Dreißigjähriger Krieg

[446] Dreißigjähriger Krieg, heißt die Summe von Kriegen, welche von 1618 bis 48 von Deutschen, Dänen, Schweden, Ungarn, Franzosen, Italienern u. Spaniern geführt wurden und mit der Beraubung, Verödung und Zersplitterung Deutschlands endigten. Der Krieg war kein Religionskrieg, wie man noch heutzutage von befangenen Protestanten hören muß, die Religion wurde nur gelegenheitlich zum Vorwand genommen, sondern er war ein Krieg gegen das Haus Habsburg, welches damals in 2 Linien die span. und österreich. Monarchie beherrschte. Gegen die span. Linie war bereits ein Hauptschlag geglückt: durch engl., franz. und norddeutsche Unterstützung war den Holländern die Losreißung von Spanien gelungen und ihr Aufschwung zu einer Seemacht ersten Ranges versetzte Spanien eine unheilbare Wunde. Dasselbe Mittel, Revolutionirung der einzelnen Länder der Monarchie od. Unterstützung einer ausgebrochenen Revolution, wurde nun auch gegen Habsburg-Oesterreich in Bewegung gesetzt. Heinrich IV. von Frankreich hatte mit der protestant. Union in Deutschland (d.h. mit den weltlichen Fürsten, denn nur Bayern u. ein Zweig von Baden waren noch katholisch) einen Bund gegen Habsburg geschlossen, unter der ausdrücklichen Bedingung, daß der Krieg kein Religionskrieg sein sollte, aber seine Ermordung 1610 und die auf seinen Tod folgenden inneren Erschütterungen verschonten Deutschland vorläufig noch vor der franz. Einmischung. Dadurch war jedoch das über Deutschland bis nach Ungarn u. Konstantinopel gesponnene Netz nicht ganz zerrissen; die Holländer und Friedrich von der Kurpfalz schürten die Gährung in den österreich. Ländern u. diese kam in Böhmen d. 23. Mai 1618 zum vollen Ausbruch. Ferdinand II. wurde des Thrones verlustig erklärt, Friedrich von der Pfalz zum König erwählt und auch von den protestant. Mächten anerkannt, Graf Mansfeld stand mit 4000 Mann, die er mit savoiischem Gelde angeworben hatte, in Böhmen, die Ungarn unter Bethlen Gabor rückten gegen Presburg vor, das Erzherzogthum Oesterreich war im Aufstande, nur Wien und die bedeutenderen Städte blieben Ferdinand II. treu – er schien verloren. Ihn rettete der Haß der Lutheraner gegen die pfälzischen Calvinisten, Sachsens Eifersucht gegen Kurpfalz, die Unthätigkeit der Union, endlich die theuer erkaufte aber trefflich geleitete Hilfe des Herzogs Max von Bayern, des Hauptes der kathol. Liga. In Folge der Schlacht am weißen Berge bei Prag (8. Nov. 1620) verlor Friedrich Böhmen, bald auch die Pfalz, Max von Bayern aber erhielt die Oberpfalz und die Kurwürde. Für Friedrich von der Pfalz focht Mansfeld auch forthin, der mit holländ. Gelde Söldner warb, ferner Georg von Baden-Durlach, Christian von Braunschweig, wodurch der Krieg nach Norddeutschland verpflanzt wurde, denn Mansfeld und Christian fielen über die norddeutschen Stifte und Bisthümer her. Der Feldherr der Liga, Tilly, siegte bei Wimpfen am 6., bei Höchst am 20. Mai 1622 u. trieb die Reste der feindlichen Heerhaufen nach Holland, und als sie im folgenden Jahre aus Holland wieder einfielen, gewann er 6. Aug. die mörderische Schlacht von Stadtloo; er hätte dem Kriege ein Ende machen können, wenn Max von Bayern als Haupt der Liga seine durch den glücklichen Krieg errungene Stellung hätte aufgeben wollen. Das Ausland, Frankreich, England und Holland sorgten auch alsbald