Kunstakademien

[808] Kunstakademien, Kunstschulen höherer Art, auf denen alles, was zum technischen und praktischen Unterricht des bildenden Künstlers notwendig ist, gelehrt und durch die jeder Kunstschule unentbehrlichen technischen Hilfsmittel (Vorzeichnungen, Gipsabgüsse etc.) geübt wird. Die Kunstschulen neuerer Art entstanden, nachdem die Werkstätten und Meisterateliers, die besonders im 16. Jahrh. blühten, allmählich eingegangen waren. Am frühesten finden sich solche Kunstschulen, als Tradition der alten Malerschulen, in Italien, und zwar als Congregationes, d. h. freie Vereinigungen von Künstlern zum Zweck gegenseitiger Förderung und Ausbildung. Zwar gab es in Italien schon im 13. Jahrh. eine Malervereinigung zu einem solchen Zweck, wie sich ihn die K. gegenwärtig setzen, nämlich die in Venedig 1290 statutenmäßig begründete Zunft des heil. Lukas; doch führte sie ebensowenig wie die um 1339 zu Florenz gestiftete und 1386 ebenfalls statutenmäßig begründete Malergesellschaft des heil. Lukas den Namen einer Akademie. Diesen Namen erhielt sie erst 1571 unter Cosimo I. Die Begründung der Akademie in Mailand, als deren Stifter Leonardo da Vinci genannt wird, fand um 1494 unter dem Herzog Lodovico Sforza statt. Die Accademia di San Luca in Rom stammt aus der Zeit Gregors XIII., welcher der alten Universität der schönen Künste diesen Titel gab. Federigo Zucchero schrieb ihre Geschichte (1604). Drei Jahre später wurder. neue Statuten entworfen, die von Gregor XV. (1621) und Urban VIII. (1627) reformiert wurden. Napoleon I. wies ihr bestimmte Einkünfte an. Die K. in Bologna, Parma, Padua, Mantua, Turin, Ravenna, Verona, Neapel, Genua, Carrara, Pisa u. a. sind neuern Ursprungs. Sie haben nie größere Bedeutung erlangt. Eine andre Bedeutung als die einer Lehranstalt für angehende Künstler hat die 1648 gestiftete Akademie in Paris. Sie ist lediglich (analog den Akademien der Wissenschaften) eine Vereinigung von bedeutenden Künstlern, die zu »Akademikern« ernannt werden. Neben ihr besteht daher noch unter dem Titel Ecole des beaux-arts eine Kunstschule im Sinne der deutschen Akademien. Die Pariser Akademie bestand zuerst aus Malern, Colbert dehnte sie auch auf Architekten aus. Ein Zweig der Pariser Akademie ist die französische Akademie in der Villa Medici zu Rom, in der sich die mit dem römischen Preis ausgezeichneten Künstler, auch Musiker, vier Jahre lang zum Studium unter Aussicht eines Direktors aufhalten dürfen.

In Deutschland wurde die erste Kunstakademie von Sandrart 1662 in Nürnberg gestiftet. Sie gelangte durch die Künstlerfamilie Preißler zu neuem Ruf, erhielt[808] sich aber aus Mangel an Mitteln nur mühsam und wurde deshalb 1818 in eine Provinzialkunstschule umgewandelt. Die Akademie in Berlin wurde 1694 gestiftet, aber erst 1696 organisiert und 1786, 1875 und 1882 neu organisiert, die in Dresden 1705 als Malerschule gestiftet und 1764 auf Bildhauer, Architekten und Kupferstecher erweitert. Die Kunstakademie in Kassel wurde 1774 von Landgraf Friedrich II. gestiftet und 1879 neu organisiert. Die Kunstakademie in Leipzig wurde 1764 gegründet und 1871 mit Ausdehnung auf das Kunstgewerbe reorganisiert. Die Kunstakademie in Königsberg wurde 1845 gegründet. Neben diesen K. existieren in Deutschland Kunstschulen, die zum Teil auch die Ziele von Kunstgewerbeschulen (s. d.) verfolgen. Solche Kunstschulen gibt es in Berlin, Breslau, Danzig, Frankfurt a. M., Karlsruhe (1893 zur Kunstakademie erhoben), Stuttgart und Weimar. Die Akademie in Wien wurde 1692 von Kaiser Leopold I. begründet; 1872 erhob sie Kaiser Franz Joseph unter Reorganisation der Statuten zu einer »Hochschule der Kunst«. Den bedeutendsten Einfluß erlangten die K. in München und in Düsseldorf, von denen die erste 1770 gestiftet und 1808 vom König Maximilian I. neu begründet, die andre 1767 gestiftet und 1822 von Friedrich Wilhelm III. erneuert wurde. – Die Akademie der Malerei in Madrid entstand 1752, außer ihr befinden sich noch in Barcelona, Sevilla, Valencia K.; London erhielt eine solche erst 1768, Edinburg bereits 1754. Die Niederlande haben in Brüssel, Antwerpen, Amsterdam und Brügge höhere Kunstanstalten; Stockholm hat eine Akademie der schönen Künste seit 1730, Kopenhagen seit 1738; die in Petersburg entstand 1757 und ward 1764 erweitert.

