten mit einer Geschwindigkeit von 250–300 Stößen per Minute. Das zeitraubende Reinigen des Bohrloches bei der Arbeit soll bei den Maschinen dadurch vermieden werden, daß man durch den Bohrer selbst einen Wasserstrahl einführt, welcher das Bohrloch fortwährend ausspült. Man hofft mit Hülfe der Maschinen in 8 Jahren (bis 1868) mit dem T. fertig zu werden. Die Bewegung der Bohrmaschinen geschieht mittelst durch hydrostatischen Druck comprimirter Luft von 4–41/2 Atmosphären Spannung in zwei Maschinen von je 250 Pferdekräften. Die Förderung des gelösten Gesteins geschieht durch Maulthiere auf zwei Eisenbahngleisen. Besonders hervorzuhebende Theile eines T-s sind die an seinen beiden Enden befindlichen Tunneleingänge od. Tunnelportale. Die T. werden an den Enden durch eine verticale mehr od. weniger hohe Stirnmauer begrenzt, über welcher das natürliche Erdreich in angemessener Böschung aufsteigt. Man gibt diesen Mauern in der Regel[935] architektonische Verzierungen u. Inschriften, sowie einen massigen Charakter. Oft führt man die Stirnbögen des Tunnelgewölbes nach einer andern überhöhteren Bogenlinie aus, als das Gewölbe hat, um ein bedeutungsvolleres Ansehen zu gewinnen. Eine traurige Berühmtheit hat der auf der Schweizer Centralbahn zwischen Läufelfingen u. Olten befindliche Hauensteintunnel (s.d.) durch das in ihm stattgefundene Unglück erhalten.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 934-936.
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