Julianus

[516] Julianus (Flavius Claudius), röm. Kaiser 360–365 n. Chr., von den Christen Apostata, d.h. der Abtrünnige, genannt, war ein Bruderssohn Konstantin's des Großen (s.d.) und geb. 331. Durch die Grausamkeit des Kaisers Konstantius, seines Vetters, verlor er, kaum sechs Jahre alt, seinen Vater und mehre Glieder seiner Familie. Sein Schicksal blieb dem Mörder seines Hauses überlassen, der ihn zum geistlichen Stande bestimmte und dem Bischof Eusebius von Nikomedien zur Erziehung und zum Unterricht im Christenthume übergab. Da jedoch I. hierin nur ein Mittel der Unterdrückung erblickte, so wurde er dem Christenthume ebenso feind wie dem Kaiser. Im verstohlenen Umgange mit den Dichtern der Vorwelt entzog er sich dem Gezänke der Geistlichen und dem Gewebe spitzfindiger Formeln, zu welchen das Christenthum jener Zeit ausgeartet war. Schon jetzt von der poetischen Seite des Heidenthums gefesselt, hing er an demselben mit schwärmerischer Begeisterung, seitdem es ihm, zum Jüngling herangereift, vergönnt war, die Schulen zu Athen und Nikomedien zu seiner geistigen Bildung zu benutzen. Hier, im Umgange mit den berühmtesten Philosophen seiner Zeit, voll Bewunderung für ihr geheimnißvolles und beredtes Wissen und durch ihre Einflüsterungen zu den kühnsten Hoffnungen erhoben, hielt ihn nur die Furcht vor dem Kaiser ab, seinen Abfall vom Christenthume offen kund zu thun. Während I. nach dem Preise der Philosophie und Beredtsamkeit rang und das gesammte Wissen des Heidenthums in sich aufnahm, wurde er plötzlich in diesem Eifer durch den Entschluß des Kaisers unterbrochen, den Westen des Reichs gegen die Einfälle der Germanen zu schützen. In Mailand 355 zum Cäsar ernannt und mit des Kaisers Schwester Helena vermählt, zog I. an der Spitze eines Heers nach Gallien. Durch seine Siege über die Franken und Alemannen bei Lyon und Strasburg und wiederholte Einfälle nach Deutschland stellte er den Ruhm der röm. Waffen wieder her, und in der Verwaltung des Landes erwarb er sich die allgemeine Liebe durch seine Mäßigung, Uneigennützigkeit und Gerechtigkeit. Sein Glück und seine Tugend erregten jedoch des Kaisers Eifersucht. In einem Befehle foderte er ihm den größten Theil des Heers ab, angeblich zum Kriege gegen die Perser. Aber die Soldaten riefen I. zu Paris 360 zum Kaiser aus. Der Bürgerkrieg schien unvermeidlich und schon waren beide Parteien zu demselben gerüstet, als ihm der schnelle Tod des Kaisers Konstantius zuvorkam und I. in den alleinigen Besitz des Reichs brachte. Den Antritt seiner Regierung bezeichnete I. mit der Vereinfachung des Hofstaats und mit der Verringerung der Abgaben. Aber in seiner Vorliebe für heidnische Religion und Geistesbildung, die er als die Stütze des wankenden Reichs ansah, trat er dem Christenthume feindselig entgegen, zwar nicht im offenen Kampfe, doch durch tief eingreifende Maßregeln demselben den Untergang drohend. Die Christen wurden von Staatsämtern entfernt, zur Wiederherstellung der zerstörten Tempel verurtheilt und von den Schulen der höhern geistigen Bildung ausgeschlossen. Die Foderungen der Gerechtigkeit selbst wurden gegen sie in feindseliger Gesinnung geltend gemacht; alle Sekten wurden anerkannt, alle vertriebenen Bischöfe zurückberufen, die Juden zur Wiederherstellung des Heiligthums eingeladen. Dagegen waren die Heiden bürgerlich begünstigt, und was ihnen an sittlichen Vorzügen gebrach, das sollte durch neuerrichtete Volksschulen ersetzt werden. Wenn I. in diesem Unternehmen seine Zeit misverstand, so hinderte ihn der Tod, es zu [516] vollenden. In einem Kriegszüge hatte er die mächtigen Perser zu demüthigen beschlossen. Schon war er siegreich durch Syrien und Mesopotamien vorgedrungen, als er in einer Schlacht (365) eine tödtliche Wunde, angeblich von der Hand eines Christen, erhielt, an welcher er starb. I. behauptete als Feldherr und Staatsmann einen hohen Rang unter den röm. Kaisern und war selbst als Philosoph und beredter Schriftsteller ausgezeichnet. Unter seinen Schriften ist unter andern eine Spottschrift, »Misopogon«, gegen die Antiochier, die ihn wegen seines großen Bartes verlacht hatten, und die Kaiser oder das Gastmahl, ein komisches Sittengemälde der Laster, Mängel und Flecken aller frühern Kaiser, auf unsere Zeiten gekommen, dagegen ist ein größeres Werk von ihm, gegen das Christenthum, verloren gegangen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 516-517.
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