für einen neuen Krieg. Christian IV. von Dänemark, dessen Sohn bereits protestant. Erzbischof von Bremen und Bischof von Verden war, d.h. das Einkommen der Bischöfe einzog, gelüstete nach größerem Erwerb an der Elbe u. Weser, die protestant. Stände in Niedersachsen wählten ihn zum Kreishauptmann, England, Holland u. Frankreich zahlten ihm Subsidien und so kam der dänische Krieg zu Stande (1625–29), während dessen sich auch der alte Bethlen Gabor wieder in Bewegung setzte. Doch Tilly schlug den Dänen bei Lutter am Barenberge 27. August 1626, Wallenstein [446] vernichtete Mansfelds Heer bei Dessau 15. April 1626, zog dann gegen Bethlen Gabor, bewog ihn zum Frieden, kehrte zurück, besetzte Holstein, Schleswig, schlug die Dänen bei Aalborg, besetzte Jütland, auch Mecklenburg, und bewilligte auf Befehl des Kaisers dem Dänen zu Lübeck 1629 einen sehr billigen Frieden. Die Verhältnisse hatten sich sehr geändert; der Kaiser, der im Anfange des Kriegs der Schützling der Liga gewesen, war durch Wallensteins Genie und Glück Gebieter über eine Armee von 100000 Mann geworden. Dieser Triumph des habsburgischen Hauses war den protestant. und kathol. Fürsten und dem Auslande gleich unwillkommen. Darum wurde der Kaiser von der Liga dahin gedrängt, daß er 1) das Restitutionsedict erließ, demgemäß die protestant. Stände alle Kirchengüter, welche sie seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) gegen dessen ausdrückliche Bedingungen an sich gerissen hatten, herausgeben sollten. Dies war unbestreitbar und unbestritten eine rechtmäßige Maßregel des Kaisers, aber da die protestant. Stände nicht weniger als 2 Erzbisthümer, 12 Bisthümer u. hunderte von Abteien und andere Stifte gegen die ausdrücklichen Bestimmungen des Vertrags von 1555 sich angeeignet hatten, so verfeindete das Edict den Kaiser mit den protestant. Fürsten tödtlich, denn diese wären durch die Herausgabe der geraubten Güter finanziell an den Rand des Abgrunds gebracht worden, da ihre Finanzen und ihre Wirthschaft selten in einem entsprechenden Verhältnisse standen. Als der Kaiser so mit der erneuerten Feindschaft der protestant. Stände beladen war, mußte er 1630 auf dem Reichstage von Regensburg auf die gemeinschaftliche Klage der kathol. u. protestant. Stände seinen Heerführer Wallenstein des Commandos entheben, d.h. seine bewaffnete Macht des bewegenden Nerven berauben. Das geschah zu derselben Zeit, als Gustav Adolf von Schweden mit franz. Gelde Heer u. Flotte zu einem Angriffe gegen Deutschland rüstete; Frankreich versprach jährlich 400000 Thlr., der Schwedenkönig, daß er den kathol. Glauben in Deutschland nicht unterdrücken wolle. Am Johannistag 1630 landete er auf der pommerschen Insel Usedom, fand an den Küsten der Ostsee nur einzelne kaiserl. Besatzungen, aber nirgends ein Heer, überwand sie nach einander, zwang den Herzog von Pommern u. den Kurfürsten von Brandenburg zu einem Bündnisse und hatte sich auf das Doppelte verstärkt, als er gegen Tilly vorrückte, der den Kurfürsten von Sachsen aus seiner bewaffneten u. zweideutigen Neutralität auf schwedische Seite trieb. Gustav siegte bei Leipzig 17. Sept. 1631, nahm Bamberg, Würzburg, Mainz, München, das sächs. Heer Prag; da rief der Kaiser Wallenstein auf, der in wenigen Monaten ein Heer warb, Gustavs Angriff bei Nürnberg blutig abschlug, und bei Lützen d. 6. Nov. 