Philosophie

[532] Philosophie, griech., Liebe zur und Streben nach Weisheit, näher die denkende Betrachtung der Dinge, um dieselben in ihren letzten Gründen zu erklären oder Wissenschaft vom Absoluten, insofern die P. die höchsten Principien alles Seins und Lebens aus ihrem Urgrunde, dem Absoluten od. Gott zu erklären strebt. Diese Idee der P. trieb bis jetzt eine Reihe von philosophischen Versuchen, Systemen oder Zeit-P.en ans Tageslicht, deren culturhistorische u. wissenschaftliche Bedeutung keineswegs gering anzuschlagen, deren Werth an sich aber ein sehr verschiedener und oft maßlos übertriebener ist. Die Geschichte dieser Zeit-P.en, welche unter sich ziemlich locker, dagegen mit den Culturzuständen ihrer Entstehungszeit desto enger zusammenhängen, macht den Inhalt der Geschichte der P. aus, die gleich der Geschichte überhaupt gemeiniglich in die Geschichte der alten (griechisch-römischen), mittelalterlichen (Scholastik) und neuen P. abgetheilt wird. Daß es eine absolute d.h. ewig und ausschließlich wahre P. so wenig geben könne als einen absoluten d.h. von den Schranken der Zeitlichkeit freien Denker, ist von selbst schon einleuchtend. Aus der Geschichte der P. geht aber weiters hervor: 1) die P. blühte bisher nirgends in der schönsten Zeit der Geschichte eines Volkes auf, sondern allenthalben in der Zeit der einreißenden Verwirrung des religiösen Bewußtseins und des beginnenden Zerfalles – eine Behauptung, die besonders gilt, wenn man die Scholastik als »die Magd der Theologie« betrachtet u. als eigentliche P. gar nicht gelten lassen will, wie dies bis auf die neueste Zeit üblich war; 2) Schleiermacher findet mit Recht den Hauptunterschied zwischen der antiken und modernen P. in der Voraussetzungslosigkeit der erstern d.h. darin, daß die antike P. nichts vom Christenthum wußte, welches Geltung als absolute Wahrheit fordert. Seitdem das Christenthum in die Weltgeschichte eingetreten ist, kann es keine unbefangene P. mehr bei den Culturvölkern [532] od. in der Christenheit geben; jede P. tritt entweder in ein freundliches Verhältniß zur Theologie wie die Scholastik, in neuester Zeit Baader u. Günther, oder in bewußten, mehr oder minder feindseligen Gegensatz zum religiösen Glauben und zur Kirchenlehre; 3) auch jene von den namhaftesten modernen Systemen für sich in Anspruch genommene Voraussetzungslosigkeit, welche von allem Positiven abstrahiren u. aus ihren Principien die Wirklichkeit erst construiren wollte, läuft lediglich auf eine Täuschung hinaus. Abgesehen nämlich davon, daß Spinoza, Hegel u.s.f. in der Voraussetzung lebten u. schwebten, der Christenglaube gewähre keine absolute Wahrheit u. der Mensch könne und müsse lediglich durch eigene Kraft zu derselben gelangen, waren auch ihre Grundansichten Voraussetzungen, die sie ohne weiteren Beweis als richtig hinnahmen u. erwies es sich an ihren eigenen Systemen von neuem: selbst das abstracteste Philosophem setze für seine Entstehung eine bestimmte Zeit voraus und sei von den religiös-kirchlichen, staatlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Zuständen eines bestimmten Volkes abhängig. Der negative Werth der P. liegt zunächst darin, daß sich in den Zeit-P.en die Armuth u. Ohnmacht der dem geoffenbarten Glauben fremden Vernunft in den höchsten Fragen des Seins und Lebens stets von neuem offenbart; der positive darin, daß die P. mit ihren Ideen anregend auf die gesammte wissenschaftliche Entwicklung einwirkt, Ordnung u. Zusammenhang in die einzelnen Wissenschaften, endlich die Principien und Ergebnisse derselben zum Bewußtsein bringt. Hinsichtlich der Eintheilung der P. ist der Unterschied zwischen theoretischer oder speculativer u. praktischer oder angewendeter P. im Ganzen der durchgreifendste. Erst von Sokrates an begann bei den Griechen die allmälige Gestaltung der Zeit-P.en zu einem in sich zusammenhängenden Ganzen oder Systeme. Platon hatte noch kein