Klinger

[142] Klinger, 1) Friedrich Maximilian von, deutscher Dichter, geb. 17. Febr. 1752 (nicht 1753) in Frankfurt a. M. als Sohn eines Stadtartilleristen, gest. 25. Febr. 1831 in Dorpat, verlor früh seinen Vater, der die Seinigen in den dürftigsten Umständen zurückließ, half sich durch eignen Fleiß und Energie weiter, besuchte bis 1772 das Frankfurter Gymnasium und trat in Beziehung zu Goethe und dessen Freundeskreise. 1774 ging er nach Gießen, um die Rechte zu studieren. Viel eifriger als mit diesen beschäftigte er sich indes mit schöner Literatur. Im Sommer 1776 ging er zu Goethe nach Weimar, im Oktober nach Leipzig als Theaterdichter der Seilerschen Truppe, mit der er bis Februar 1778 umherreiste. Alsdann lebte er einige Zeit auf Reisen durch Deutschland, machte als österreichischer Leutnant den Bayrischen Erbfolgekrieg mit und ging 1780 in russische Dienste nach Petersburg. Er erhielt 1780 eine Offizierstelle und zugleich den Adelsrang, ward bald darauf Hofmeister bei dem damaligen Großfürsten Paul und begleitete denselben auf einer Reise durch fast ganz Europa. Er stieg unter den Kaisern Paul und Alexander I. in militärischen Würden rasch empor, verheiratete sich 1790 mit einer natürlichen Tochter der Kaiserin Katharina und wurde 1798 Generalmajor, 1811 Generalleutnant. 1803 wurde er zum Kurator der Universität Dorpat ernannt, welche Stelle er bis 1817 bekleidete. 1820 suchte er um Enthebung von allen seinen Ämtern nach, zog sich aber erst 1830 ganz zurück. Von Klingers zahlreichen dramatischen Werken, die meist in die erste Hälfte seines Lebens fallen, heben wir hervor das Trauerspiel: »Die Zwillinge« (verfaßt 1775), in dem, wie in so vielen Dramen der Geniezeit, ein feindliches Brüderpaar im Mittelpunkte der Handlung steht, und das 1776 bei dem sogen. Schröderschen Preisausschreiben den Vorzug vor Leisewitzens »Julius von Tarent« erhielt. Von dem wild verworrenen renommistischen Schauspiel »Sturm und Drang« empfing die ganze Epoche, in der es entstand, den Namen (s. Deutsche Literatur, S. 703 f.). Außer den Dramen (gesammelt als »Theater«, Riga 1786–87, 4 Bde., und »Neues Theater«, Leipz. 1790, 2 Bde.) veröffentlichle K. eine Anzahl meist derb-realistischer Romane, in deren ausgedehnten Reflexionen seine Verehrung für Rousseau stark zur Geltung kommt: »Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt« (Petersb. 1791), »Geschichte Giafars, des Barmeciden« (das. 1792), »Geschichte Raphaels de Aquilas« (das. 1793), »Reisen vor der Sündflut« (Riga 1795), »Geschichte eines Deutschen der neuesten Zeit« (Leipz. 1798), »Der Faust der Morgenländer« (Riga 1797), »Der Weltmann und der Dichter«, sein bestes Werk, eine Leistung voll Kraft und psychologischer Feinheit (Leipz. 1798), und »Sahir, Evas Erstgeborner im Paradies« (das. 1798). Die Summe seiner Welt- und Lebenserfahrung hat er in aphoristischer Form niedergelegt in den inhaltschweren »Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und Literatur« (1803–05). Eine Sammlung des Besten seiner Werke hat K. selbst veranstaltet (Königsb. 1809–15, lu Bde.; neue Ausg., Stuttg. 1842, 12 Bde.); eine andre Auswahl erschien in 8 Bänden (Stuttg. 1878–80). Vgl. Erdmann, Über F. M. Klingers dramatische Dichtungen (Königsberg 1877); E. Schmidt, Lenz und K., zwei Dichter der Geniezeit (Berl. 1878); M. Rieger, Friedr. Maxim. K. Leben und Werke (Darmst. 1880–97, 2 Bde.); L. Jacobowski, K. und Shakespeare (Dissertation, Freiburg 1891).

