Lehnin

[334] Lehnin, Dorf und Luftkurort im preuß. Regbez. Potsdam, Kreis Zauch-Belzig, an mehreren Seen, die durch die schiffbare Emster zur Havel abfließen, und an der Lehniner Kleinbahn, hat eine evang. Kirche (ehemalige Klosterkirche, 1872–77 restauriert), die Reste des ehemaligen, 1180 vom Markgrafen Otto I. gestifteten, 1542 aufgehobenen Cistercienserklosters Himmelpfort, ein Standbild des Kaisers Friedrich III., Oberförsterei, Ofenfabrikation, Schiffbau, Dampfsägemühlen, Ziegelbrennerei, Schiffahrt und (1900) 2379 Einw. Vgl. Heffter, Geschichte des Klosters L. (Brandenb 1851); Sello, L., Beiträge zur Geschichte von Kloster und Amt (Berl. 1881). – Aufmerksamkeit erregte zu verschiedenen Zeiten die angeblich um 1300 in 100 lateinischen leoninischen Versen verfaßte sogen. Lehninsche WeissagungVaticinium Lehninense«), deren Verfasser der Mönch Hermann sein soll. Der allgemeine Inhalt ist eine Klage über das Erlöschen der Askanier und das Aufkommen der Hohenzollern, dann aber eine Charakteristik jedes einzelnen Regenten aus dem letztgenannten Haus bis auf das elfte Geschlecht. Den Schluß macht die Prophezeiung, daß nach dem Herrscher des elften Geschlechts, der stemmatis ultimus sein werde, die Herde den Hirten und Deutschland den König wiederempfangen werde. Die Sprache ist gekünstelt und mitunter unklar, das Versmaß korrekt. Das Gedicht, zuerst Ende des 17. Jahrh., um 1690, in Handschriften auftauchend und im geheimen verbreitet, erschien zum erstenmal gedruckt in dem »Gelahrten Preußen« (Königsb. 1723), eine 2. Ausgabe ohne Angabe des Druckortes 1741, eine 3. mit den Druckorten Berlin und Wien 1745, eine 4. in Frankfurt und Leipzig 1746, also alle während der ersten Regierungsjahre Friedrichs d. Gr. Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges wurde 1758 in Bern ein neuer Abdruck veranstaltet. Seitdem vergessen, erschien nach dem Unglück Preußens von Jena und Tilsit die Schrift: »Hermann von L., der durch die alte und neueste Geschichte bewährt gefundene Prophet des Hauses Brandenburg« (Frankf. u. Leipz. 1808). Der Verfasser dieser äußerst seltenen Schrift hielt die Prophezeiung durch den Sturz Preußens für erledigt und mithin den damaligen König Friedrich Wilhelm III. für den stemmatis ultimus. Neues Aufsehen machte die 1827 von Bouverot herausgegebene Schrift: »Extrait d'un manuscrit relatif à la prophétie du frère de L.«, die W. v. Schütz als: »Weissagung des Bruders Hermann von L.« (Würzburg 1847) deutsch bearbeitete. Ebenfalls Parteizwecken dienten die Ausgaben des Gedichts von Boost (Ausgb. 1848), Wilhelm Meinhold (Leipz. 1849; nen hrsg. von Majunke, Regensb. 1896), Rösch (Stuttg. 1849); vgl. die kritischen Schriften von Guhrauer (Berl. 1850), Gieseler (Erfurt 1850) und M. Heffter (s. oben). Seit Gründung des Deutschen Reiches und Beginn des Kulturkampfes bemächtigten sich die Ultramontanen wieder einmal des Vaticiniums, um, wie die Demokraten 1848, den bevorstehenden Untergang des preußischen Königshauses und den Sieg des Papsttums daraus abzuleiten. Daß die Weissagung eine Fälschung ist, unterliegt keinem Zweifel. Während die Regenten bis zum Großen Kurfürsten richtig bezeichnet und charakterisiert werden, weiß der Verfasser schon nichts mehr von der Erwerbung der Königskrone durch Friedrich I. Die nachfolgenden Könige werden ganz verkehrt und den geschichtlichen Tatsachen widersprechend geschildert. Das elfte stemma, mit dem das Hohenzollernhaus enden sollte, war Friedrich Wilhelm III., und nur durch die gezwungene Auslegung, daß Friedrich II. und Friedrich Wilhelm IV., weil ohne direkte Nachkommen, keine stemmata seien, dehnen die ultramontanen Erklärer die Frist bis auf Wilhelm I. aus, nach dem der Hirt, d.h. der Papst, die Herde, Deutschland den (katholischen habsburgischen) König wiedererhalten werde. Die Weissagung ist augenscheinlich von einem Märker um 1690 verfaßt. Die älteste Widerlegung schrieb 1746 der Pfarrer Weiß in L. Auf Veranlassung Friedrich Wilhelms III. beschäftigte sich Wilken zuerst[334] mit der Frage nach dem Verfasser und erklärte 1827 den 1693 verstorbenen Kammergerichtsrat Martin Friedrich Seidel dafür, Giesebrecht den Rittmeister v. Ölven, Gieseler und neuerdings Pröhle (Berl. 1888) den Abt von Huysburg, Nikolaus v. Zitzewitz; auch der Jesuit Lüdinghausen-Wolff hat für den Verfasser gegolten. Schon Valentin Schmidt wies auf Ludwig Andreas Fromm hin, und Hilgenfeld (»Die Lehninsche Weissagung«, Leipz. 1875) begründete eingehend die Behauptung, daß Fromm der Urheber der Fälschung sei. Dieser war Propst an der Petrikirche in Berlin, und selbst ein eifriger orthodoxer Lutheraner, trat er gegen die Maßregeln des Großen Kurfürsten wider die lutherischen Geistlichen schroff auf und entzog sich einer Disziplinaruntersuchung 1666 durch die Flucht nach Wittenberg. Da er hier nicht den gewünschten Empfang fand, begab er sich nach Prag, trat hier 1668 zur katholischen Kirche über und wurde Domherr in Leitmeritz, wo er 1685 starb. Aus religiösem Fanatismus, und um sich an dem hohenzollerischen Fürstenhaus zu rächen, schrieb der Konvertit das Gedicht und verbreitete es unter der Hand in geheimnisvoller Weise unter einflußreichen Personen. Andre (Bailleu in der »Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde«, Bd. 15, S. 368) behaupten, daß ein in der Stadt Brandenburg oder deren Umgebung wohnender katholischer Märker, der über die Ansiedelung von Schweizer Kolonisten bei L. erzürnt war, 1691 das Vaticinium verfaßt habe. Nach H. Schneider (»Über die Handschriften des Vaticinium Lehninense«, Berl. 1890) ist es nur die tendenziöse Erweiterung eines zur Zeit des Restitutionsedikts erschienenen Gedichts. Kampers (»Die Lehninsche Weissagung über das Haus Hohenzollern«, Münst. 1897) nimmt an, daß darin ein älteres Vaticinium auf einen Kaiser Friedrich verarbeitet sei; eine dem 15. Jahrh. angehörende Friedrich-Weissagung, die bereits die auf den Kaiser Friedrich gemünzten Wünsche auf einen Hohenzollern Friedrich überträgt, ist aus einer im »Preußischen Staatswahrsager« (1741) gedruckten Weissagung herauszuschälen. Vgl. Sabell, Literatur der sogen. Lehninschen Weissagung (Heilbr. 1879).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 334-335.
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