1632 die Schlacht zwar verlor, aber weil der Schwedenkönig fiel, den furchtbarsten Gegner beseitigte. Gustav hatte protestant. deutscher Kaiser werden wollen, er hatte gegen die ihm glaubensverwandten Fürsten in Deutschland und gegen den franz. König eine Sprache angenommen, daß diese ihn bereits ärger als den Kaiser fürchteten; daher ihnen sein Tod kein unerwünschtes Ereigniß war. Der Plan der »Befreier« Deutschlands, wie sich Frankreich und Schweden nannten, zielte darauf ab, Deutschland, so weit es thunlich wäre, zu ruiniren, und möglich viel Land abzureißen; die deutschen Fürsten in ihrer Mehrzahl aber gedachten, wie sie mit franz.-schwed. Hilfe ihren Besitz durch Stiftsländer vergrößern, ihre nachgeborenen Söhne, wie sie durch Verbeugen und Dienste ein Besitzthum an Land und Leuten erringen könnten. Der Krieg, an dem Frankreich nun ernsthaft Antheil nahm, war wechselvoll; Wallenstein zwar wurde 1634 d. 25. Febr. als Verräther an dem Kaiser ermordet, aber am 6. Sept. 1634 erfocht die kaiserl. Armee einen glänzenden Sieg bei Nördlingen. Der Kurfürst von Sachsen brachte im nationalen Interesse den Prager Frieden zu Stande, 30. Mai 1635, in welchem den deutschen Protestanten vollständige Sicherheit ihres Glaubens u. Besitzes gewährleistet wurde. Doch traten [447] nicht alle protestant. Fürsten bei und Frankreich unterstützte die Schweden u. dessen deutsche Bundesgenossen so mächtig, daß der Krieg durch Baner, den Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar etc. abermals eine andere Wendung erhielt, während zugleich die Franzosen unter Guebriant, Turenne und Condé über den Rhein gingen. Die Heere rieben sich mehrmals gegenseitig auf, das verwilderte Deutschland aber lieferte neue; Raub, Mord und Brand begleiteten ihre Züge, Hunger und Pest zogen als Gefolge nach, während die eifersüchtigen Schweden und Franzosen den Krieg verlängerten, um größere Ansprüche zu begründen, die Diplomaten aber in berechneter jedoch andern Menschen unbegreiflicher Langsamkeit unterhandelten. Endlich kam 1648 der westfälische Friede zu Stande. Deutschland verlor an Frankreich das Elsaß außer Straßburg u. den Reichsstädten, ferner Breisach u. Philippsburg auf dem rechten Rheinufer; an Schweden Vorderpommern mit Stralsund, von Hinterpommern Stettin, die Insel Rügen, die Bisthümer Bremen und Verden, Wismar und 5 Mill. Thlr.; Belgien fiel an Spanien, die Schweiz wurde unabhängig erklärt, Holland sperrte Rhein und Schelde. Die Kaisermacht wurde auf einen Schein herabgesetzt, den Fürsten volle Landeshoheit zugesichert, Bayern behielt die Kur und die Oberpfalz, die Rheinpfalz aber erhielt die 8. Kur. In Beziehung auf Religion und Säcularisation der Kirchengüter wurde festgesetzt, daß der status quo des Jahres 1623 maßgebend sein solle. – Kein Volk hat jemals einen Bürgerkrieg wie den 30jähr. geführt und so ganz und gar nichts gewonnen, keines hat sich vom Ausland je in solcher Weise wie Deutschland mißbrauchen lassen. (Ueber ihn vergl.: K. A. Menzel, 2 Bde., 1835 bis 39; Gfrörer Gustav Adolf, 3. Aufl., Stuttgart 1852; Barthold, Stuttgart 1842; Heilmann, Meißen 1851; La Roche, Schaffhausen 1848). Schillers 30jähr. Krieg ist eine historische Versündigung des großen Dichters.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 446-448.
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