Finanzkontrolle

[570] Finanzkontrolle, internationale, Kontrolle der Finanzverwaltung und-Gebarung finanziell zerrütteter Staaten durch international gemischte Kommissionen zum Schutze der Staatsgläubiger (in erster Linie der auswärtigen) gegen den Staatsbankrott (s.d.). Die F. ist eine ganz neue Einrichtung. Bis in die neueste Zeit gab es nur nationale, d. h. innerstaatliche, aus inländischen Mitgliedern zusammengesetzte Finanzkontrollkommissionen, wie ständische Ausschüsse, Staatsschuldentilgungskommissionen etc. Die enorme Ausdehnung des Verkehrs mit Staatspapieren und die intensive Beteiligung der Privatvermögen zugunsten auswärtiger Staaten in der Gegenwart einerseits, die oft durchaus unzulängliche Handhabung der Finanzwesen in manchen Staaten anderseits, haben Maßregeln zum Schutze der bedrohten Staatsgläubiger nahegelegt. Ihre praktische Gestaltung war aber um so schwieriger, als sie nach der heutigen Auffassung vom Wesen des Staates weder die Souveränität des bankrotten Staates verletzen, noch auch deren Existenz in Frage stellen dürfen. Einen Ausweg fand man in der auf Grund völkerrechtlicher Verträge vereinbarten Einrichtung der internationalen F. Solche Finanzkontrollkommissionen bestehen zur Zeit in folgenden Staaten:

1) In Ägypten die Commission de la Dette Publique Égyptienne, kurzweg Caisse genannt, mit Sitz in Kairo, zuerst (Dekret des Khedive vom 2. Mai und 18. Nov. 1876) als selbständige Institution des ägyptischen Staates eingesetzt, dann durch Liquidationsgesetz vom 17. Juli 1880 auf internationale Rechtsgrundlage gestellt. Die Mitglieder (Kommissare) der Caisse werden vom Khedive ernannt und sind ägyptische Staatsbeamte; jedoch erfolgt tatsächlich die Zusammensetzung der Caisse durch die in ihr vertretenen auswärtigen Mächte England, Frankreich, Italien, Österreich, seit 1885 auch Deutschland und Rußland. Die Caisse ist eine öffentliche Spezialkasse (C. speciale du trésor) für diejenigen Fonds, die für den Zins- und Tilgungsdienst des emprunt garanti (1885), der dette privilegiée (1900) und der dette unifiée (1876, geändert 1890) bestimmt sind, und ist zum Empfang, zur Verwaltung und Verwendung derjenigen Einkünfte (Erträgnisse der Eisenbahn- und Telegraphenverwaltung sowie der Verwaltung des Hafens von Alexandria, ferner der Einkünfte aus gewissen Provinzen und der Zölle) berufen, deren Einzahlung seitens der höhern Einnahmebeamten der betreffenden Verwaltungen durch das Liquidationsgesetz vorgeschrieben ist. Die Kommissare haben das Recht, die vereinnahmten Beträge direkt an die Bank von England oder Frankreich zu senden; auch stehen der Caisse verschiedene Kontrollbefugnisse zu; so ist sie berechtigt, vom Finanzminister gewisse Belege und die erforderlichen Nachweise zu verlangen, daß bei Aufnahme von Vorschüssen der gesetzliche Höchstbetrag nicht überschritten und dieselben in laufender Rechnung aufgenommen wurden; ferner ist ihre Zustimmung erforderlich bei Aufnahme einer neuen Anleihe seitens der Regierung, bei Änderungen rücksichtlich der verpfändeten Steuern, die eine Minderung ihres Ertrags zur Folge haben, und wenn außergewöhnliche Ausgaben der Eisenbahnverwaltung nicht aus deren Einnahmen, sondern aus allgemeinen Staatsmitteln bestritten werden sollen. Die Kommissare der Caisse können einen von ihnen mit der Funktion des Präsidenten betrauen; doch ist nur die Funktion eines Kommissars vom Dienst gebildet worden, die regelmäßig alterniert.

2) In der Türkei der Conseil d'Administration de la Dette Publique Ottomane in Konstantinopel, ins Leben gerufen durch kaiserlich ottomanisches Dekret vom 8./20. Dez. 1881 und bestehend aus einem englischen, italienischen, französischen, österreichisch-ungarischen und deutschen Mitgliede, die von dem Syndikat der Foreign bondholders in London, der Handelskammer in Rom und von den Syndikaten jener finanziellen Institute der andern beteiligten Staaten, die an dem Zustandekommen des finanziellen Ausgleichs mit der türkischen Regierung teilgenommen hatten, auf je fünf Jahre ernannt werden. Die Vertretung der Besitzer türkischer Schuldtitel ottomanischer Nationalität ist gleichfalls vorgesehen; auch nimmt einer der Direktoren der Ottomanischen Bank an den Beratungen des Conseil mit Rücksicht auf die diesem hinsichtlich eines Guthabens der Galater Finanzgruppe obliegenden Verpflichtungen teil. Dem Administrationsrate steht die Verwaltung, Einhebung und direkte Einkassierung sowie die Verwendung aller für den Dienst der auswärtigen Schuld abgetretenen Einkünfte durch von ihm bestellte Organe zu. Seit 1890, bez. 1898 hat sie auch die von der türkischen Regierung der Makedonischen und der Anatolischen Eisenbahn zugesagten Garantiesummen einzukassieren und an die Bahngesellschaften abzuführen. Gegenüber der ägyptischen Caisse unterscheidet sich der Conseil zu seinem Nachteil dadurch, daß er, weil nicht offiziell von fremden Mächten, sondern von Privatvertretern der Gläubiger ernannt, lange nicht so unabhängig ist.

