Radierung

[554] Radierung (Radierkunst), eine Art der vervielfältigenden Kunst, deren technische Verfahren und ältere Geschichte beim Artikel »Kupferstecherkunst« (S. 841 ff.) behandelt worden sind. In neuerer Zeit hat die R. wegen ihrer leichtern und raschern Handhabung und ihrer malerischen Wirkung auch als reproduzierende Technik einen großen Aufschwung genommen und dem Linienstich den Rang abgelaufen. Besonders Hervorragendes haben die Franzosen Flameng und Waltner, zu dessen Schülern auch der ausgezeichnete Deutsche K. Koepping gehört, der in Berlin ansässige A. Krüger und der in Wien wirkende W. Unger (s. d.) geleistet, der ganze Galerien radiert und ebenfalls zahlreiche Schüler gefunden hat. Doch tun die von Jahr zu Jahr vervollkommten mechanischen Verfahren der R. als reproduzierender Kunst immer mehr Abbruch. Als der erste große Maler radierer der modernen Kunst hat der Franzose Ch. Méryon (1821–68) zu gelten, dessen Ansichten aus dem alten Paris in der geistreichen Wiedergabe des Architektonischen und der Luftwirkung unübertroffen geblieben sind. Von den ältern französischen Künstlern, die sich neben ihm dauernd oder nur gelegentlich der R. gewidmet haben, sind Bracquemond, Millet, Daubigny, Jacque, Manet, von den lebenden Besnard, Hellen, Raffaelli, Lepère hervorzuheben. Ende der 50er Jahre des 19. Jahrh. veröffentlichten auch der englische Arzt Seymour-Haden und sein Schwager Whistler, der bedeutendste aller modernen Radierer, ihre ersten Werke. Unter ihrem Einfluß und dem des früh nach England ausgewanderten Franzosen Legros steht auch die heutige, mit Cameron, Strang, Muirhead Bone, Brangwyn u. a. an der Spitze in hoher Blüte befindliche englische Radierkunst. In Deutschland begann der Aufschwung erst in der Mitte der 1880er Jahre mit Peter Halm, Stauffer-Bern, Klinger, E. M. Geyger, denen sich Liebermann, Kalckreuth, später der Wiener Schmutzer, der Dresdener O. Fischer, die Berlinerin K. Kollwitz, der Prager Orlik u. a. anschlossen. Von der außerordentlichen Verbreitung der Malerradierung im heutigen Deutschland legen die Vereine für Originalradierung in München, Berlin, Karlsruhe etc. Zeugnis ab. Aus den übrigen Ländern sind der Belgier Rops, die Holländer Israëls, Storm van's Gravesande, Bauer und der Schwede Zorn zu nennen. Vgl. Lützow, Die vervielfältigenden Künste der Gegenwart, Bd. 3: Die R. (Wien 1893); Singer, Der Kupferstich (Bielef. 1904); Beraldi, Les graveurs du XIX. siècle (Par. 1885–1892, 12 Tle.); Roller, Die Technik der R. (2. Aufl., Wien 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 554.
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