Wenn man von der Bedeutung der Kunstakademie als einer aus Meistern (Akademikern) bestehenden Verbindung, wie die zu Paris, London etc., absieht und nur ihre hauptsächlich in Deutschland übliche Stellung als höhere Kunstlehranstalt in Betracht zieht, so ist zu bemerken, daß ihre Organisation (Lehrplan), bei sonstigen lokalen Verschiedenheiten, drei Abteilungen enthält, die wieder in verschiedene Klassen zerfallen, nämlich: 1) die Elementarabteilung, worin hauptsächlich Zeichenunterricht nach Vorlegeblättern gegeben wird; 2) die Vorbereitungsklasse (Gipszeichnen, Zeichnen nach der Natur, Aktzeichnen, Komposition und Gewandung, Anatomie, Perspektive, Ästhetik und Kunstgeschichte); 3) praktische Klasse (Malen, Modellieren, Radieren und Kupferstechen), wozu meist noch ein Atelierunterricht als letzter Kursus hinzukommt. Bei manchen Akademien (Düsseldorf, Wien, Berlin) ist damit noch eine Klasse für Architektur und (Berlin) für Musik verbunden. In Düsseldorf und Berlin stehen mit den K. Meisterklassen und-Ateliers in Verbindung. Früher veranstalteten einige deutsche K. periodische Kunstausstellungen (s. d.) von Werken lebender Künstler des In- und Auslandes, ganz unabhängig von ihrer Stellung als Lehranstalten. Nach der Reorganisation der großen Berliner Kunstausstellung haben diese Ausstellungen in Preußen aufgehört, und die Berliner Akademie veranstaltet nur noch gelegentliche Ausstellungen von Werken ihrer Mitglieder. Die oberste Behörde der K. bildet der Senat, bestehend aus Präsident oder Direktor und Senatsmitgliedern, meist Professoren der Akademie; außerdem zählen dazu noch ordentliche und außerordentliche Mitglieder, von denen die erstern eine Art Kollegium außerhalb des Senats bilden. K. für Musik sind die Konservatorien (s. Konservatorium). Vgl. »Kunsthandbuch für Deutschland« (6. Aufl., Berl. 1904); »Handbuch der Kunstpflege in Österreich« (3. Aufl., Wien 1902); Woermann, Die alten und die neuen K. (Düsseld. 1878) und Zur Geschichte der Düsseldorfer Kunstakademie (das. 1880); v. Lützow, Geschichte der k. k. Akademie der bildenden Künste (Wien 1877); Nieper, Die königliche Kunstakademie und Kunstgewerbeschule in Leipzig (Leipz. 1881); H. Müller, Die königliche Akademie der Künste zu Berlin 1696–1896 (Berl. 1896, Bd. 1); »Chronik der königlichen Akademie der Künste in Berlin« (erscheint seit 1893 jährlich); Öchelhäuser, Geschichte der großherzoglich badischen Akademie der bildenden Künste (Karlsr. 1904); Franchi-Verney della Valetta, L'académie de France à Rome 1666–1903 (Turin 1903); Graves, The royal Academy of arts, a complete dictionary of contributors and their works, 1769 to 1904 (7 Bde., Lond. 1905 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 808-809.
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