3) In Serbien die Autonomische Serbische Monopolverwaltung in Belgrad. Sie beruht auf dem Gesetz vom 8/20. Juli 1895, wonach die bis dahin bestehenden verschiedenen Sicherheiten der einzelnen Anlehen zusammengeworfen und der Monopolverwaltung überwiesen wurden. Das Statut, durch das der Geschäftsbetrieb derselben geregelt worden ist, darf ohne Zustimmung der serbischen Regierung und der Monopolverwaltung nicht geändert werden. Ihr fließen nicht nur die Erträgnisse der Monopole und der Stempel- und Getränkeabgaben, sondern auch die[570] Reineinnahmen der Eisenbahnen, die Zölle und die Orbt- (Verkehrs-) Steuer zu. Der ganze Reinertrag ist zur Bezahlung der fälligen Koupons und der gezogenen Stücke des 4proz. Konvertierungsanlehns von 1895 sowie für den Dienst des Prämienanlehns von 1881 und der Tabaklose von 1888 zu verwenden. Jedoch hat sie der Staatshauptkasse alle jene Summen zu übergeben, die ein Zwölftel des für die Zahlung der Annuität des konvertierten Anlehns erforderlichen Gesamtbetrages übersteigen. Der Verwaltungsrat besteht aus 6 Mitgliedern, von denen 4 serbische Untertanen (darunter Gouverneur und Vizegouverneur der Nationalbank) sein müssen, 2 von den Obligationsbesitzern vorgeschlagen werden; den Vorsitz hat der Gouverneur, bez. Vizegouverneur der Nationalbank. Infolge ihrer Zusammensetzung und sonstiger beschränkender Vorschriften ist die serbische Monopolverwaltung wenig selbständig.

4) In Griechenland die Internationale Kommission zur Kontrolle der Staatsfinanzen in Athen, eingesetzt in Ausführung des Artikels 2 des griechisch-türkischen Präliminarfriedensvertrags von Konstantinopel vom 6./18. Sept. 1897 durch Gesetz vom 10. März 1898. Sie ist ähnlich organisiert wie die ägyptische Caisse, jedoch werden ihre sechs Mitglieder direkt von den beteiligten Mächten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich-Ungarn und Rußland ernannt. Ihre Aufgabe ist die Einziehung und Verwendung derjenigen Staatseinkünfte, die für den Dienst der Kriegsentschädigungsanleihe von 1897 und der seit 1833 kontrahierten griechischen Anlehen bestimmt sind. Die Internationale Kommission wird durch eine unter deren Kontrolle stehende Société de regie des revenues affectées an service de la Dette Publique Hellénique in Athen insofern unterstützt, als diese die Staatsmonopole zu verwalten, die verpfändeten Einkünfte zu erheben und an die Kasse der Kontrollkommission oder auf deren Anweisung an die Banque Nationale de Grèce abzuführen hat. Neue Anlehen sind der Kommission zur Verfügung zu stellen und werden durch diese ihrer Bestimmung zugeführt. Die Kommission ernennt ihre Beamten und Agenten selbst und hat weitgehende Kontrollbefugnisse, so das Recht, sich alle Bücher, Rechnungsbelege etc. vorlegen zu lassen, die Einziehungsstellen und Anstalten, deren Einnahmen verpfändet sind, zu besuchen, durch ein Mitglied an den Sitzungen der erwähnten Société teilnehmen zu lassen etc. Differenzen zwischen Regierung und Kommission sind einem Schiedsgericht zu unterbreiten. Vgl. Diana, Il fallimento degli Stati e il diritto internazionale (Turin 1898); W. Kaufmann, Das internationale Recht der ägyptischen Staatsschuld (Berl. 1891); Derselbe, Die Kommissare der Kasse der ägyptischen Staatsschuld und das internationale Recht (das. 1896); Kebedgy, De la protection des créanciers d'un État étranger (im »Journal du droit international privé«, 1894); Derselbe, Les difficultés finançières de la Grèce etc. (in der »Revue Générale de droit international public«, 1894); Leroy-Beaulieu, L 'Égypte et le contrôle anglo-français (in der »Revue des Deux Mondes«, 1882); Pflug, Staatsbankrott und internationales Recht (Münch. 1898); Politis, La Caisse de la dette égyptienne (in der »Revue Générale de droit internationale public«, 1896); Saling, Börsen-Jahrbuch für 1898/99 (Berl. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 570-571.
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