2) Max, Maler, Radierer und Bildhauer, geb. 18. Febr. 1857 in Leipzig, begann 1874 seine Studien auf der Kunstschule in Karlsruhe, wo er sich an Gussow anschloß, und ging mit diesem 1875 nach Berlin, wo er seine Studien auf der Kunstakademie fortsetzte und sich nebenbei auf eigne Hand als Radierer ausbildete. 1878 debütierte er auf der akademischen Kunstausstellung mit einem Ölgemälde: Spaziergänger, und[142] einem in Radiermanier ausgeführten Zyklus von acht Federzeichnungen unter dem Titel: »Ratschläge zu einer Konkurrenz über das Thema Christus«, die später für die Nationalgalerie angekauft wurden. In den folgenden Jahren (1879–86) beschäftigte er sich fast ausschließlich mit zyklischen Darstellungen in Federzeichnung und Radierung, deren Motive eine Verbindung von dämonischer Phantastik, romantischer Erfindung und stark naturalistischer Form bilden. Klingers Hauptwerke dieser Art sind: Die Rettungen Ovidischer Opfer (1879), die Illustrationen zu der Fabel von Amor und Psyche, Eva und die Zukunft (1880), die Geschichte eines Handschuhs (1881), ein Capriccio, Dramen (Nacht- und Schreckensszenen aus einer Großstadt), Intermezzi, ein Leben, eine Liebe, vom Tode (1889). Zu größerer Klarheit und Reise in der Zeichnung, Komposition und technischer Behandlung, zu reinerm Schönheitsgefühl und zu großer Kraft des Ausdrucks erhob er sich in den 1894 vollendeten Blättern zur »Brahms-Phantasie« (41 Stiche und Steinzeichnungen). K. hat auch einige Landschaften von Böcklin und gelegentlich auch Bücherzeichen (s. Tafel »Bücherzeichen II«, Fig. 10) radiert. Seine Technik als Radierer ist gewandt und geistreich. Er verbindet bisweilen die Radiernadel mit dem Grabstichel, versteht aber auch mit letzterm allein eine an die Zartheit der Radierung heranreichende Wirkung zu erzielen. Nachdem er 1883 etwa fünfzig dekorative, zum Teil von Böcklin beeinflußte Malereien für eine Villa in Steglitz bei Berlin ausgeführt (sieben davon jetzt in der Nationalgalerie zu Berlin, sieben andre in der Kunsthalle zu Hamburg), wandte er sich auch der Malerei großen Stiles mit einem 1887 vollendeten Gemälde mit lebensgroßen Figuren: das Urteil des Paris, zu, auf dem er die Malerei mit der polychromierten Plastik der Umrahmung zu verbinden suchte (seit 1901 in der modernen Galerie in Wien). Auf Grund eines eindringenden Studiums der italienischen Meister des 15. Jahrh., die er in Florenz und Rom kennen lernte, entstanden später eine Pieta, die Beweinung des Leichnams Christi durch Maria und Johannes (1893, in der Dresdener Gemäldegalerie), eine figurenreiche Kreuzigung Christi, die wegen ihrer naturalistischen Behandlung viel Widerspruch hervorrief, und die blaue Stunde (drei nackte Mädchen auf einer Klippe am Meeresstrand, im städtischen Museum zu Leipzig), ein Beleuchtungsexperiment in der Art der modernen französischen Naturalisten. 1897 vollendete er das große Bild: Christus im Olymp, dessen plastischer, polychrom durchgeführter Rahmen mit Relieffiguren die gemalte Darstellung erweiterte und erläuterte (seit 1901 in der modernen Galerie zu Wien). Seit dem Anfang der 1890er Jahre hatte sich K. auch mit der Bildhauerkunst beschäftigt, der er sich in neuester Zeit ausschließlich gewidmet hat. Außer einigen kleinern Bildwerken schuf er zunächst zwei lebensgroße Halbfiguren in völlig polychrom behandeltem Marmor: eine moderne Salome mit zwei Köpfen ihrer Opfer (1893, im städtischen Museum zu Leipzig) und eine Kassandra (ebendaselbst, s. Taf. »Bildhauerkunst XIX«, Fig. 6), in denen zugleich der Schwerpunkt auf die Charakteristik gelegt war. Diese Bestrebungen Klingers fanden ihren Höhepunkt in der 1902 vollendeten, auf einem reich mit Bildwerk verzierten Bronzesessel thronenden Marmorfigur Beethovens (im städtischen Museum zu Leipzig, vgl. darüber die Schriften von Mongré [Leipz. 1902], Schumann [das. 1902], Elsa Asenijeff [das. 1902] und Mantuani [Wien 1902]). Formale Probleme behandelte K. in den Marmorfiguren eines im Bade kauernden Mädchens (1898, im städtischen Museum zu Leipzig) und einer Amphitrite (1899, in der Berliner Nationalgalerie). In der 1904 vollendeten Marmorgruppe: Drama (im Auftrag der Tiedgestiftung ausgeführt und für das Albertinum in Dresden bestimmt) tritt neben der Virtuosität in der Formenbehandlung wieder mehr die Kraft und Tiefe der Charakteristik hervor. Er hat auch mehrere Porträtbüsten geschaffen (Büste Liszts im Gewandhaus zu Leipzig). K., der seit 1884 Mitglied der Berliner Akademie ist, lebt in Leipzig. Er schrieb: »Malerei und Zeichnung« (3. Aufl., Leipz. 1899). Vgl. »Max K., Radierungen, Zeichnungen, Bilder und Skulpturen des Künstlers« (61 Tafeln mit Text von Meißner, Münch. 1896, Nachtrag 1901) und die Biographien von J. Vogel (Leipz. 1897), F. Slern (Berl. 1898), Max Schmid (Bielef. 1899), Meißner (2. Aufl., Berl. 1899), Händcke (Straßb. 1899) und Brieger-Wasservogel (Leipz. 1902); ferner Avenarius, Klingers Griffelkunst (Berl. 1895); Treu, K. als Bildhauer (Leipz. 1900); J. Vogel, M. Klingers Leipziger Skulpturen (2. Aufl., das. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 142-143.
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