Here

[266] Here (lat. Juno), die Himmelskönigin, Tochter des Kronos u. der Rhea, älteste Schwester u. Gemahlin des Zeus, wurde nach ihrer Geburt von ihrem Vater verschlungen, aber durch ein Brechmittel ihm wieder entrissen u. von Okeanos u. Tethys, od. nach anderer Sage von den Horen, od. den Nymphen erzogen. Argos (daher ihr Beiname Argeia, Argiva), Stymphalos u. Samos (daher ihr Beiname Samia) rühmten sich, ihr Geburtsort zu sein. Sie repräsentirt die weibliche Seite des Himmels, die Luft, die Atmosphäre u. wird als Gemahlin des Zeus segensreich u. die Erde befruchtend, unter den Menschen selbst Ehen stiftend gedacht, im ehelichen Zerwürfniß mit Zeus aber als furchtbar, finster, verderbend. Nach argivischer Sage soll Zeus als Kukuk bei einem Sturmwetter auf ihren Schoos geflogen, von ihr mitleidig aufgenommen u. an ihrem Busen erwärmt worden sein, dann sich in seiner wahren Gestalt geoffenbart u. durch ein Ehegelöbniß ihre Liebe gewonnen haben. Auf Kreta wurde die Ehe vollzogen, u. ein Tempel bezeichnete später die Stätte, wo dies geschehen war; jährlich im Frühlinge wurde in demselben geopfert u. jene Vermählung mimisch dargestellt. Daß aber ein Hauptzug im Charakter der H. Hader u. ehelicher Widerspruch ist, war die natürliche Folge sowohl davon, daß ihre ganze Bedeutung die des ehelichen Verhältnisses zum Zeus ist, als auch die der Eigenthümlichkeiten des griechischen Himmels, wo sich Regen u. Sturm mit heftiger u. plötzlicher Gewalt entwickeln. So gilt die Ehe des Zeus u. der H. im Alterthum als ein Muster von Ausschweifung u. Aufbrausen auf der einen, von Eifersucht, Streit u. List auf der anderen Seite. Die Geschichten der Leto, Jo, Kallisto, Europa, Semele, Alkmene, Galinthias, Danae (s.d. a.) u. A., deren Gunst Zeus genoß, sprechen hiervon. Durch Trotz u. Scheltworte wollte sie ihren Gemahl fast immer züchtigen, aber gewöhnlich mußte sie dafür harte Bußen erleiden, u. als sie einst mit Hülfe des Boreas dem Hercules auf dem Meere übel mitgespielt hatte, band ihr Zeus zwei Ambose an die Füße u. ließ sie so frei vom Olymp herabhängen. Ein anderes Mal aber verband sich H. mit Poseidon u. Athene, um den Zeus zu fesseln, u. es wäre ihnen gelungen, wenn nicht Thetis den Meeresriesen Ägäon zu Hülfe gerufen hätte. Dagegen war Zeus zärtlich, als sie mit dem Zaubergürtel der Aphrodite sich ihm auf dem Ida nahte, um ihn in einen Zustand zu bringen, daß er die Einmischung der Götter in den troischen Kampf nicht sehen sollte. H. war schön, deshalb kennte sie mit Athene u. Aphrodite vor den Paris treten; Dichter rühmen ihr großes, gebietendes Auge (daher ihr Beiname Boopis, Ochsen-, Großäugige, Andere deuten diesen Beinamen auf die am Himmel weidenden Wolken), ihren stolzen Wuchs, erhabenen Gang, weißen Arm (daher ihr Beiname Leukolenos, Weißarmige), sie war darauf eifersüchtig, dennoch wollte sie nur bewundert, nicht geliebt sein (s. Prötiden, Side, Porphyrion, Aloiden, Ixion). Ein Zug ihres Stolzes als Weib ist auch der, daß sie den Tiresias mit Blindheit strafte, weil er behauptete, daß das weibliche Geschlecht beim Genuß der physischen Liebe mehr Vergnügen empfinde als das männliche. Als Gemahlin des. Zeus war sie Königin des Himmels u. der Götter (daher Regina genannt), die ehrwürdigste u. verehrteste unter allen Göttern des Olympos; sie thront auf goldenem Sessel neben Zeus (daher ihr [266] Beiname Chrysothronos, die Goldthronige), gebietet auch, wie dieser, über die himmlischen Erscheinungen; sie sendet Stürme, Nebel, Donner, Blitz