Gauchos

Gauchos

[149] Gauchos (die) machen einen Theil der Bewohner der weiten Ebenen Südamerikas, welche den Namen der Pampas (s.d.) führen, aus.

Die Bewohner der Pampas, zusammen höchstens drei Millionen, bestehen aus zwei ganz verschiedenen Stämmen, den alten, rothen Urbewohnern nämlich, oder Indianern, von welchen wenigstens die nicht zum Christenthume Bekehrten mit den Bekennern dieser Religion oftmals blutigen Streit führen, und den Abkömmlingen der eingewanderten Spanier, welche die Städte verlassen und sich auf das platte Land begeben haben, wo sie sich fast ausschließlich mit Viehzucht beschäftigen. Diese Letztern sind die Gauchos, welche sich durch ihre eigenthümliche Lebensweise, Sitten und Gebräuche von allen übrigen spanischen Kreolen auffallend unterscheiden. Des Gaucho Wohnung ist meistentheils ein in der weiten Ebene einsam liegendes, aus Erdmauern bestehendes Haus, das nur ein einziges großes Zimmer bildet, gewöhnlich mit Rohr gedeckt und oft dermaßen mit widerlichen Insekten angefüllt ist, daß die Familie im Sommer, in Decken gehüllt, unter freiem Himmel schläft. Vom Anbau des Landes ist, mit Ausnahme etwa einiger Quadratruthen urbar gemachten Bodens, in welchem Melonen oder dergleichen Früchte gezogen werden, keine Spur vorhanden. Etwas vom Wohnhause entfernt befindet sich gewöhnlich der Corral, d.h. ein kreisrunder, von einem Erdwalle umschlossener Fleck Landes, in welchem zu gewissen Zeiten des Jahres das Vieh eingeschlossen wird; außerdem ist überall nur Einöde. Der Gaucho, von allem civilisirten Leben entfernt und nur selten einmal mit jemand Anderm, als seines Gleichen in Berührung kommend, ähnelt in seinem ganzen Wesen und Benehmen keineswegs einem Europäer; doch hat er von seinen Stammvätern, den Spaniern, die Sprache, den Stolz und den ungebändigten Muth der Entdecker Amerikas beibehalten. Er kennt als Hirt keinen Luxus und keine Bequemlichkeit des civilisirten Lebens, und ist zugleich der thätigste und lebendigste, wie der trägste aller Menschen. Er läßt es sich nicht verdrießen, ganze Tage lang einem Strauße, wilden Pferde oder Jaguar nachzujagen, hat er aber einmal auf seinem Pferdekopfgerippe, das ihm die Stelle eines Stuhles vertritt, Platz genommen, dann ist nichts vermögend, ihn zum Aufstehen [149] zu bewegen. Sein Hauptgeschäft ist die Abwartung und Besorgung der Viehheerden; sie geben ihm Milch, Butter, Käse, Fleisch, worin nebst Branntwein oder Paraguaythee, seine ganze Nahrung besteht; denn Brot hat er nicht, weil er kein Getreide baut, Gemüse erklärt er für Kuhfutter, und Salz bekommt Mancher sein Leben lang nicht zu sehen.

Der Reichthum des Pampas-Bewohners besteht allein in Viehheerden, deren Gesammtzahl (was wild umherschwärmt, nicht mitgerechnet) man auf mehr als 12 Mill. Stück Rindvieh, 3 Mill. Pferde und eine beträchtliche Anzahl Schafe veranschlagt; eine Annahme, die nicht zu hoch scheint, wenn man bedenkt, daß allein die Engländer in dem einzigen Jahre 1832 nicht weniger als 877,000 Rindshäute und über 2,000,000 Stück Hörner aus dem einzigen Hafen Buenos Ayres ausgeführt haben, und daß auch in Montevideo ein ausgedehnter Handel mit den genannten Artikeln stattfindet. Einzelne begüterte Gauchos halten Heerden von 30 bis 70,000 Stück Vieh, und das manchem derselben zugehörende Weideland hat einen größern Umfang, als manches deutsche oder ital. Fürstenthum.