Eintheilungsprincip; erst Spätere theilten seine P. ab in Logik (s. Dialektik), Physik (die aber einzig u. allein im Timäus abgehandelt wird) u. Ethik. Bei Aristoteles ist von systematischer Anordnung überhaupt wenig zu verspüren und er selber theilte seine P. hier so u. dort anders ein. Stoiker und Epikuräer blieben äußerlich bei der Eintheilung in Logik, Physik und Ethik, verbanden aber damit ganz abweichende Begriffe. Erst im vorigen Jahrh. kam durch Wolff oder vielmehr durch die Wolffianer eine Eintheilung, welche im allgemeinen noch heute maßgebend ist. Sie betrachteten die formale Logik als Vorschule oder Propädeutik der P. und theilten letztere a) in theoretische P. od. Metaphysik, welche näher die Ontologie, Kosmologie, Psychologie u. natürliche Theologie umfassen sollte; dann b) praktische P., welche wiederum in Ethik, Oekonomik und Politik oder in die Lehren vom Menschen als Mensch, Familienglied u. Staatsbürger zerfällt. Kant theilte seine Kritik der reinen Vernunft in transcendentale Aesthetik, Analytik u. Dialektik, die Kritik der praktischen wiederum in Analytik und Dialektik, endlich die Kritik der Urtheilskraft in die der ästhetischen und teleologischen ab, deren jede wiederum in Analytik und Dialektik zerfällt. Fichte nannte seine theoretische P. Wissenschaftslehre, behandelte die praktische als Rechts-, Sitten- u. Religionslehre; über Hegels Eintheilung s. Bd. III. S. 253. Im Ganzen macht sich jeder selbständigere Philosoph seine eigene Eintheilung und dieselbe wird um so vielästiger ausfallen müssen, je reicher die Entwicklung der Wissenschaften überhaupt sich gestaltet; erst seit dem 18. Jahrh. haben das Naturrecht (Rechts-P.), die P. der Geschichte, der Offenbarung u.s.w., namentlich aber die Metaphysik der Natur (Natur-P.) zu philosophischen Wissenschaften sich emporgearbeitet. Uebrigens ist der Reichthum der philosophischen Speculation weit mehr ein scheinbarer als ein wirklicher; erstens bilden die Religionen, die christliche sowohl u. ihre über die Achsel angeschaute Scholastik als die Häresien und außerchristlichen Religionssysteme die Vorrathskammer philosophischer Ideen, was eine genaue Vergleichung der Geschichte der P. mit der Kirchengeschichte u. außerchristlichen [533] Religionen bald überzeugend darthun würde. Zweitens lassen sich alle philosophischen Grundanschauungen auf die einfachen Gegensätze von Idealismus u. Realismus, Theismus u. Atheismus zurückführen; vgl. Deismus, Empirismus, Monotheismus, Naturalismus, Nominalismus, Pantheismus, Skepticismus u.s.f. Drittens herrschte unter den Philosophen eine wahre Sucht, ganz alltägliche Gedanken in fremde und gelehrt klingende Worte einzukleiden. Träger der philosophischen Entwicklung waren im Alterthume die Griechen, im Mittelalter die Scholastiker, seit der Wiedererweckung der classischen Literatur und somit der hellenischen P. Deutsche, Italiäner, Franzosen u. Engländer, seit dem 18. Jahrh. bis auf die neueste Zeit vorherrschend die Deutschen; eine Uebersicht der bisherigen Geschichte der P. gewähren die Artikel: Griechische, Deutsche, Französische Philosophie, Scholastik, Deismus, Encyklopädisten u. die besondern Artikel über die daselbst angeführten Namen, dazu die Artikel: Bruno Giordano, Campanella, Cardanus, Ficinus, Pomponatius, Vanini; ferner Bacon (Francis), Berkeley, Ferguson (Adam), Hobbes, Hume, Locke, Shaftesbury, Spinoza. Die Lehrbücher der Geschichte der P. sind seit dem Erscheinen von Stanleyʼs (London 1685), Bruckers (1742–44) und Tiedemanns (1794–97) Werken ziemlich zahlreich geworden u. im Ganzen sehr mangelhaft geblieben, namentlich wurden die Kirchenväter und die Scholastik sowie die praktische P. blutwenig berücksichtigt. Die beste und zugleich umfassendste Geschichte der P. bis jetzt lieferte Ritter, Hamburg 1829 bis 1852, 12 Bde.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 532-534.
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