u. leitet die Bahn des Helios. Als ehrwürdige u. keusche Matrone war sie Göttin der Ehe, daher ihre Beinamen: Zygia (Juga, Verknüpferin), Pronuba (Hochzeitmutter), Teleia (die Ehe Weihende), Adulta, Gamelia, Cinxia (weil die Bräute beim Ablegen des Gürtels am Hochzeitsabende u. vorher beim Einzug in des Bräutigams Haus, zu ihr beteten), Domiduca (weil sie beim Heimführen der Braut angerufen wurde), auch Fluonia als Vorsteherin der weiblichen Menstruation; u. in Sparta Ägophagos (Ziegenfresserin), weil ihr Hercules nach der, nicht von ihr verhinderten Besiegung der Söhne Hippokoons eine Ziege opferte; in Rom stand sie auch als Lucina den Geburten vor. Als Schutzgöttin der Frauen überhaupt galt sie auch als Genius jeder einzelnen Frau, daher hatte man mehrere Schutzgöttinnen der Art, Junones, u. Matronen pflegten bei ihr zu schwören. Zu Rom hieß H. auch Moneta als Münzgöttin. Der H. rechtmäßige Kinder sind Ares, Typhon, Hebe, Eileithyia, nur den Hephästos (s.d.) erzeugte sie aus eifersüchtigem Trotz aus sich selbst, doch brachte sie nach Anderen auch den Typhon aus sich selbst hervor. Die Orte ihrer Verehrung waren vorzüglich Argos, Korinth, Sparta, Mykenä, Samos, Arkadien (besond. Stymphalos, Mantinea, Megalopolis, Heräa), Elis, Olympia, Koronea, Jolkos, Böotien (Thespiä, Platää), Euböa, Kreta, das Vorgebirge Lacinium in Unteritalien (daher Lacinia genannt), Kroton, Pandosia, Sybaris, Metaponum, Carthago. Ein berühmter Tempel der H. (Heräon) stand auch am Fuße des Berges Euböa zwischen Mykene u. Argos u. gehörte den beiden Städten gemeinschaftlich. Ihre Feste (Heräa) wurden zu Argos bes. durch Processionen von Frauen, welchen die erste Priesterin auf einem, mit weißen Stieren bespannten Wagen vorfuhr, gefeiert (dgl. Kleobis); doch kamen auch kriegerische Spiele der Männer (daher ihr Beiname Hoplosmia) in ihrem Culte vor, so das ritterliche Spiel mit dem Preise des heiligen Schildes, für dessen Stifter Lynkeus galt. In Elis u. Olympia fanden sie alle 4 Jahre Statt; 16 Matronen mußten für sie ein kostbares Gewand weben; Jungfrauen liefen um Preise. Zu Korinth, wo sie als Burgherrscherin (Akraia) verehrt wurde, war ihr Fest eine Todtenfeier für die Kinder der Medea, welche in ihrem dasigen Tempel begraben lagen. Als Gottheit ersten Ranges wurde sie zu Rom mit Jupiter u. Minerva auf dem Capitol (daher Capitolina genannt) verehrt, vornehmlich von den Frauen, als Ehegöttin. Heilig war ihr das Gras, das Lamm u. bes. der Pfau, in dessen Schweif sie die 100 Augen des getödteten Argos (s.d.) gesetzt hatte; unter ihrem Schutze standen die Thore. Ihr waren der attische Monat Gamelion u. in Rom alle ersten Tage jedes Monats u. der ganze Junius geweiht. Ihre Attribute sind Diadem, Scepter u. Pfau, Bogen, Fackel. Dargestellt wurde H. auf einem Throne sitzend entweder als Braut verschleiert od. als Braut prächtig gekleidet, mit weitem, faltigem Peplos, auf dem Haupte die Kopfbinde od. der Modius od. Polos; in der Hand einen Granatapfel. Bes. berühmt war die Statue des Polyklet von Gold od. Elfenbein im Heräon bei Mykenä, welche die H. auf einem Throne sitzend darstellte, ihre Krone mit den Chariten u. Horen verziert, in der einen Hand den Granatapfel, in der anderen das Scepter, auf welchem der Kukuk saß. Auch Kallimachos, Alkamenes u. Praxiteles (letzter für die Tempel zu Mantinea u. Platää) hatten Statuen der H. gefertigt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 266-267.
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