Jede aus mehren tausend Stück bestehende Heerde wird in Abtheilungen gesondert, über welche Piones oder Unterhirten die Aufsicht führen; diese stehen unter einem Catapaz oder Oberhirten, dem das Ganze untergeben ist. Er wohnt in der Mitte des ihm angewiesenen Weidedistricts und hat in der Nähe seiner Wohnung einen großen Corral, in welchem jährlich einmal die ganze Heerde zusammengetrieben wird, damit er sie dem Besitzer vorführen kann. Alle Gauchos sind, bis auf den letzten Hirtenjungen, von der frühesten Jugend an immerwährend zu Pferde, weshalb ihre Beine insgemein schwach und krumm sind, sodaß ein Gang zu Fuß, der übrigens für entwürdigend gilt, ihnen in der That beschwerlich fällt. Die Zeit vertreibt sich der Gaucho entweder mit Guitarrenspielen und dem Gesange altspanischer Lieder, die sich durch Tradition bei ihnen erhalten haben, oder mit dem Einfangen wilder Pferde, mit der Tigerjagd (es werden jährlich mehr als 2000 Tigerfelle ausgeführt), oder endlich mit dem Kartenspiele, das er leidenschaftlich liebt; denn trifft z.B. ein Gaucho unterwegs einige seines Gleichen, so fodert er sie zu einer Partie auf, hängt den Zaum seines Pferdes über den Arm, zieht sein Messer hervor und steckt es dicht neben sich in die Erde, jeden Augenblick bereit, den Gegner, falls er unredlich spielen sollte, zu durchbohren. Karten trägt Jeder stets bei sich, und nicht selten verspielt Einer binnen wenigen Stunden seine ganze Habe, ohne jedoch sichtbar in üble Laune zu gerathen. Wie die meisten rohen Völker sind auch die Gauchos außerordentlich gastfrei, empfangen jeden Fremden auf's Zuvorkommendste und theilen unverdrossen Monate lang von Dem mit, was sie besitzen. Nie hat sich ein Gaucho so tief herabgewürdigt, einem Andern Geld zu nehmen, allein der lockenden Versuchung, seinem Nachbar ein hübsches Roß zu stehlen, kann er selten widerstehen, und wenn er bereits hunderte von Pferden selbst besäße. Diese Pferdediebstähle geben oft zu den blutigsten Auftritten Veranlassung. Sonst leben sie miteinander im Frieden, aber in häufigen Fehden mit den Indianern, welche oftmals ihre Wohnungen überfallen, alle männlichen Gauchos ermorden, und die Weiber als Beute hinwegführen. In der neuesten Zeit sind jedoch diese Fehden seltener geworden.

Außer dem Dolche und dem Feuergewehre hat der Gaucho zwei in seiner geübten Hand furchtbare Waffen, den Laço und die Bolas. Der Laço oder die Schlinge besteht aus einem Riemengeslechte von ungegerbter Haut, an dessen Ende ein eiserner Ring befestigt ist, durch welchen eine Leine läuft. Der Reiter nimmt die Schlinge in die rechte Hand, und läßt das Seil, nachdem er die Schlinge nach einem Gegenstande, den er fast nie verfehlt, geworfen hat, allmälig nach. Der Bolas oder Kugeln gibt es zwei Arten. Die erstere besteht aus drei kleinen Beuteln von rohem Leder, welche im Wasser erweicht und dann mit Sand gefüllt werden. Nachdem man sie in der Sonne getrocknet hat, werden diese Beutel oder Kugeln steinhart und halten gewöhnlich ein Paar Zoll im Durchmesser. An die Kugeln werden drei Fuß lange Riemen geknüpft, deren Enden durch einen Knoten miteinander verbunden werden. Der Reiter faßt eine Bola in die Hand, schwingt die beiden andern mit aller Kraft über dem Kopfe und läßt sie dann los. [150] Sie erreichen dann in beständig kreisender Bewegung den Gegenstand, welchen der Gaucho zum Ziele genommen, und schlingen sich um Leib oder Beine desselben so fest, daß derselbe zu Boden stürzt und seine Beute wird. Die zweite Art der Bolas besteht aus einem einzigen, mit Blei ausgegossenen Beutel, der in ähnlicher Weise geschleudert wird. Die Gauchos bekennen sich zwar zum Christenthum, doch glauben die meisten das Heil ihrer Seele schon gerettet, wenn ihre Gebeine in geweihte Erde kommen, welches zu bewerkstelligen die heilige Pflicht der Hinterlassenen ist.

Außer den Hirten lebt in den Pampas noch ein Schlag Menschen, denen selbst die leichte Arbeit des Viehhütens zu lästig ist und die ein reines Vagabondenleben führen. Sie stehlen Pferde und verkaufen dieselben meist nach Brasilien. An Lebensmitteln fehlt es nicht, weil die wilden Heerden zahlreich sind. Mehr als einmal haben diese Menschen sogar Weiber aus der Hauptstadt Buenos Ayres geraubt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 149-151.
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