Colbert

[216] Colbert (spr. -bǟr), Jean Baptiste, franz. Finanzminister, geb. 29. Aug. 1619 in Reinis, gest. 6. Sept. 1683, Sohn eines mäßig begüterten Kaufmanns, wurde von Mazarin als sein Vermögensverwalter angestellt. Als solcher wußte er trefflich für sich selbst, aber zugleich mit solchem Scharfsinn und so skrupelloser Ergebenheit für die finanziellen Interessen seines Patrons zu sorgen, daß dieser auf dem Sterbebette ihn Ludwig XIV. empfahl. Von diesem zum Finanzkontrolleur ernannt, führte er durch schonungslose Enthüllungen und Verdächtigungen 1660 den Sturz des Oberintendanten der Finanzen, Fouquet, herbei. C. trat dessen Amt an, wurde 1669 Oberintendant der königlichen Bauwerke, der schönen Künste und Fabriken, später auch Marineminister. C. ist als der eigentliche Schöpfer der französischen Kriegsflotte zu betrachten, indem er einerseits die Konskription der seemännischen Bevölkerung einführte, anderseits die Zahl der Kriegsfahrzeuge bis auf 300 erhöhte und endlich eine vorzügliche Instruktion für diese ausarbeitete. Nicht minder hob er durch scharfe Überwachung der Finanzbeamten und Steuerpachter sowie durch geschickte Veranlagung der Abgaben die französischen Finanzen auf eine Höhe (110–112 Mill. Livre jährlich), die damals kein andrer Staat erreichte. Freilich wurden diese Ergebnisse durch steigende Leiden des Volkes erkauft, dessen Unwille über die unerträgliche Anziehung der Steuerschraube sich in wiederholten Aufstanden mehrerer Provinzen kundgab. Am meisten litt die Landbevölkerung unter Colberts Verwaltungssystem. Seinen merkantilistischen Anschauungen getreu, drückte er jene zugunsten des Gewerbes und Handels durch Verbot der Einfuhr fremder Industrieerzeugnisse (Zolltarif von 1667) und der Ausfuhr aller Arten von Rohstoffen, ja durch niedrige Regulierung der Getreidepreise. Für die Industrie Frankreichs hat C. im ganzen fördernd und anregend gewirkt, allerdings mehr für die Großindustrie. Besondere, einsichtige Sorgfalt wandte er dem tief daniederliegenden französischen Seehandel zu und erhob die französische Handelsmarine zur dritten der Welt. Nach damaliger Siite gründete erzahlreiche vom Staat unterstützte Gesellschaften, die ein Monopol für den Handel mit fremden Erdteilen erhielten; die wichtigste von ihnen war die Ostindische Kompagnie (gegründet 1664). Überhaupt arbeitete er mit regem Eifer an der Ausdehnung des französischen Kolonialreiches. Ebenso löblich waren Colberts Bemühungen für Verbesserung der Verkehrsmittel, besonders der Landstraßen und Wasserwege. Nicht minder zentralisierend wie auf dem Gebieke des Verkehrs zeigte sich C. auf dem der Verwaltung; er entkleidete die hochadligen Provinzialgouverneure aller ihnen noch gebliebenen administrativen Befugnisse, die er den bürgerlichen, von ihm völlig abhängigen und mit den weitestgehenden Vollmachten ausgerüsteten Intendanten übertrug.[216] Ebenso wurde die Gewalt der Parlamente systematisch beschränkt; durch die königliche Polizei wurde namentlich die Hauptstadt im Zaume gehalten. An der Verwirklichung aller dieser Ideen, die C. dem Königtum und dem Lande für ersprießlich hielt, arbeitete er unermüdlich (15 Stunden jeden Tag), scharfsinnig, kenntnisreich und ausdauernd. In religiöser. Beziehung war er aufgeklärt, ein Feind pfäffischer Übermacht. Außer für materielle Interessen sorgte C. auch für Kunst und Wissenschaft; er stiftete 1663 die Akademie der Inschriften und 1666 die der Wissenschaften, errichtete 1671 die Bauakademie, reformierte die Malerakademie, begründete für sie in Rom eine französische Schule, unterstützte Gelehrteund Astronomen, gründete den botanischen Garten und die Sternwarte zu Paris, ließ unter Cassinis Leitung die große Vermessung Frankreichs vornehmen, sammelte Kunstschätze und bereicherte die königliche Bibliothek. Als er aber sich endlich wiederholt genötigt sah, der Verschwendung und Prachtliebe des Königs entgegenzutreten, fiel er bei diesem in Ungnade, so daß Ludwig XIV. ihn nicht einmal auf seinem Sterbelager besuchte. C. hinterließ ein Vermögen von 10 Mill. und den Titel eines Marquis de Seignelay, der auf seinen ältesten Sohn überging, der später die Verwaltung der Marine erhielt. Interessant ist das von C. eigenhändig entworfene »Mémoire pour son fils, sur ce qu'il doit observer pendant le voyage qu'il va faire à Rochefort«. Vgl. Clément, Lettres, instructions et mémoires de C. (Par. 1862–73, 7 Bde.; Nachtrag 1882); Derselbe, Histoire de C. et de son administration (3. Aufl., das. 1892, 2 Bde.); Neymarck, C. et son temps (das. 1877, 2 Bde.); Dussieux, Étude biographique sur C. (das. 1886); de Cosnac, Mazarin et C. (das. 1892); Hecht, Colberts politische und volkswirtschaftliche Grundanschauungen (Freib. 1898); Benoit du Rey, Recherches sur la politiques coloniale de C. (Par. 1902). – Sein jüngerer Bruder, Charles, Marquis von C.-Croissy, trat in den diplomatischen Dienst, war Gesandter in England und auf dem Nimwegener Friedenskongreß und erhielt später durch die Maintenon das Ministerium des Auswärtigen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 216-217.
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