Seebäder

[151] Seebäder (die) gehören unstreitig zu den wichtigsten und segensreichsten der in neuester Zeit mehr in Gebrauch und Aufnahme gekommenen Heilmittel. Zwar bediente man sich ihrer schon im Alterthume, allein mit dem Verfalle der Wissenschaften kamen auch sie wieder in Vergessenheit, bis man dergleichen zuerst um die Mitte vorigen Jahrhunderts wieder einrichtete. Das erste deutsche Seebad wurde im J. 1794 an den Küsten der Ostsee zu Dobberan im Großherzogthume Mecklenburg-Schwerin angelegt, worauf im J. 1801 das zu Norderney an der Nordsee und fast gleichzeitig ein zweites an der Ostsee, zu Travemünde, folgten. Die Heilwirkungen der Seebäder sind durch das Zusammenwirken von einer Menge von Umständen bedingt, wohin der unmittelbare Einfluß des an Salzen, namentlich an Kochsalz, sowie an Pflanzen und Thieren so reichen Seewassers gehört, welcher wieder von den Bewegungen in der Atmosphäre und dem Eintreten der Ebbe und Flut abhängt, der sogenannte Wellenschlag (der in der Nordsee weit stärker ist als in der Ostsee), die eigenthümlich erfrischende und belebende Seeluft, der gewaltige Eindruck auf Geist und Gemüth, den der für den Binnenländer ungewohnte Anblick des Meeres selbst und das Baden in diesem hervorbringt u.s.w. Das Baden in der See hat im Allgemeinen eine belebend-stärkende Wirkung. Man empfiehlt es daher vorzugsweise bei alle den Nervenübeln, welche von Schwäche und widernatürlicher Reizbarkeit des Nervensystems abhängen, bei derartigen Schmerzen und Krämpfen, Lähmungen, männlicher Impotenz, beginnendem schwarzen Staare, manchen im Entstehen begriffenen oder bereits eingetretenen Seelenstörungen, zur Kräftigung einer verzärtelten Haut, um dadurch die beständige Geneigtheit zu Schweißen und Erkältungskrankheiten zu heben, bei rheumatischen und gichtischen Beschwerden, langwierigen Hautausschlägen und Geschwüren, so insbesondere bei Flechten, Salzflüssen und dergl., bei Blut-und Schleimflüssen aus Schwäche, bei Skrofeln und den durch diese bedingten Geschwülsten, Verhärtungen, Ausschlägen u.s.w. Dagegen sind Seebäder entweder gar nicht oder nur mit großer Vorsicht anzurathen bei großer Vollblütigkeit, sehr bedeutender Schwäche und Reizbarkeit der Nerven und äußern Haut, bei Geneigtheit zu Schlagfluß und Bluthusten, Lungen- und Halsschwindsucht, fieberhaften Zuständen, Herzleiden, während der [151] Schwangerschaft und bei schon weit vorgerücktem Alter u.s.w. Die Zeit, zu welcher man am zweckmäßigsten Seebäder gebraucht, beschränkt sich, wenigstens für die Nord- und Ostsee, auf die Monate Juli, August und September. Zu einer vollständigen Cur gehören 30–50 Bäder, sodaß der Aufenthalt in dem Seebade wenigstens sechs Wochen dauern muß. In der Regel badet man des Tags nur ein Mal und zwar am angemessensten in den Vormittagsstunden zwischen dem ersten und zweiten Frühstück, da das Baden sowol bei nüchternem als auch durch die Mittagsmahlzeit allzu sehr gefülltem Magen nachtheilig ist. Gewöhnlich bedient man sich beim Baden sehr weiter, faltenreicher Bademäntel oder Badehemden von grobem Flanell. Zur größern Bequemlichkeit Derer, welche in der offenen See baden wollen, hat man in verschiedenen Seebädern längs des Strandes kleine Badehäuschen, Zelte oder Buden aufgeschlagen, in denen der Curgast alle zum Aus- und Ankleiden nöthigen Geräthschaften findet, sich auskleidet, in den Bademantel hüllt, Holzschuhe anzieht und sich dann mittels eines Steges in die See begibt. Noch bequemer und anständiger zugleich sind aber die, früher nur in den Seebädern Englands, jetzt jedoch auch bei uns gebräuchlichen, bedeckten, in einzelne Zimmer abgetheilten, mit allem zur Bequemlichkeit beim Aus-und Ankleiden Erfoderlichen, sowie mit Fallschirmen und beweglichen Treppen versehenen, zwei- oder vierräderigen Badewagen, welche sammt den Badenden von Pferden in die See gezogen oder von Menschen geschoben und auf ein gegebenes Zeichen mit Hülfe von Winden und Stricken wieder an das Land zurückgezogen werden. Die gegenwärtig besuchtesten Seebäder Deutschlands sind: an der Ostsee 1) zu Zoppot bei Danzig; 2) zu Rügenwalde und 3) zu Kolberg in Pommern; 4) zu Putbus und 5) bei Arkona auf der Insel Rügen; 6) zu Stralsund; 7) Warnemünde; 8) Dobberan und 9) Travemünde an der Ostküste der cimbrischen Halbinsel; 10) zu Kiel und 11) zu Apenrade an der Westküste von Schleswig; 12) auf der Insel Föhr weiter in die Nordsee hinein; 13) auf der Insel Helgoland, seines starken Wellenschlages und der reinern Seeluft halber ganz besonders zu empfehlen; 14) zu Kuxhaven und Ritzebüttel; 15) auf der zu Oldenburg gehörigen Insel Wangeroge und 16) auf der Insel Norderney. Sonst sind Seebäder in Holland zu Scheveningen beim Haag, zu Katwijk, Noordwijk, Egmond und Zandvoort; in Belgien zu Ostende; in England zu Harwich, Margate, Deal, Southhampton, auf der Insel Wight, zu Portsmouth und Brighton; in Frankreich zu Boulogne, Dieppe, Havre und zu Marseille; in Italien zu Nizza, Genua, Livorno und Triest.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 151-152.
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